Kobi beim Hüten der Kühe auf dem Gerbel – seine Lieblingsbeschäftigung auf dem elterlichen Hof. Die Weide hat keinen Zaun, der Hirte muss also sehr aufmerksam sein.
Als frech oder aufmüpfig kann man Kobi wegen solch einzelner Eskapaden aber nicht beschreiben. Vielmehr ist er ein zurückhaltender, oft in sich gekehrter, stiller Knabe, «mit starkem Hang zum Grüblerischen», wie es sein Lieblingsbruder Migg ausdrückt. Er beklagt sich bei seinen Geschwistern immer wieder, weil er sich einsam fühlt. Doch Einsamkeit und Langeweile weiss er schon früh kreativ zu nutzen. Kaum ist er des Lesens mächtig, verschlingt er Bücher. Er liest, was er in der Bibliothek seines Vaters oder bei den Baumann-Geschwistern findet oder was ihm Migg zusteckt: Heimatliteratur, Romantisches, Abenteuerromane, Klassiker, Lexika, aber auch Krimis und Schundhefte.
Kobi fehlt es keineswegs an Inspiration, und er beginnt zu schreiben. Er hat ebenso wie sein Vater und seine Geschwister Talent. Von seiner ersten Schulreise aufs Rosinli und auf den Pfäffikersee am 23.Juli 1938, einem heissen Sommertag, schreibt er einen detaillierten Bericht mit nur wenigen orthografischen Fehlern in ein winziges, selbst gebasteltes Heft. Und nur zwei Monate später entschliesst er sich, publizistisch aktiv zu werden. Im Selbstverlag namens Tierfang gibt er eine eigene Illustrierte heraus, die Herschmettler Heimat-Zeitung. Auf kleinste Blätter im Format 5,5 mal 7 Zentimeter schreibt er mit Bleistift Erlebnisse und Gedanken nieder. Dabei zeigt sich auch gleich sein zweites grosses Talent: das Zeichnen. Er wird die Symbiose zwischen Text und Illustration ein Leben lang in all seinen Publikationen beibehalten und pflegen. → S. 158–171
Für sich allein gestaltet er sein Werk nicht, es soll ja eine richtige Illustrierte sein. Bruder Migg ist anfänglich Mitherausgeber und erster Abonnent, seine Nachbarin Frieda Baumann die zweite. Später gehören zum treuen Leserkreis zuerst auch zwei, schliesslich drei Brüder Rüegg aus dem Unterdorf. Die fünfköpfige Leserschaft ist organisatorisch zusammengeschlossen: zuerst im Naturschutzbund, später im Heimatbund. Kobi lässt sein einziges, handgefertigtes Exemplar unter den Abonnenten zirkulieren und erhält es am Schluss zurück. Ordentlich wie er ist, sammelt er alle Exemplare über die Jahre hinweg in einer Kartonschachtel. Volle sechs Jahre, nur mit geringen Unterbrüchen, erscheint sein Werk erst im Wochenrhythmus, später monatlich. Nach und nach wird es grösser und endet 1944, im «Grossformat» 10 mal 14 Zentimeter.
Der Inhalt zeugt von Anfang an von den vielfältigen Interessen Kobis. Er porträtiert in kleinformatigen Farbstiftzeichnungen alte Schweizer Städte. Oder er stellt in Bild und Legenden zehn Kleearten vor. Ein andermal sind es vier Fasanenarten mit sehr schönen Farbstiftzeichnungen. Er beschreibt eine naturkundliche Wanderung im Mai. Dann wiederum startet er eine Serie von Porträts berühmter historischer Gestalten, meist mit einer Zeichnung auf dem Titelblatt: Johann Wolfgang von Goethe, Gottfried Keller, Königin Wilhelmina von den Niederlanden, Ludwig Uhland, Königin Victoria, William Shakespeare und die Frau von General Guisan finden sich darunter. Ein Schadenfeuer im Ritterhaus Bubikon nimmt Kobi zum Anlass für einen geschichtlichen Abriss zur prächtigen Johanniteranlage in seiner Nachbarschaft. Zum 1. August und zu Weihnachten gibts thematische Sondernummern.
Naturkundliche, historische und geografische Themen nehmen viel Raum ein. Aber auch eine Rätselecke und die Rubrik «Lustig» finden immer wieder Platz. Ein Beispiel: Der kleine Heiri murmelt beim Mittagessen vor sich hin: «Das isch schlächt.» Die Mutter ist erstaunt: «Du hast doch sonst das Voressen gern – oder hast du am Ende eine Gewürznelke erwischt?» Tatsächlich grübelt der Kleine zwischen seinen Zähnen ein solches Objekt hervor, legt es auf den Tisch und sagt, indem er es betrachtet: «Näi, es isch e Schruube.»
Frieda Baumann mit ihren Hühnern. Die Herschmettler Nachbarin weckt im kleinen Kobi die Wissbegierde und stillt sie mit zahlreichen Geschichten und Versen.
