Jakob Zollinger. Heinz Girschweiler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinz Girschweiler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783039199426
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Girschweiler. Neben der hinteren Haustüre steht Kobi als Bub in den 1930er-Jahren.

      In der Zwischenzeit ist 1892 Emil geboren worden, der Vater von Jakob Zollinger, genannt Kobi. Emils Eltern sind Jakob Zollinger und Anna-Julia Bai aus Truttikon im Weinland. Anna-Julias Vater ist dort ein angesehener Schreinermeister und Rebbauer. Das junge Paar wohnt vorerst in einer gemieteten Wohnung im Oberdorf, zieht aber schon bald in den umgebauten Hausteil im Mitteldorf um. Ein zweiter Sohn des Paares stirbt zwei Jahre später mit nur neun Monaten an Diphterie. So muss Emil als Einzelkind im kleinen elterlichen Unternehmen schon früh tüchtig mithelfen. Die Familie ist stark verschuldet, und der Erlös aus dem kleinen landwirtschaftlichen Gewerbe reicht nicht aus. Da erhält Vater Jakob 1902 eine Teilzeitstelle als Strassenwärter beim Kanton und erzielt damit ein gesichertes Einkommen. Das ermöglicht es ihm, sich allmählich von der Last der Schulden zu befreien. Das dritte wirtschaftliche Standbein der Familie ist jenes von Mutter Anna-Julia. Sie arbeitet ganzjährig am Seidenwebstuhl in der Stube, im Winter bedient Jakob neben ihr einen zweiten. Aufträge bekommen sie von einem Stadtzürcher Seidengeschäft. Auch Emil hilft mit. Seine Aufgabe ist es, die Spülchen mit Seidenfaden voll zu spulen. Sie werden in die Webschiffchen eingelegt. Diese Tätigkeit liegt dem Buben nicht sonderlich am Herzen, und so kommt es öfter vor, dass die Qualität seiner Arbeit ungenügend ist, wie er in seinem eigenen Lebenslauf vermerkt.

      Haben die Eltern einen dringenden Auftrag und leisten deshalb Überstunden, hat Emil Küchendienst. Kaffee kochen und Milch erwärmen sind auf dem einfachen, zweilöchrigen Sandsteinherd keine knifflige Sache. Hingegen braucht es einige Übung, bis das Kehren der Rösti in der Bratpfanne glückt, sodass am Schluss eine kompakte, braun gebrannte Scheibe auf dem Tisch dampft. Gelingt dieses kleine Kunststück, so ist sogar Vater Jakob zufrieden, der mit Lob sehr sparsam umgeht. Emil schreibt in seinem 1966 verfassten Lebenslauf, dass er eine glückliche Jugend gehabt habe. Der Vater habe sich als «ernster, nachdrücklicher, mit Gerechtigkeit gepaarter Erzieher entpuppt». Die sanfte, liebevolle und fromme Wesensart der Mutter habe aber Vaters eiserne Zucht und Disziplin zu mildern vermocht. Es ist eine Familienkonstellation, die sich in der nächsten Generation wiederholen sollte.

      Der kleine Emil besucht gern und häufig seine Grosseltern Esther und Heinrich im oberen Bauernhaus. Er tritt 1899 in die dörfliche Sechsklassenschule bei Lehrer Emil Trachsler ein, weitherum als Brissago-Miggel bekannt. Emil zeigt sich interessiert und lernt leicht. So sind Lehrer und Eltern der einhelligen Meinung, er solle die Sekundarschule in Gossau besuchen. Emil ist nicht begeistert, fügt sich aber und marschiert drei Jahre lang zweimal täglich eine knappe Stunde nach Gossau und zurück. Wegen eines parteiischen Lehrers, der den Kleinbauernsohn schikaniert, wo er nur kann, verleidet Emil die Schule im dritten Jahr der Sekundarschule vollends. Als die Eltern und sein Primarlehrer ihn drängen, ins Lehrerseminar Küsnacht einzutreten, widersetzt sich der Schulmüde diesem Ansinnen vehement. Gern würde er dagegen eine Lehre als Bau- oder Maschinenzeichner absolvieren. Das aber kommt für den Vater nicht infrage: «Entweder du wirst Lehrer, oder du bleibst zu Hause und hilfst auf dem Hof», lautet seine unmissverständliche Botschaft. Emil fügt sich. Neben der Arbeit auf dem Hof geht er in die Fabrik nach Bubikon, in die Schraubenfabrik Frey in Wändhüsle. Später wechselt er in die Maschinenfabrik Rüti, die Joweid.

      Ab 1914 muss er im Ersten Weltkrieg wiederholt Militärdienst leisten. Jedermann glaubt, der Spuk sei in ein paar Monaten vorbei. Doch der Abnützungskrieg in Europas Schützengräben zieht sich über vier quälend lange Jahre hin. 1916 lernt Emil bei Nachbarn eine junge Besucherin kennen, ein Mädchen, das ihm ins Auge sticht: Hermine Hauser, eine Bauerntochter aus Fällanden. Ein Jahr später verloben sie sich, 1919 findet die Hochzeit statt. Darauf folgt das für die Familie so wegweisende Jahr 1920.

      Aus dem Exil zurück nach Herschmettlen

      Als am 26.Juni 1931 der jüngste Sohn von Hermine und Emil Zollinger-Hauser in Riedikon-Uster seinen ersten Schrei ausstösst, stehen fünf ältere Geschwister an seiner Wiege. Martha ist elfjährig, Otto ist neun, Hans sieben. Fritz ist fünf und Emil, genannt Migg, dreijährig. Das neu geborene Kind bekommt wie zahlreiche seiner Ahnen den Vornamen Jakob, wird in der Familie und unter Freunden aber ein Leben lang Kobi – oder Köbi – genannt.

