6.8.3 Der riskante Weg wissenschaftlicher Theologie in der Auseinandersetzung um die Theodizee-Frage nach dem Warum des Todes des „Heiligsten“
6.8.4 Das Gebet als locus theologicus existentiell herausgeforderter wissenschaftlicher Theologie
6.8.5 Die Bewältigung quälender Ohnmacht durch die Metonymie Gott und die Entdeckung von Hoheitstiteln für die totgeborenen Kinder
6.8.6 Vom Rand in die Mitte – oder der Trost eines Theologen durch die unverbrüchliche Liebe der Mütter zu ihren Kindern
6.8.7 Zusammenfasssung
7 Die Revolution der Zärtlichkeit Gottes – Qualitätsmerkmal christlicher Gottesrede in der Postsäkularität
7.1 Revolution der Zärtlichkeit Gottes: Die frohe Botschaft der Mütter totgeborener Kinder
7.1.1 Der Sturm – Ein Ende der Liebe Gottes?
7.1.1.1 Der Sturm der Theodizee
7.1.1.2 Der Sturm der Postsäkularität
7.1.2 untergehen – gerettet werden
7.1.3 Die Revolution der Zärtlichkeit Gottes in den Theologien der Mütter totgeborener Kinder
7.2 Revolution der Sprachfähigkeit christlicher Theologie
7.3 Zärtlichkeit – Qualitätsmerkmal christlicher Gottesrede in der Postsäkularität
8 Literaturverzeichnis
„Adventure rarely reaches it’s predetermined end.
Columbus never reached China.
But he discovered America.”2
Alfred North Whitehead 1967
2 Sander, Gotteslehre, 12.
Dank
Mein herzlicher Dank gilt allen, die mich während des Prozesses dieser Arbeit unterstützt und begleitet haben.
Zunächst danke ich den vier Frauen, die mir ihre Lebensgeschichte und die ihrer Kinder erzählt haben, aber auch allen anderen Frauen und Männern, die ich als Klinikseelsorgerin in den schwierigsten Zeiten ihres Lebens begleiten durfte.
Ich danke Prof. Dr. Rainer Bucher, der mich das Fragen neu gelehrt hat und daran festgehalten hat, dass christliche Theologie etwas zu lernen und zu sagen hat in Lebenssituationen, wo sie zunächst verstummt. Er hat mich im Prozess der Dissertation positiv und wertschätzend begleitet. Prof. Dr. Maria Elisabeth Aigner danke ich für ihre Vorfreude auf diese Arbeit. Dr. Daniela Böhringer bin ich für die Begleitung durch die anfänglich unbekannten Gestade der Soziologie sehr dankbar.
Prof. Dr. Jürgen Bründl, Prof. Dr. Eva–Maria Faber, Prof. Dr. Elmar Klinger, Prof. Dr. P. Michael Plattig OCarm, Prof. Dr. Johanna Rahner und Prof. Dr. Hans–Joachim Sander haben mir wertvolle theologische Impulse im Prozess dieser Arbeit zur Verfügung gestellt. Das pastoraltheologische Privatissimum der Universität Graz hat mich unendlich bereichert. Prof. DDr. Walter Schaupp danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens.
Das Bistum Hildesheim hat mich zu 20 Prozent von meiner Arbeit als Pastoralreferentin in der Klinikseelsorge der Universitätsmedizin Göttingen freigestellt. Dadurch wurde diese Arbeit überhaupt möglich. Mein Dank gilt den einzelnen Frauen und Männern, die sich für mich eingesetzt haben. Auch die Drucklegung hat das Bistum großzüg unterstützt.
Meine Familie zeigt mir immer wieder die Schönheit des Lebens und die Bedeutung von wertschätzender Liebe und von Zärtlichkeit als Grundhaltung im Umgang mit anderen Menschen und der Welt. Diese Erfahrung ist tragend für diese Arbeit und mein ganzes Leben.
1 Zugänge
Wer ist dieser Gott, der Liebe genannt wird und der allmächtig ist? Wie ist ein allmächtiger Gott zu denken? Ist er liebend allmächtig? Allmächtig liebend? Ohnmächtig und nur in der Liebe mächtig? Wie gehen Allmacht und Liebe zusammen? Schon meine Diplomarbeit3 habe ich unter dieser Fragestellung geschrieben und war versucht, mit Hilfe der Prozesstheologie eine „Antwort“ auf die Frage nach dem Leiden zu finden bzw. ein theoretisches Modell zu konstruieren, das helfen kann, Allmacht und Liebe in Gott miteinander zu vereinbaren.
