Zu Beginn des Aufstandes konnten die Verfassungsbefürworter auf breite Unterstützung aus fast allen städtischen Gesellschaftsschichten zählen – der niedere Klerus, der Bischof und der Stadtrat mit inbegriffen. Anfänglich versicherten sie, dass die Verfassung von Cádiz die einzige Richtschnur ihres Handelns sei. Mit der Ausweitung und Radikalisierung der Bewegung rückten jedoch neue Optionen ins Blickfeld: die Etablierung einer von der spanischen Krone unabhängigen Regierung mit Cusco als neuer Hauptstadt. Im selben Maß, wie die Aufstandsbewegung einen dezidiert antispanischen Charakter annahm, schwand die Unterstützung seitens der vermögenden Kreolen und Mestizen, die zudem über den wiederholten Einzug von »freiwilligen« Spenden zur Finanzierung der Erhebung verärgert waren. Besetzungen von landwirtschaftlichen Gütern (Haciendas), Überfälle, Plünderungen und Gewaltexzesse sowie die Exekution hoher vizeköniglicher Funktionäre taten ein Übriges. Schließlich entzog auch der Cusqueñer Stadtrat den Aufständischen seine Unterstützung.
Neue Angriffsstrategie
Drei Mal waren »patriotische« Truppen aus der Río-de-la-Plata-Region in Hochperu eingedrungen, um vom heutigen Bolivien aus das Vizekönigreich Peru anzugreifen. Und drei Mal hatten royalistische Verbände die Vorstöße zurückgeschlagen. Die Misserfolge bewogen den »patriotischen« General José de San Martín zu einer fundamentalen Änderung der Angriffsstrategie: Peru sollte nicht mehr über den langwierigen Landweg attackiert werden, sondern von seiner südlichen Flanke in Chile aus, und zwar auf dem Seeweg. Voraussetzung zur Verwirklichung dieses kühnen Planes waren die riskante Überquerung der Anden, die Eroberung des Generalkapitanats Chile sowie die Übernahme der Seeherrschaft im südlichen Pazifik.
Gegen Ende des Jahres 1816 stand San Martíns Armee bereit, um von Mendoza aus über die Anden in Chile einzumarschieren. Über mehrere Einfallsachsen rückten die Truppen ins Generalkapitanat vor. Während der Überquerung der Berge, die ungefähr 20 Tage beanspruchte, mussten die einzelnen Heeresteile Passhöhen von bis zu 5000 m bewältigen. Unter den 5000 Soldaten befand sich ein großes Kontingent ehemaliger Sklaven und eine Handvoll Europäer – Veteranen der Napoleonischen Kriege. Nach verschiedenen blutigen Zusammenstößen fiel die definitive Entscheidung in der Schlacht von Maipú (auch: Maipó) am 5. April 1818. Die 3000 Mann starken royalistischen Verstärkungstruppen aus Peru – die Hälfte davon Peruaner, die andere Hälfte Europaspanier, die frisch aus Panama eingetroffen waren – wurden vernichtend geschlagen. Dank diesem Sieg war die Unabhängigkeit Chiles erkämpft, auch wenn im Süden noch einige Jahre royalistische Guerillas operierten und die letzte spanische Festung auf Chiloé sich erst im Jahr 1826 ergab. Mit der Niederlage von Maipú verlor Peru einen Teil seiner Pazifikflotte und büßte eine seiner dynamischsten Handelszonen ein. Dem königlichen Schatzamt in Lima entgingen die substanziellen Abgaben auf Getreide- und Talgimporte beziehungsweise Zucker- und Melasse-Exporte, während der legale Überseehandel mit Spanien über die Kap-Hoorn-Route praktisch zum Erliegen kam. Bislang waren jährlich rund 180 000 Fanegas (ca. 10 Million Liter) chilenisches Getreide nach Lima verschifft worden. Mit der Unterbrechung des Handels schlitterte die Hauptstadt in eine lange Versorgungskrise, in der Getreidemangel, Lebensmittelspekulation und Hunger eine verheerende Rolle spielen sollten.
