Nach solchen Erlebnissen, denn es sollten noch ähnliche kommen, war ich sehr ermutigt, weiterhin die Achtsamkeit zu üben und auch das Nicht-Anhaften, wozu es gleich am nächsten Tag eine gute Gelegenheit gab.
Ich hatte mir einen schönen Platz für meinen Gehpfad ausgesucht, zwischen zwei großen Bäumen im Halbschatten liegend, und ihn sehr ordentlich gefegt.
Als ich an diesem Nachmittag zu ‚meinem‘ Pfad ging, sah ich schon von Weitem, dass ein anderer darauf wandelte. ‚Das kann doch nicht wahr sein, sieht er denn nicht, dass er schon von jemand anderem angelegt und genutzt wird? Dieser Egoist! Ich glaub, es geht los …‘
Der Ärger über diese Unverschämtheit baute sich immer mehr auf, und als mich der darauf Wandelnde freundlich anlächelte, war ich sprachlos. Ich erinnerte mich an das Nicht-Anhaften, lächelte leicht gezwungen zurück und lief einfach weiter. Na, das hatte ich gut gemacht, dachte ich mir, gerade noch die Kurve gekriegt.
Ich ging zurück zu meiner Hütte, machte ein Feuer, kochte mir einen Kaffee und rauchte unerlaubterweise eine halbe Zigarette.
Achtsamkeit machte Spaß. Die kleinen Dinge wurden immer interessanter, und da ich beobachtet hatte, dass sich alles von klein nach groß entwickelte und aufbaute, wandte ich dieses Prinzip auch beim Feuermachen an. Ich legte kleine Hölzchen aufeinander, zündete sie an und legte immer größere darauf, bis das Feuer schließlich groß genug war, um Wasser zu kochen. Es war eine Geduldsübung.
Die Gehmeditation übte ich nun bei meiner Hütte und lief im Uhrzeigersinn um sie herum. Ich bemerkte den Schatten des Dachs auf dem Sand. Ich nahm einen Stock und zeichnete die Außenrisse des Schattens nach, um nach einigen Umrundungen meiner Hütte festzustellen, dass der Schatten sich weiterbewegt hatte, die von mir gezeichnete Linie aber nicht. Und so zeichnete ich immer wieder den neuen Schatten nach und ein tiefes Gefühl von Zeitlosigkeit und Hiersein durchflutete mich. Hier – immer nur Hier, das war es. Hätte ich dieses ‚Kunstwerk‘ auf Leinwand gemalt, hätte ich es ‚Zeitlinien‘ genannt.
Keine Gedanken gerade an irgendetwas, woran auch? Das, was ich gerade erlebte, war viel zu spannend, um es mit Gedanken zu kontaminieren. In dieser Zeitlosigkeit fühlte ich eine Stille, die sich für einen Teil in mir etwas beängstigend anfühlte. Aber dann war da noch dieser Beobachter in mir, der beides wahrnahm, sowohl die tiefe Stille als auch das Ängstliche, und von der Warte des Beobachters aus gab es nichts Beunruhigendes mehr. Ich war erfüllt von tiefer Freude und dem Gefühl, am richtigen Platz zu sein, und irgendwie ging es mit der Erleuchtung langsam, aber sicher voran, so dachte ich.
Ich machte es mir abends zur Gewohnheit, mich mit dem Wasser zu duschen, das bei Regen vom Dach meiner Kuti herablief und sich in einem Tonkrug von der Größe einer Tonne sammelte. Vor meiner Hütte war ein Pflanzenbeet angelegt, mit ein paar Trittsteinen darin. Ich stellte mich auf diese Steine und übergoss mich mit Regenwasser in der Absicht, Wasser zu benutzen, aber es nicht zu verschwenden, und wässerte damit gleichzeitig die Pflanzen. Das fühlte sich verdammt gut an, und ich fühlte mich eingebunden in den großen Kreislauf des Seins und des Werdens.
Diese Zufriedenheit war einem Teil in mir verdächtig – es kann doch nicht so einfach sein!?
Während einer unserer Gruppenmeditationen war ich mit dem Atem so sehr verbunden, dass ich jeden einzelnen Atemzug spürte, und plötzlich hörte ich eine Stimme von irgendwoher: „Du bist getragen von einer Welle fließender Existenz.“
War das Gott, der zu mir sprach? Aber im Buddhismus glaubte man ja nicht an einen Schöpfergott, und ich erklärte es mir so, dass es die innere Weisheit war, die da zu mir sprach. Und die Erleuchtung rückte in fühlbare Nähe, so dachte ich.