      Die Familie wohnt in der Ustermer Aussenwacht Riedikon, nicht in Herschmettlen. Wegen eines familiären Zerwürfnisses, dessen Ursprung auf den Herbst 1920 datiert ist, lebt sie sechs Jahre lang im Exil. Im besagten Jahr hat sich im Leben des jungen Vaters Emil Entscheidendes zugetragen. Zwei Kolporteurinnen der Vereinigung der ernsten Bibelforscher gehen in Herschmettlen von Haus zu Haus. Sie bieten das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter an. Emil Zollinger kauft es. Dazu erhält er einen Handzettel mit der Einladung zur öffentlichen Vorführung des Photodramas der Schöpfung an vier Abenden im Gossauer Gasthaus Löwen. Emil geht hin und ist begeistert. «Was ich da hörte, war wirklich Neuland, war aufrüttelnd, packend, ein weites Tor biblischer Erkenntnis öffnete sich gleichsam», schreibt er in seinem Lebenslauf, den er 1966 mit 74 Jahren verfassen wird. Es folgen Nachvorträge mit Bibelauslegungen in Wetzikon. Emil schafft sich alle sieben Bände der Schriftstudien an und sammelt die Zeitschriften. Er schliesst sich der Oberländer Gruppe der Bewegung an. Und er vollzieht 1923 an der Hauptversammlung der Schweizer Bibelforschervereinigung, wie die Zeugen Jehovas damals noch heissen, in der Zürcher Stadthalle die Wassertaufe als öffentliches Bekenntnis zur Gemeinschaft. Seine Ämter in der Gemeinde, so das Präsidium des Musikvereins Gossau, gibt Emil Zollinger ab. Jetzt fühlt er sich frei für seine missionarische Arbeit. Seine Gattin Hermine duldet das Engagement widerspruchslos. Nach und nach macht sie selbst mit und lässt sich später auch taufen. Die Kinder Martha und Fritz schliessen sich zusammen mit ihren späteren Familien und Nachkommen ebenfalls den Zeugen Jehovas an. Hans und Migg stehen rasch abseits, und Otto und Kobi lavieren lange. Erst mit der Gründung seiner Familie distanziert sich Kobi endgültig. Obwohl Emil und Hermine tief überzeugt sind von ihrer Sache und weitherum im Oberland neue Glaubensgefährten anzuwerben trachten, akzeptieren sie, dass sich einzelne Kinder abwenden. Das bestätigen zwei spätere Schwiegertöchter: «Mein Schwiegervater ermunterte mich einmal, ebenfalls zu den Versammlungen nach Wetzikon zu kommen, mein Nein akzeptierte er aber klaglos. Und er hat mich nie wieder zu bekehren versucht», sagt Jakob Zollingers spätere Frau Elisabeth Zollinger-Anliker heute. Und ihre Schwägerin Carolina Zollinger-Acquistapace, die Ehefrau von Migg, machte exakt die gleiche Erfahrung.

      Der Wandel seines Sohnes Emil zum religiösen Eiferer passt Vater Jakob ganz und gar nicht. Er hat gehofft, sein einziger Sohn würde eine politische Karriere machen. Immer heftiger lässt er Emil seine Abneigung gegenüber dessen Engagement spüren. Und dies, obwohl der Sohn alles unternimmt, um seine Pflichten auf dem Hof und innerhalb der Familie nicht zu vernachlässigen. 1924 eskaliert der Zwist. Jakob droht, Emils Familie vom Hof zu jagen. Auch mehrere Aussprachen mit dem Vater bringen für Emil keine Versöhnung. Mutter Anna-Julia steht unglücklich zwischen den Fronten und versucht nach Kräften, zu vermitteln und zu schlichten. Doch im Herbst 1925 sieht sie ein, dass es besser ist, wenn die junge Familie auszieht. Zwar ist ihr bang, mit ihrem griesgrämigen Gatten allein zurückzubleiben, doch sie denkt an das Wohlergehen ihrer drei Enkel und trennt sich schweren Herzens von ihnen.

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      Die Familie Zollinger 1924. Links Hermine und Emil Zollinger-Hauser, vorne das Grosselternpaar Anna und Jakob Zollinger-Bai. Dazwischen die kleine Martha und eine Schwester von Anna im Hintergrund.

      Erste Station im Exil ist Ettenhausen-Wetzikon, wo die junge, mittlerweile fünfköpfige Familie eine preiswerte Wohnung findet. Doch ein halbes Jahr später zieht sie auf den Gossauer Berg weiter, weil Emil in der Schreinerei Trüeb in der Unterottiker Chindismüli eine Stelle gefunden hat. Nach der Geburt der Söhne Fritz und Migg zieht die Familie 1928 nach Nänikon. Emil arbeitet jetzt in einer Ustermer Holzbaufirma. Weil die Wohnung Mängel aufweist, ziehen sie aber bald nach Riedikon um, wo im Sommer 1931 ihr jüngster Sohn Kobi geboren wird.

      Wenige Monate später erleidet Jakob Zollinger in Herschmettlen einen Schlaganfall, dem er Tage später erliegt. Jetzt stellt sich für Emil und seine Familie die Frage: Bleiben, wo sie sind, oder nach Herschmettlen zurückkehren? Emil würde gern bleiben, denn er hat in Uster eine ihm zusagende und