Jakob Zollinger. Heinz Girschweiler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinz Girschweiler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783039199426
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Kartoffelsalat vollauf genügt. Den Räuschling und den Klevner vom Stäfner Lattenberg aber geniesst er uneingeschränkt.

      Die Aufregung in der Ottiker Chindismüli war gross, als man bei der Rückkehr aus den Skiferien am Heinzenberg Anfang März in der Post den kurzen Brief des Rektorats entdeckte. Ehrendoktor der Universität Zürich sollte Jakob Zollinger werden, er möge sich den Samstag, 26.April, dafür freihalten. Rasch war ein Kärtchen aus eigener Produktion mit einem Winteraquarell von der Höchhand hervorgeholt und das überraschende Geschenk aus Zürich verdankt:

      «Sehr geehrter Herr Professor Weder,

      eben heimgekehrt aus den Ferien, erreichte mich Ihre Post … Zuerst sprachlos, ungläubig, fast erschlagen. Nie hätte ich es gewagt, mir diese Ehrung nur zu erträumen, obschon ich aus dem Kreise meiner hiesigen Mitbürger immer wieder zu hören bekam: ‹Du chunsch emol de Tokter über für dini Aarbet …›

      Niemals habe ich diese Ehre, wie sie meinen lieben Freunden Peter Ziegler, Heinrich Krebser und Heinrich Hedinger aus ähnlichen Gründen zukam, erwartet. Umso beglückter bin ich über Ihre Mitteilung, die meine Frau – bis der Brief vor mir lag – getreulich verschwiegen hatte. Zu viel der Ehre! Bin ich doch «nur» aus lauterer Freude und innerem Antrieb, seit meiner Jugendzeit, meinem Forschungsdrang auf historisch-volkskundlichem und naturwissenschaftlichem Gebiet gefolgt. Immer noch sprachlos, danke ich Ihnen für diese grosse Anerkennung, die mir neuen Antrieb für weitere Tätigkeiten gibt.

      Ihr Jakob Zollinger»

      Tochter Eva Zollinger weiss: «Der Dr. h. c. bedeutete unserem Vater viel. Spät bekam er jetzt auch noch Anerkennung von Fachgremien.» Und Sohn Röbi erinnert sich, dass der Ehrendoktor wochenlang das dominierende Thema in Ottikon war. Die Ehrung habe seinem Vater eine grosse Genugtuung verschafft. Zurückhaltender hat sich Fritz Zollinger zur Auszeichnung seines Bruder geäussert: «Der späte Ehrendoktor dürfte für ihn stille Genugtuung gewesen sein, mehr nicht. Da hat die Erziehung des Vaters nachgewirkt: Man verhält sich zurückhaltend und bescheiden.» Bestätigung findet die Sicht des Bruders in den Tagebüchern Jakob Zollingers. Er hat davon über Jahrzehnte zwei parallel geführt. In einem kleinformatigen Kalender notierte er das Tagesgeschehen. In den etwas grösseren Büchern schwelgte er in Text und Zeichnungen oder Aquarellen in Erinnerungen an die ihm so wichtigen Naturerlebnisse – Stimmungsbilder nannte er sie. In beiden Tagebüchern wird der Ehrendoktor mit nur je einem knappen Satz erwähnt.

      Das Ehepaar Zollinger rätselt monatelang, wie es zu dieser Doktorwürde gekommen ist. Wer nur hat das eingefädelt? Denn von selbst geschieht so etwas nicht, sind sich die beiden einig. Bekannt ist, dass der Volkskundler Arno Niederer ein grosser Bewunderer von Zollingers Arbeiten gewesen ist. Ihm hat Heinz Lippuner, Wetziker Kantonsschullehrer aus dem Grüt und Privatdozent an der Universität, Ende der 1990er-Jahre erstmals die Idee eines Ehrendoktors Zollinger gesteckt. Doch dann verstirbt Niederer, und Lippuner verlässt altersbedingt die Universität. Er erzählt seinem Nachfolger in der Vereinigung der Privatdozenten, Ruedi Schwarzenbach, dem Rektor der Wetziker Kantonsschule, jedoch von dieser Idee. Die Privatdozenten schlagen am Ende die Promotion vor, und die zuständige Prüfungskommission kommt zu einem positiven Ergebnis. Jakob Zollinger hat diese Geschichte nicht mehr erfahren.

      Aber ist er von der späten Ehrung tatsächlich so sehr überrascht worden, wie er in seinem Dankesbrief an Professor Weder schreibt? Da sind doch Zweifel angebracht. Einerseits verweist er auf wiederholte Anspielungen in seinem Bekanntenkreis. Das Thema muss also immer wieder einmal aufgegriffen worden sein. Und dann ist er in seinem kurzen Brief an Rektor Weder auch nicht um die Nennung von Ehrendoktor-Kollegen unter den Lokalhistorikern verlegen: Heinrich Hedinger aus dem Zürcher Unterland, Heinrich Krebser aus Wald und der Wädenswiler Peter Ziegler. In diese Reihe passt der Name Jakob Zollinger fraglos ausgezeichnet, das muss auch ihm klar gewesen sein.