Meine Praxis als Pastoralreferentin und Klinikseelsorgerin hat mir gezeigt, dass in der Praxis mit Konstrukten wenig anzufangen ist. Wenn Menschen sterben, bin ich mit diesen Menschen traurig. Wenn sie nach dem Warum fragen, wollen sie keine theologische Unterweisung, sie möchten jemanden, der mitfühlt, die mitgeht, die versteht und akzeptiert was an Bewegungen vorhanden ist.
Konkret die seelsorgliche Arbeit mit Müttern und Vätern totgeborener Kinder ruft Fragen nach Gott hervor, die nicht einfach zu beantworten sind: Wie kann es sein, dass ein Kind nicht lebend auf die Welt kommt? Sie sind doch die unschuldigsten Wesen überhaupt! Was haben sie mit Gott zu tun? Was hat Gott mit ihnen zu tun? Verstorbene Kinder und ihre an ihrem Tod leidenden Angehörigen stellen für alle begleitenden Berufe eine höchste emotionale Herausforderung dar. Was passiert da eigentlich, wenn ein Kind – und dann auch noch ein ungeborenes Kind – stirbt? Es hatte ja gar keine Chance zu leben. Ist es überhaupt ein Kind, wenn es nicht lebend geboren wurde?
Wenn ein Kind noch vor der Geburt stirbt, empfinden Eltern diese Situation wie einen abgebrochenen Anfang, wie eine nicht erfüllte Zusage neuen Lebens, wie ein gebrochenes Versprechen. Zwischen diesen kleinen Menschen und dem übergroßen, allmächtigen Gott klafft eine enorme Distanz. Wenn ein Kind stirbt, dann „stirbt die Zukunft“4. Wenn ein Kind stirbt, stirbt menschgewordene Liebe. Es erschüttert das Vertrauen in den „lieben“ Gott. In einer solchen Situation wird Gottes Allmacht spürbar für die Eltern, erschreckend spürbar, aber nicht so sehr seine Liebe. So ist der Tod von Kindern schon bei Albert Camus in „Die Pest“5 der Grund des Atheismus, der Ablehnung Gottes.
Ich musste in 16 Jahren als Klinikseelsorgerin erfahren, dass es Leiden gibt, auf das einfach keine Antwort möglich ist. In diesen Situationen würden Antworten wie z.B. „Gott liebt dich aber trotzdem“ eiskalt abkanzelnd wirken. Sie erwecken – so gesprochen und selbst mit bester Absicht so gesprochen – den Eindruck, dass Seelsorge das Leiden der Menschen nicht ernst nimmt. Ich erlebe mich in meiner Tätigkeit immer wieder als sprachlos und beginne zu ahnen, dass die Rede von Gott am Leiden eines Menschen weder einfach vorbeigehen noch es – im schlimmsten Fall – dazu benutzen kann, um die eigene Theologie zu retten. Es zeigt sich in der Praxis, dass es keine immerwährende Rede von Gott angesichts des Leidens gibt, die in jeder Situation und auf jeden Menschen zutreffen würde, passend wäre, oder ihn gar trösten könnte.
Aus dieser Situationsbeschreibung erwächst die Frage nach der Sprachfähigkeit der Theologie: Hat sie überhaupt etwas zu sagen in einer Frage, an der sie selbst an ihre Grenzen stößt? Wie wenig es eine Mutter tröstet, deren Kind in der Schwangerschaft gestorben ist, vom gekreuzigten Sohn (!) Gottes zu sprechen, hat einmal eine Mutter von sich aus beantwortet: „Nicht einmal das hast du hingekriegt, Gott! Selbst bei deinem eigenen Sohn nicht!“6
Wenn Theologie etwas zu sagen hätte, was wäre dann Frauen zu sagen, deren Kinder tot auf die Welt gekommen sind? Was wäre Frauen zu sagen, die sich aus Liebe für eine späte Abtreibung entschieden haben?
Hat christliche Theologie an dieser Stelle etwas zu sagen, das noch nicht zur Sprache gekommen ist, das aber in der Offenbarung Jesu Christi grundgelegt ist? Es ist die Erfahrung der Tradition, dass es Menschen in der Geschichte immer wieder gelungen ist, das Evangelium so zu verkünden, dass es eine Bedeutung hatte. Ansonsten hätte sie sich nicht fortgeschrieben bis in die Gegenwart7.
Eine weitere Frage, die mich beschäftigt, ist die Frage nach der Relevanz von Theologie im Hier und Jetzt. Wesentlich damit verknüpft ist die Frage, ob Theologie noch von Gott spricht, oder ob da nicht viel zu viele Worte sind, zu viele Antworten, gesammelt in Büchern, Fachzeitschriften und kirchlichen Dokumenten,