Dass die Unterstützung der »patriotischen« Seite lebensgefährlich war, musste María Andrea Parado de Bellido aus Ayacucho erfahren. Ihr Ehemann und ihre zwei Söhne bekämpften im Hochland als Freischärler die Loyalisten. In einem Brief, den die Analphabetin einem Vertrauten diktiert hatte, warnte sie ihren Gatten vor den anrückenden gegnerischen Truppen. Ihr Mann konnte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen, doch fiel der Brief in Feindeshände. Doña María wurde verhaftet. Weil sie sich standhaft weigerte, den Namen des Briefeschreibers und weitere Informationen preiszugeben, wurde sie am 1. Mai 1822 vor ein Exekutionskommando gestellt und erschossen.
Die Kriege um die Unabhängigkeit brachten unermessliches Leid und trieben viele Frauen in bittere Armut. Manche retteten ihr Leben, verloren aber Väter, Ehemänner oder Söhne. Ein Teil der Frauen verließ ihre Heime, andere wurden von Soldaten ausgeraubt und vergewaltigt. In Abwesenheit der kämpfenden Männer mussten die Frauen allein den Betrieb, das Geschäft oder den Hof führen – zusätzlich zu den herkömmlichen Aufgaben wie dem Führen des Haushalts und der Erziehung der Kinder.
Hochperu (Bolivien)
Nach dem Sieg von Ayacucho fiel dem zum Marschall beförderten Sucre die Aufgabe zu, den letzten spanischen Widerstandsherd unter General Olañeta in Hochperu zu brechen. Von Puno aus eröffnete er im Februar 1825 mit einem vorwiegend aus Großkolumbianern bestehenden Heer die Offensive. Nach ersten militärischen Erfolgen des Befreiungsheeres riefen zahlreiche hochperuanische Orte die Unabhängigkeit aus. Während Olañeta am 1. April bei einem Scharmützel unter seinen eigenen Leuten einen gewaltsamen Tod fand, nahmen seine Soldaten Sucres Amnestieangebot an und streckten kampflos die Waffen.
Einem Aufruf von Marschall Sucre folgend, trafen im Juli 48 Abgeordnete aus allen hochperuanischen Provinzen in Chuquisaca zusammen, wo sie sich für die Selbstbestimmung und einen eigenen Staat aussprachen. Die offizielle Verkündigung der Unabhängigkeit – zugleich die Geburtsstunde der neuen Republik – fiel auf den 6. August 1825. Das einstige Hochperu nahm zu Ehren Bolívars den Namen Bolívar an, eine Bezeichnung, die später in Bolivia (Bolivien) umgewandelt wurde. Dem »Libertador« wurde die höchste Exekutivgewalt übertragen. Zudem sollte er eine Konstitution für Bolivien verfassen. Bolívar seinerseits verpflichtete sich, Perus Zustimmung zum Unabhängigkeitsentscheid zu erwirken und versprach, eigenhändig eine Verfassung auszuarbeiten. Während Sucre mit seinen Truppen in Bolivien blieb, reiste der »Libertador« nach Lima zurück, wo er am 10. Februar 1826 eintraf. Nach neun Monaten waren die Arbeiten an der neuen Verfassung, die auch für Peru und Großkolumbien gelten sollte, vollendet (25. Mai 1826). Kurz zuvor hatte der »Befreier« auch die Anerkennung der Unabhängigkeit Boliviens durch Peru durchgesetzt. Bolívars Verfassung erhielt die Bezeichnung »La Vitalicia« (die Lebenslange), weil sie dem auf Lebenszeit ernannten Präsidenten eine enorme Machtfülle zugestand. Der bolivianische Kongress nahm den Verfassungsentwurf bis auf wenige Änderungen im November 1826 an. Bolívars Vorschlag Folge leistend, bestimmten die Abgeordneten Marschall Sucre zum Präsidenten auf Lebenszeit.