Ein paar Tage später ging ich in eine der Toiletten, hockte mich auch hier sehr achtsam nieder und war dabei, Tage zuvor Gegessenes wieder auszuscheiden. In dem Moment ‚sah‘ ich den gesamten Kreislauf des Essens. Ich sah die Reisfelder und die Bauern, die sie bewirtschafteten, sah, wie sie ernteten, wie der Reis gekocht, in Teller abgefüllt, in Münder geschoben und in Körpern verdaut wurde. Ich verstand, wie das verdaute und ausgeschiedene Essen wieder zu Erde wurde, zum Dünger für Bäume und andere Pflanzen. Ich sah und verstand diesen ganzen Kreislauf.
Auch diese Einsicht dauerte nicht länger als ein, zwei Sekunden, und ich fühlte mich erfüllt, eingebunden, ja weise und auf alle Fälle auf dem richtigen Weg.
Auf der anderen Seite von Suan Mokkh sollte ein neues Meditationszentrum entstehen und so gingen wir zweimal die Woche dorthin, um zu arbeiten. Wir schleppten Sand und Zement, verteilten Erde, trugen Steine und folgten den Anweisungen von Ajahn Po, der das alles gut im Blick hatte.
Zum Arbeiten war ich eigentlich nicht hierhergekommen, dachte ich so bei mir, und fühlte mich in meiner Meditation etwas unterbrochen. Das Wort – Nicht-Anhaften – kam mir plötzlich wieder in den Sinn und ich erinnerte mich daran, dass Ajahn Buddhadasa einmal sagte: Wenn man nur seine Aufgaben erfülle, sei das schon das Ausüben des Dhamma.
Egal, ich arbeitete weiter und lernte so auch die anderen kennen.
Darunter war Pierre, ein ‚französischer‘ Schweizer. Er war fünfundvierzig Jahre alt, hatte in Frankreich seinen Verlag verkauft, lebte zurzeit auf Hawaii und war am Überlegen, ob er nach Thailand übersiedeln sollte. Er nahm es mit der Achtsamkeit sehr genau und füllte die Eimer und Schubkarren sehr langsam und bedächtig mit den Händen – denn es komme ja nicht darauf an, etwas schnell zu erledigen, sondern achtsam. Wie war das doch gleich wieder mit der Geduld? Wir lernten uns später gut kennen und wurden Freunde.
Ein weiterer in der Gruppe war Paul aus Österreich. Er war vor vier Wochen in Suan Mokkh angekommen und hatte ein Jahr lang in einem Zen-Kloster in Japan gelebt.
Die dortige Praxis drehte sich größtenteils um die Lösung rätselhafter Fragen, genannt Koans, die der Lehrer seinen Schülern stellte.
„Ein Koan kann man nicht durchs Denken lösen, sondern die Antwort muss aus deinem intuitiven Verständnis kommen“, meinte er. Einige der bekanntesten Koans lauten: ‚Wie klingt der Klang einer klatschenden Hand?‘ oder: ‚Wie sah dein Gesicht vor der Geburt deiner Eltern aus?‘
„Und darauf gibt es Antworten?“, fragte ich sehr erstaunt. „Ja“, meinte Paul, „der Sinn eines Koans ist es, das Denken anzuhalten und die Intuition zu schärfen, und aus diesem Raum kommen die Antworten.“
Ich wollte es ausprobieren und er meinte: „Okay, versuch’s mal hiermit: Ein Wildpferd rast auf dich zu. Halte es an!“ Alles klar.
Im Geiste sah ich nun dieses Wildpferd auf mich zurasen und versuchte, es anzuhalten. Ich warf ihm ein Lasso um den Hals. Falsche Antwort. Ich baute ein enges Gitter drumherum, auch die falsche Antwort. Dann erschoss ich es, ganz falsche Antwort, und Paul meinte, es könne Monate dauern, bis man eine Lösung aus dem Raum der Intuition bekommen würde.
Ich übte mich weiter in Meditation und eines Abends sah ich dieses Wildpferd wieder vor meinem inneren Auge auf mich zurasen und war sehr überrascht, was ich dann tat: Ich sprang einfach auf.
Wow, dachte ich, das ist die Lösung, einfach aufspringen. Und da es jetzt keine Trennung mehr zwischen dem Pferd und mir gab und ich immer da war, wo es war, hatte ich es auf diese Weise angehalten. Paul schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein.
Ab und zu hielt Ajahn Buddhadasa Vorträge, meist morgens, wenn er sich am fittesten fühlte; schließlich war er schon achtzig Jahre alt. Wir hörten ihm auf dem Boden sitzend zu, den Geräuschen des Dschungels lauschend, während Santikaro das Gesagte ins Englische übersetzte, und irgendwann fingen die Hühner und Hähne an zu gackern.
Ajahn Buddhadasa sprach immer wieder von der zentralen Bedeutung der Meditation und davon, dass man am Atem alle Gesetzmäßigkeiten des Universums erleben könne, nämlich