Ende Februar besetzten royalistische Truppen abermals Lima. Erbittert über Bolívars Regime, das sie als Sklaverei, Tyrannei und Despotismus titulierten, nahmen Ex-Präsident Torre Tagle, die wichtigsten Offiziellen und über 300 Offiziere der »patriotischen« Armee ein Amnestieangebot an und liefen zu den Royalisten über. Bis März 1824 eroberten die spanientreuen Verbände weite Teile Perus zurück. Bolívar blieb praktisch nur mehr die Intendanz von Trujillo, wo er aber seine Armee intakt halten und Verstärkung aus Kolumbien abwarten konnte.
Erst von Pativilca, dann von der Stadt Trujillo aus organisierte Bolívar den Widerstand. Zivile Angelegenheiten übertrug er einem einzigen Minister, dem peruanischen Intellektuellen José Faustino Sánchez Carrión. Dieser war zuständig für die Etablierung ziviler Institutionen, die Sozialpolitik und die Rechtsprechung in den unabhängigen Gebieten. Demgegenüber kümmerte sich der »Libertador« um die militärischen Angelegenheiten wie den Truppennachschub aus Großkolumbien, die Rekrutierung neuer Kämpfer oder die Finanzierung der Kosten für Ausrüstung und Verpflegung. Bolívar setzte Quoten für Rekruten fest, welche die befreiten Provinzen des Nordens stellen mussten. Er nötigte die Kirche zu Spenden, ließ Kirchenschmuck, royalistisches Eigentum und Vermögen beschlagnahmen und Steuern eintreiben. Dringend benötigtes Eisen gewann man dadurch, dass man die schmiedeeisernen Ziergitter vornehmer Häuser aus der Verankerung riss und zusammen mit Häuserschlüsseln und sonstigen Gerätschaften in Kriegsmaterial umschmolz. Mittlerweile sorgte Großkolumbien für Nachschub an Soldaten, Waffen, Pferden und Maultieren. Auf dem Seeweg traf Verstärkung aus Panama und aus Guayaquil ein, darunter auch ein irisches Kontingent. Bis April 1824 zählte Bolívars Armee 8000 Mann – hauptsächlich Großkolumbianer, ergänzt durch peruanische Soldaten unter dem Kommando von Marschall José de la Mar. Die schlagkräftige Kavallerie setzte sich aus Gauchos der La-Plata-Region, chilenischen Huasos, Llaneros aus Großkolumbien und peruanischen Reitertruppen unter dem Kommando des englischen Generals William Miller zusammen. Die Soldaten erhielten einen regelmäßig ausbezahlten Sold in Höhe von einem halben Dollar (0,5 Peso) die Woche.
Mitte Juni verließ Bolívar zusammen mit einer Heeresabteilung Trujillo und zog über die Anden ins Gebiet von Cerro de Pasco. Dort vereinigte sich seine Einheit mit dem Rest der »patriotischen« Truppen. Am 6. August prallte Bolívars Heer in der Schlacht von Junín auf die royalistischen Truppen, die von General José de Canterac befehligt wurden. Wegen der Rebellion von General Olañeta in Hochperu konnten die Königstreuen nicht in ihrer vollen Stärke antreten. Mit einem riskanten Frontalangriff durchstieß die vom deutschen Major Otto Philipp Braun befehligte Schwadron Kolumbianer die Reihen der royalistischen Reitertruppen und sicherte sich unterstützt von der nachrückenden »patriotischen« Kavallerie den Sieg über die zahlenmäßig weit überlegene feindliche Kavallerie. Zwar gelang es Canterac, sich mit dem Großteil seiner Armee nach Cusco zurückzuziehen, doch waren die nördlichen Versorgungslinien durchtrennt. Nach dem Triumph überließ Bolívar den Oberbefehl Sucre und zog mit einem Truppenkontingent wieder zur Küste hinab. Im Dezember rückte er in Lima ein. Circa 4000 Zivilisten, darunter Ex-Präsident Torre Tagle, ehemalige Kongressabgeordnete, Adlige, Großkaufleute und deren Familien, flohen in die Festung im Callao. Sie fürchteten um ihr Leben, hatte doch Bolívar gedroht, die übergelaufenen »Verräter« hart zu bestrafen.
Kurz nachdem der »Befreier« Lima wieder unter seine Kontrolle gebracht hatte, bahnte sich im Hochland die Entscheidungsschlacht an. Vizekönig La Serna hatte im November von Cusco aus die Gegenoffensive lanciert. Auf Waffenhilfe seitens des abtrünnigen Generals Olañeta musste er nach wie vor verzichten. La Serna trieb seine Männer bis zur Erschöpfung vorwärts, während Sucre zurückwich. Am 9. Dezember standen sich die beiden Heere in Ayacucho gegenüber. Rein numerisch waren die Royalisten ihren Gegnern überlegen. La Sernas Truppen setzten sich aus schätzungsweise 6000 Peruanern, maximal 3000 Hochperuanern und 500 Europäern zusammen, wobei die Mehrheit der Einheimischen zwangsrekrutiert worden war. Unter Sucres Befehl standen – neben Minderheiten aus Chile, der Río-de-la-Plata-Region und Europa – 4000 Großkolumbianer und 1500 Peruaner. Unter Letzteren befanden sich mehrere Personen, die, zum Teil für nur kurze Zeit, Präsidenten werden sollten: Agustín Gamarra aus Cusco; Miguel San Román aus Puno sowie die Limeñer Manuel Ignacio Vivanco, Felipe Santiago Salaverry und Juan Crisóstomo Torrico.
Trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit trugen Sucres Truppen den Sieg davon. Während die »Patrioten« zwischen 300 und 370 Mann verloren, kamen auf der gegnerischen Seite schätzungsweise 1400–1800 Kämpfer ums Leben. Der verletzte Vizekönig geriet zusammen mit über 1000 Mitstreitern (darunter der gesamte spanische Generalstab und zahlreiche Offiziere) in Gefangenschaft. Un-
Abb. 6: Heldendenkmal in der Ebene von Quinua.
verzüglich wurden Verhandlungen über die Kapitulationsbedingungen aufgenommen. General Canterac unterzeichnete die Kapitulationsurkunde im Namen der spanischen Heeresführung; Sucre firmierte als ranghöchster Offizier des Siegerheers. Die Gefangenen konnten selbst entscheiden, ob sie in Peru bleiben und sich den »Patrioten« unterstellen oder aber nach Spanien ausreisen wollten. La Serna und weitere hochrangige Spanier traten unverzüglich die Heimreise (via Quilca und Rio de Janeiro) an. Alles in allem machten fast 400 Offiziere und eine ähnlich hohe Zahl an Soldaten vom Recht auf Repatriierung Gebrauch. Die Mehrheit der Männer, die sich in Ayacucho ergeben hatten oder unmittelbar nach der Schlacht in Gefangenschaft geraten waren, entschied sich für einen Verbleib in Südamerika.
Mit Sucres Sieg in der Entscheidungsschlacht von Ayacucho hatte Bolívar seinen militärischen Auftrag erfüllt. Einem ordnungsgemäßen Verzicht auf seine Sondervollmachten stand damit faktisch nichts im Wege. Jedoch hatte der »Libertador« andere Pläne. Er ließ in Lima einen Rumpfkongress zusammentreten, um diesem pro forma seinen Rücktritt als Diktator anzubieten. Angesichts der Militärpräsenz blieb den Abgeordneten nichts anderes übrig, als die diktatorischen Vollmachten des »Befreiers« am 10. Februar 1825 einstimmig um ein weiteres Jahr zu verlängern. Bevor er die Hauptstadt mit dem Ziel Süd- und Hochperu verließ, delegierte Bolívar sein politisches und militärisches Mandat an ein Triumvirat (Consejo de Gobierno) unter dem Präsidium von Marschall José de la Mar.
»Patriotinnen«
Die Unabhängigkeitsbewegung konnte auf die aktive Unterstützung zahlreicher Frauen aus allen Schichten zählen. Bald unterstützten oder begleiteten die »Patriotinnen« ihre kämpfenden Männer und Söhne, bald spionierten sie den Feind aus und leiteten als Botinnen geheime militärische Informationen weiter. Sie halfen bei der Rekrutierung mit, sorgten für die Verletzten und organisierten oder spendeten Geldmittel. Eine Minderheit gebildeter Frauen nahm an den lebhaften Debatten teil, welche die Zukunft ihrer Region bestimmten, oder widmete sich der Propagandaarbeit. Vor dem Einmarsch San Martíns anfangs Juli 1821 versteckten Limeñerinnen Deserteure und Kranke aus den Reihen der abziehenden royalistischen Truppen, wodurch sich deren Mannschaftsbestand deutlich minderte. Selbst Damen der Oberschicht ergriffen Partei für die Unabhängigkeit, sei es im Rahmen von konspirativen Treffen hinter verschlossenen Türen oder in Abendgesellschaften, sei es beim Verfassen und Verbreiten von Proklamationen und Berichten. Doña Petronila Fernández de Paredes versteckte im Keller ihres Wohnhauses eine konspirative Druckerei, während Carmen Larriva de Gonzales als Redakteurin für die »patriotische« Zeitschrift El Satélite Artikel schrieb.
Am untersten Ende der sozialen Skala standen Schwarze und Sklavinnen, die sich ebenfalls in den Unabhängigkeitskriegen engagierten. In der Hoffnung auf Freilassung und Verdienst arbeiteten schwarze Frauen in den Heeren als Köchinnen, Dienstmägde, Krankenschwestern und Marketenderinnen. Sie betätigten sich als Spioninnen, manchmal sogar als Soldatinnen oder treue Begleiterinnen ihrer kämpfenden Männer. Andere setzten sich dafür ein, dass ihren Männern und Söhnen der Sold ausbezahlt wurde, oder sie forderten die Ausmusterungsdokumente ein, welche im Falle ehemaliger Sklaven deren Diensterfüllung und damit das Recht auf Freiheit bestätigten. Ein Beispiel für eine Truppenführerin ist die Mestizin Juana Azurduy aus