In Peru stieß Bolívars Projekt einer Andenkonföderation aus Großkolumbien, Peru und Bolivien auf wenig Gegenliebe. Repräsentanten der peruanischen Oberschicht fürchteten um ihre privilegierte Stellung. Wegen despotischer Entscheide und wegen der kostspieligen kolumbianischen Truppenpräsenz machten sich zunehmend Unmut und Widerstand gegen den »Befreier« breit. Öffentliche Hinrichtungen von angesehenen Regimegegnern und die Verbannung prominenter Oppositioneller schürten den Hass gegen die Großkolumbianer. Unpopulär waren überdies die Zwangsrekrutierungen junger Peruaner, von denen schätzungsweise 5000 ihren Wehrdienst im fernen Kolumbien ableisten mussten. Spätestens mit der Kapitulation der letzten spanischen Truppen im Hafen Callao anfangs Januar 1826 war der militärische Auftrag des »Befreiers« endgültig vollendet, und einem ehrenhaften Abzug stand nichts mehr entgegen. Dennoch zog es Bolívar vor auszuharren und weiter die Fäden aus dem Hintergrund zu ziehen. Infolgedessen kam es in Ica zu einem Aufstand, im zentralen Hochland formierten sich Freischärlertruppen und Putschisten schmiedeten Umsturzpläne. Zwar konnten die Verschwörungen aufgedeckt und der Kongress gefügig gemacht werden – auf Drängen Bolívars nahm eine verfassunggebende Versammlung am 16. August die Vitalicia an und bot dem »Libertador« die damit verbundene Präsidentschaft auf Lebenszeit an – aber eine Wirtschaftskrise und Spannungen in Großkolumbien bewogen den »Befreier« schließlich doch noch zum Verlassen des Landes. Am 4. September 1826 schiffte er sich mit Ziel Guayaquil ein, wobei er ein stattliches Kontingent großkolumbianischer Truppen in Lima zurückließ. An Perus Staatsspitze stand nun Großmarschall Andrés de Santa Cruz, den Bolívar im Juni 1826 zum Präsidenten eines Regierungskomitees und Chefkommandanten von Armee und Marine berufen hatte. Nach einer Rebellion der großkolumbianischen Truppen in Lima, die wegen ausstehender Soldzahlungen meuterten, organisierte Santa Cruz deren Abzug. Am 18. März schifften sich die Großkolumbianer für ihre Heimreise ein. In Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzesbestimmungen berief Santa Cruz eine außerordentliche verfassunggebende Versammlung ein, die den Marschall José de la Mar im Juni zum neuen Präsidenten der Republik wählte.
Genau wie in Peru wünschte auch in Bolivien eine Mehrheit der Bevölkerung einen raschen Abzug der großkolumbianischen Truppen. Bolívars Vertrauter und Präsident auf Lebenszeit Sucre hatte mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Aufgrund der finanziellen Belastungen, die Verpflegung und Besoldung seiner Truppen nach sich zogen, nahmen Anfeindungen stark zu. Einst euphorisch als Befreier begrüßt, wünschten die Bolivianer nach zahlreichen Übergriffen und Konflikten den unverzüglichen Abzug der als Besatzer empfundenen Streitkräfte. Zudem ließen Kontrahenten Bolívars wie der peruanische General Gamarra (siehe unten) nichts unversucht, um den Abzug der Großkolumbianer zu erzwingen. Bei einer Kasernenmeuterei wurde Präsident Sucre von eigenen Soldaten verletzt. Peruanische Truppen marschierten im zerstrittenen Nachbarland ein und erzwangen den Abzug aller ausländischen Truppen. Im August 1828 verließ Sucre für immer Bolivien. Die letzten seiner Soldaten schifften sich am 29. September in Arica Richtung Großkolumbien ein. Im folgenden Jahr kürte der bolivianische Kongress mit Andrés de Santa Cruz einen Präsidenten, der zuvor höchste militärische und politische Ämter in Peru ausgeübt hatte.
Die letzte spanische Festung
Nach den militärischen Niederlagen im Hochland blieb die Festungsanlage Real Felipe im Hafen Callao die letzte royalistische Fluchtburg in Peru. Unter dem Kommando von General José Ramón Rodil verschanzte sich eine rund 2500 Mann starke Truppe in der Festung. In den Schutz ihrer Mauern flüchteten sich außerdem mehrere Tausend Zivilisten – hauptsächlich Angehörige der Oberschicht – mit ihrem Hab und Gut. In der belagerten Festung wurden bald die Lebensmittel knapp; Typhus und Skorbut brachen aus. Hunger und Krankheiten forderten mehr Menschenleben als die Schlachten von Junín und Ayacucho zusammen. Zahlreiche Adlige mit klingenden Namen starben eines elenden Todes. Prominentestes Opfer war der zweite Präsident der Republik, der Marquis von Torre Tagle, der zusammen mit Frau und Sohn umkam.
Nach 14 qualvollen Monaten des sinnlosen Ausharrens kapitulierte Rodil am 22. Januar 1826. Während dieser Zeit verlor er schätzungsweise 2000 seiner Soldaten, wobei Hunger und Seuchen etwa doppelt so viele Todesopfer wie die Kampfeinsätze forderten. 200 Uniformierte wurden wegen konspirativen Handlungen oder wegen Desertionsversuchen verurteilt und hingerichtet. Vor die Wahl gestellt, in Peru zu bleiben oder nach Spanien auszureisen, entschieden sich weniger als 100 der 400 überlebenden Militärs für die Ausreise. Über die zivilen Opferzahlen gehen die zeitgenössischen Angaben stark auseinander. Insgesamt sollen zwischen 2700 und 4000 Zivilisten jämmerlich gestorben sein.
Bilanz von Bolívars Diktatur
Mithilfe fähiger Mitarbeiter schuf Bolívar die organisatorischen Grundlagen für das peruanische Staatswesen. Persönlich arbeitete er eine Verfassung aus, die allerdings nur 50 Tage in Kraft war. Bolívars Regierung war verantwortlich für die erste republikanische Verwaltungsgliederung, die Etablierung des obersten Gerichtshofs in Lima sowie die Einrichtung von Gesundheitskomitees