Selbstverständlich hat die illustrierte Heimat-Zeitung auch Inserate. Kobi erfindet Waschmittel- und Schokolademarken und preist deren Produkte an. Der Alleinredaktor macht Werbung für seine Leihbibliothek, bei der sich Abonnenten für eine Gebühr von einem Rappen pro Woche und Buch mit Lesestoff eindecken können. Oder er wirbt für die Heimatausstellung, welche die Zeitung alljährlich organisiert und die in der Stube von Frieda Baumann im Oberdorf stattfindet – inklusive Verköstigung. Frieda bereitet aus diesem Anlass jeweils eine Apfelwähe in ihrer alles andere als ordentlichen Küche inmitten von Hühnern und Katzen zu. Doch Migg Zollinger betont noch achtzig Jahre später: «Das Essen bei Frieda schmeckte uns besser als dasjenige zu Hause.»
Der Redaktor und Verlagsleiter in Personalunion richtet sich immer wieder mit wichtigen Mitteilungen an seine Leserschaft, so im Sommer 1944, im Alter von 13 Jahren:
«Brief an die Abonnenten
Die Heimat-Zeitung ist nun seit Mitte April nicht mehr erschienen.
Es war mir leider nicht möglich, sie regelmässig erscheinen zu lassen. Dagegen ist diese Nummer nun eine prächtige Doppelnummer.
Sie hat 28 Seiten! So dick und bunt war bis jetzt noch nie eine Heimat-Zeitung.
Da ich nun diesen Sommer nicht mehr viel Zeit zum drucken habe, habe ich beschlossen, dass die Heimat-Zeitung über den Sommer im Monat nur noch einmal erscheint. Dagegen wird sie immer 28 Seiten haben und viel reichhaltiger und schöner gestaltet sein. Ich schreibe sie dann auch mit Tinte, da diese viel besser leserlich ist.
Ich hoffe, dass dieser Plan meinen Lesern gefällt.
Hochachtungsvoll
Redaktor
J. Zollinger»
Seine Zeitung wird wie bereits erwähnt von einem Bund getragen: Naturschutzbund heisst er zuerst. Eines Tages stellt der Verleger fest, dass der ursprüngliche Name Tierfang-Verlag töricht sei. Woher er diesen Namen genommen hat, weiss wohl nur Kobi selbst. Heimat-Verlag passe viel besser zu Heimat-Zeitung, findet er nun, und so wird auch der Naturschutz- in einen Heimatbund umgewandelt.
Dennoch sind die Natur und deren Schutz schon dem Knaben ein grosses Anliegen, er ist ein Umweltschützer zu einer Zeit, in der es diesen Begriff noch gar nicht gibt. So empört er sich über ein Erlebnis auf einem Spaziergang und entschliesst sich, dem Redaktor der Heimat-Zeitung – also sich selbst – einen Leserbrief zu schicken.
«Ein trauriges Beispiel eines Naturschänders
Ich schritt eine sanft absteigende Strasse hinunter. An beiden Seiten der Strasse waren steile Böschungen, die mit Wiesensalbei und Schafgarbe bewachsen waren. Ich spähte zwischen die Kräuter, ob ich auch einige Erdbeeren fände. Aber ich fand nichts. Ich schritt weiter. Am Boden bemerkte ich etwas. Und was sah ich da? Im Strassengraben lag ein dicker, grosser Strauss Margueriten. Die grössten und schönsten Margueriten waren abgerissen worden, um dann auf schändlichste Weise fortgeworfen zu werden. Der Strauss war schon dürr und beschmutzt, sonst hätte ich ihn mit nach Hause genommen – Naturfreunde! lasst das gesagt sein. Bekämpft diese schändliche, ja grausame Untugend des Blumenfortwerfens!
J.Z.»
Man liest diese Zeilen mit Schmunzeln und erahnt darin bereits den hartnäckigen Naturschützer späterer Tage. Im Herbst 1944 wird die Heimat-Zeitung eingestellt. Kobi besucht jetzt die Sekundarschule in Gossau und setzt sich für seine publizistische Freizeittätigkeit neue Ziele.
Bei allem schriftstellerischen Eifer, der neben der Heimat-Zeitung auch noch unzählige erfundene Geschichten oder naturkundliche Sammlungen in Kleinformat hervorbringt: Nur aus Schulbankdrücken und Schreiben besteht der Alltag im Hause Zollinger nicht. Kobi betreibt zusammen mit Migg auch noch einen Reisebund. Dieser führt mit einer Handvoll Mitglieder an den Wochenenden Exkursionen in die nächste und etwas weitere Umgebung durch. Die Teilnehmer sind stets mit Botanisierbüchsen ausgestattet und sammeln fleissig interessante Objekte in der Natur. → S. 172–175
Und auch wenn er sie nicht liebt: Die Arbeit auf dem Hof fordert auch Kobis Mithilfe. Was da im Verlauf eines Jahres an Arbeiten zu leisten ist, beschreibt er in