Nicht nur im südlichen, auch im nördlichen Südamerika mussten die Royalisten herbe Niederlagen einstecken. Im Juli 1818 nahmen Simón Bolívars Truppen im nordöstlichen Venezuela die Stadt Angostura (heute Ciudad Bolívar) ein. Damit verfügten auch Venezuelas »Patrioten« über einen festen Stützpunkt, der ihnen als Aufmarschgebiet gegen die Spanier diente. Selbst innerhalb Perus flackerten wieder Unruhen auf, so im Juli in der Provinz Andahuaylas und im Oktober in der Provinz Aymaraes.
Unterdessen erstanden die »Patrioten« Zentralchiles in London Schiffe und Ausrüstungsmaterial. Als Kommandanten für ihre neu geschaffene Flotte mit sieben Kriegsschiffen gewannen sie den schottischen Lord Thomas Cochrane, einen der bekanntesten Marineoffiziere Großbritanniens. Im Januar 1819 stieß Cochranes Flottenverband, dem auch ein Kontingent von 100 Schwarzen aus der La-Plata-Region angehörte, in peruanische Gewässer vor. Die Kriegsschiffe nahmen Limas Hafen Callao unter Beschuss. Während ein Teil der Flotte den Hafen abriegelte, griff Cochrane mit den restlichen Schiffen Häfen entlang der Nordküste an. »Patriotische« Emissäre gingen an Land, verteilten Propagandamaterial und nahmen Kontakte zu peruanischen Unabhängigkeitskämpfern und Rebellenführern auf. Gleichzeitig verschlechterte sich die Sicherheitslage im peruanischen Küstengebiet merklich: Sklaven flohen aus den Plantagen, subversive Aktivitäten hatten Hochkonjunktur, das Banditentum wucherte und Raubüberfälle auf den Straßen häuften sich.
Angefangen mit Supe am 5. April proklamierten mehrere peruanische Küstenorte die Unabhängigkeit. Lord Cochrane gelang es aber nicht, Lima in die Knie zu zwingen. Im Mai hob er die Blockade des Hafen Callao auf und segelten nach Chile zurück. Im September des gleichen Jahres fuhren Cochranes Schiffe abermals Richtung Norden los. Sie sperrten erneut die Zufahrt zu Limas Hafen und stießen anschließend bis nach Guayaquil vor. Ohne vorgängige Absprache mit der chilenischen Regierung nahm Cochranes Flottenverband Anfang Februar 1820 in einem Husarenstreich den stark befestigten Hafen von Valdivia in Südchile ein. Außerdem gelang es dem Schotten, royalistische Verstärkung aus Spanien abzufangen, den spanischen Handel im Südpazifik zu unterbinden und die peruanische Küste weiterhin unsicher zu machen. Dem nicht genug: Mit der tollkühnen Kaperung der gut gesicherten Fregatte Esmeralda im Hafen Callao im November erwies der schottische Marineveteran der Unabhängigkeitsbewegung einen unschätzbaren Dienst. Denn mit der Esmeralda, die über 44 Kanonen verfügte, verloren die Königstreuen das Flaggschiff ihrer Pazifikflotte.
Die Ausrufung der Unabhängigkeit
Der Hafen von Valparaíso bildete das Aufmarschgebiet für die »patriotischen« Invasionstruppen. Chiles Oberster Staatsführer Bernardo O’Higgins (1817–1823) übertrug dem befreundeten San Martín das Chefkommando mit weitgehenden politischen und militärischen Vollmachten. Die Seestreitkräfte befehligte, im Range eines Vizeadmirals, Lord Cochrane. Am 21. August 1820 lichteten 18 Transport- und sieben Kriegsschiffe ihre Anker. Neben 1600 Seeleuten waren die Division der Anden und die Division von Chile mit einer Truppenstärke von rund 4500 Mann sowie 35 Feldgeschütze an Bord. Bei rund 2000 Männern, die als Infanteristen, Kavalleristen, Artilleristen oder Seeleute dienten, handelte es sich um freigelassene Sklaven. Unter den Hauptleuten befanden sich Briten und US-Amerikaner. Buenos Aires beteiligte sich nicht an der Finanzierung der Militärexpedition, sodass der chilenische Staat die hohen Kosten allein zu schultern hatte. Am 7. September 1820 erreichte der Flottenverband