      Wie dem auch sei – es finden sich zahlreiche Personen, die diese späte Ehrung Jakob Zollingers für sein lebenslanges Forschen gutheissen. Für Ruedi Schwarzenbach ist Zollinger ein beispielhafter Forscher auf dem Land, der aus persönlichem Interesse und ohne akademischen Hintergrund wichtige Forschungsarbeiten betrieben hat. Heinz Lippuner sagt, für seine tiefschürfenden Forschungen habe Zollinger den Ehrendoktor mehr als verdient. Ein schönes Beispiel für das grosse Echo, das die Ernennung ausgelöst hat, ist der Gratulationsbrief, den ihm der Grütner Hausarzt Christoph Meili im Sommer 2003 geschrieben hat:

      «Lieber Jakob

      Die Würdigung Deines Lebenswerkes mit dem Ehrendoktortitel freut uns ausserordentlich. Deshalb vor allem, weil er die Anerkennung einer Leistung bedeutet, die nicht dem Ehrgeiz des Karrieredenkens entsprungen ist. Es ist ein beseeltes Werk, so auch eine Gnade, es schaffen zu müssen und zu können. Wir glauben deshalb in Deinem Sinne zu denken, wenn wir meinen, dass für Dich die grösste Genugtuung darin besteht, dass die «Gesellschaft» den kulturschaffenden und -erhaltenden Wert deiner Arbeit beachtet und damit Zeugnis ablegt von einem immanenten Verantwortungsgefühl.

      Wir wünschen Dir noch für lange Zeit die Kraft, auf Deinem Weg weiterzugehen.

      Mit herzlicher Gratulation und lieben Grüssen Ch. und Ch. Meili»

      Jakob Zollinger bezeichnet in seiner Antwort das Glückwunschschreiben des Ehepaars Meili als die «treffendste und zugleich gehaltvollste und tiefsinnigste von all den vielen Gratulationen», die er habe entgegennehmen dürfen.

      In einer Ecke des Estrichs ihres Müllerhauses in der Ottiker Chindismüli findet Elisabeth Zollinger-Anliker 15 Jahre nach dem Ehrentag an der Universität Zürich nach einigem Stöbern eine prall gefüllte Schuhschachtel voller Glückwunschschreiben zum Ehrendoktor. Gut 200 sind es, allesamt in zollingerschem Sammeleifer aufbewahrt. Viele von ihnen hat Jakob Zollinger schriftlich verdankt und beantwortet. Seminarkollegen, Jugendfreunde, Lehrerinnen und Lehrer, einzelne Schüler, Nachbarn und viele mehr drücken ihre Freude aus über den wohlverdienten Ehrentitel. Manche freut besonders, dass ein Nichtakademiker zum Zuge gekommen ist. Peter Surbeck, Ustermer Sekundarlehrer und Historiker, drückt es treffend aus: «Die Würde eines Dr. h. c. war meines Erachtens lange Zeit in dem Sinne zweifelhaft, als nur bereits gekrönten Häuptern eine weitere Krone aufgesetzt wurde. […] Dabei war dieser Ehrentitel in der Vergangenheit sicher für Nichtakademiker gedacht, die aus bescheidenen Anfängen heraus Grosses geschaffen haben. Und das ist bei dir der Fall!» In manchem Schreiben kommt der Stolz zum Ausdruck, dass ein Oberländer aus einfachen Verhältnissen berücksichtigt worden ist – und in der Ehrung des Kollegen, des Mitbürgers, des Vereinsmitglieds sonnt man sich auch gern ein wenig. Das betonen Glückwunschschreiben des Stadtrats von Uster, des Gemeinderats Gossau, der Antiquarischen Gesellschaft Wetzikon, der Sektion Bachtel des Schweizerischen Alpen-Clubs. Ja, selbst aus Kalifornien liegt ein Glückwunschschreiben vor. Der Swiss Athletic Club in San Francisco gratuliert – stellvertretend – Jakob Zollingers Bruder Emil, genannt Migg, zur Ehrendoktorwürde seines Bruders in der fernen Heimat. Auch ein ehemaliger Schüler Zollingers möchte sich vom Ruhm eine kleine Scheibe abschneiden. Auf seiner Gratulationskarte bemerkt er trocken, wenn ihn künftig jemand frage, wo in Herschmettlen er denn aufgewachsen sei, dann werde er nicht mehr sagen, im Flarz Zollinger/Girschweiler gegenüber der Weinschenke, sondern ganz einfach: «Im Tokterhuus.»

      Worin aber liegt die besondere Leistung Jakob Zollingers als Forscher? Die Laudatio an der Universität Irchel deutet einiges an: Er hat ein Leben lang seine Umgebung in der historischen Dimension erforscht: Das Entstehen der Drumlinlandschaft fasziniert schon den Knaben in Herschmettlen, ebenso wach ist sein Interesse für die Pflanzen und Tiere seiner Umgebung. Sein besonderes Augenmerk gilt den alten Wirtschaftsweisen, den Flurnamen, den Bauernhäusern und dem Leben darin. Jahrelang hat er Häuser besichtigt, aufgenommen, gezeichnet, dokumentiert und katalogisiert, zum Teil nebenberuflich, drei Mal auch während halb- oder ganzjähriger Urlaubsphasen vom Lehrerberuf. Als es dann aber gilt, sein Buch über das Zürcher Oberland abzuschliessen, gewähren ihm die Schulbehörden keinen weiteren Urlaub mehr, und andere müssen das Werk vollenden, das er von langer Hand und mit reichem Material vorbereitet hat.

      Ein ganz und gar ungewöhnliches Kleinod ist seine Herschmettler Chronik. Darin hat er zwischen 1949 und 1964 – also im Alter von 18 bis 33 Jahren – die Entwicklung seines Heimatdorfes zuoberst im Glatttal in 19 handgeschriebenen, kleinformatigen Heften dokumentiert.