Luxus sucht man vergeblich im kleinen Hausteil im Herschmettler Mitteldorf. Die Buben schlafen zu viert im gleichen Zimmer, je zwei teilen sich ein Bett. Immerhin leidet die Familie dank dem Strassenwärtereinkommen von Vater Emil seit ihrer Rückkehr nach Herschmettlen keine Not. Der Speisezettel umfasst vor allem Eigenes und nahrhaftes Essen. Migg Zollinger erinnert sich: Zum Frühstück gabs gesottene Milch mit getunkten Brotmocken, ab und zu auch Haferbrei. Beim Zmittag war die Suppe wichtig. Dazu gab es Kartoffeln, viel Gemüse, ab und zu Fleisch. Die besten Stücke verzehrten stets der Vater als Familienoberhaupt und allfällige Besucher. Die Mutter und die Kindern gingen oft leer aus, reklamierten aber nicht. Beim Znacht war die Rösti wichtig. Und Mutter Hermine buk viel. Immer eigenes Brot, nur dunkles natürlich – Weissbrot oder «Gipfeli» kannte man nicht. Auch wunderbare Kuchen mit Nüssen kamen regelmässig auf den Tisch. Ganz zu schweigen von den geliebten Wähen, die mit Zwiebeln, Spinat, eigenen Kirschen, Zwetschgen oder Äpfeln belegt waren. Das Lieblingsdessert des Zollinger-Nachwuchses war aber «gschwungne Nidel», also Schlagrahm nature ohne Beigabe und selbstverständlich aus Milch der eigenen Kühe hergestellt.
Gegen Ende der 1930er-Jahre verringert sich dann der finanzielle Druck. Denn jetzt beenden die ersten Kinder die Schule und treten ins Erwerbsleben ein. Martha macht ein Haushaltlehrjahr am Zürichsee, geht dann für ein Jahr ins Welschland und absolviert anschliessend eine Verkäuferinnenlehre in Bäretswil. Nach dem frühen Unfalltod ihres Gatten Karl Trachsler arbeitet sie dann mehr als ein Vierteljahrhundert als Chefsekretärin in der Gossauer Accum. Otto arbeitet zuerst wie einst Vater Emil bei «Schrüübli»-Frey in Bubikon, später wird er Strassenwärter beim Kanton – eine Familientradition. Hans, begeisterter Funkamateur, arbeitet an verschiedenen Orten, bis er bei Siemens in Zürich seine Technikbegeisterung ausleben kann. Fritz entschliesst sich für die Landwirtschaft. Und Migg wird Maler und wandert 1961 nach Kalifornien aus. Die Löhne geben die jungen Erwachsenen – bis auf ein kleines Sackgeld – zu Hause ab. Und so abonniert die Familie bald Zeitschriften, hat ein Radio und den ersten Telefonapparat weit und breit. «Wir bildeten deshalb ein kleines Dorfzentrum», erinnert sich Migg.
Vor allem samstags und sonntags hat Kobi mitunter eine besondere Aufgabe. Er geht mit seiner Mutter auf Mission – in Bubikon, in Wolfhausen und in anderen Dörfern der Umgebung. Es sind kaum Bemerkungen erhalten, wie er sich zu dieser Aufgabe gestellt hat. Nur einmal findet sich im Tagebuch der Hinweis, er habe sich geweigert, mit Vater Emil in Rapperswil missionieren zu gehen, was Mutter Hermine sehr erbost habe. Die strenge Religiosität von Vater Emil äussert sich in der Familie in einem täglichen, längeren Tischgebet und in wöchentlichen Andachten. Solche besucht auch der Nachwuchs gelegentlich in Wetzikon – der fünf Kilometer lange Weg wird zu Fuss zurückgelegt. Migg Zollinger sind die spannenden Erlebnisse unterwegs, im Ambitzgiried oder im Sennwald, stärker in Erinnerung geblieben als die Unterweisung in den Versammlungen.
Im Zweiten Weltkrieg dann bekommt Emil Zollinger Ärger. Als Zeuge Jehovas weigert er sich, mit einer todbringenden Waffe wie dem Karabiner in den Militärdienst einzurücken. So kreuzt der Gossauer Polizist im Herschmettler Mitteldorf auf. Emil Zollinger habe sich sofort nach Pfäffikon zu begeben. Dort sitzt er im Sommer 1940 nach einer Verurteilung vor dem Militärgericht eine mehrmonatige Haftstrafe als Dienstverweigerer ab. Sonntags pilgert seine Familie zur moralischen Unterstützung dorthin. Und sie erhält vom Vater regelmässig Briefe aus dem Gefängnis. Als Emil Zollinger entlassen wird, verdrückt die Frau des Verwalters ein paar Tränen. Zu gern hätte sie den geschätzten Assistenten weiterhin an der Seite ihres Gatten gesehen. Emil Zollinger fungiert gegenüber den Ganoven aller Art als Hilfswärter, ja er predigt ihnen gar und hat die Erlaubnis, seine Zeitschriften zu verteilen.
Zu Hause betreibt der neunjährige Kobi in dieser Zeit sein kleines Unternehmen und führt dabei die Tätigkeit seiner älteren Geschwister fort. Zollingers verwalten Zeitschriften aus dem Hause Ringier. Kobi ist der Manager. Er setzt fürs Verteilen von Ringiers Unterhaltungsblätter, vom Schweizer Heim, der Schweizer Illustrierten, Gartenlaube und Schweizer Familie fürs Einkassieren und die damit gekoppelte Versicherung auch Schulkameraden ein, führt die Buchhaltung und zahlt die Botenlöhne aus. Nicht immer sei das lustig gewesen, erinnert sich Migg Zollinger. Da gibt es einsame Höfe mit bösen Hunden, vor denen den Zollinger-Buben graut. Und dann gibt es wiederholt Ärger mit den Finanzen. Ist jemand nicht zu Hause, legen die Buben die Zeitschriften neben die Haustür. Beim nächsten Mal behaupten Abonnenten dann jeweils keck, sie hätten vor einer Woche schon bezahlt. Mit seinen vielseitigen Aktivitäten verschafft sich der Jüngste innerhalb der Familie und darüber hinaus auf jeden Fall schon früh gebührenden Respekt.
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