Es war kurz nach Weihnachten, als ich mich freudig und leicht mit meinem Rucksack und einem Ticket auf den Weg nach Bangkok machte.
Wat Pang Bua – das Kloster am Lotusteich
Anna war schon zwei Tage in Bangkok und wir trafen uns im vereinbarten Hotel, fielen uns in die Arme, und es fühlte sich so an, als ob keine Zeit seit unserer letzten Begegnung verstrichen war. Sie sah gut aus, hatte ihre Haare hellblond gefärbt, und wir erzählten einander die Geschehnisse der letzten Monate.
Wir hatten Pläne: erst nach Koh Samui und dann gemeinsam nach Indien.
Koh Samui war wie immer – Sonne, Strand und Meer. Art und Andy waren auch wieder da und wir machten das, was man auf so einer Insel eben macht. Wir hatten ja schon Übung darin.
Ich erfuhr, dass es hier auch ein kleines Kloster gab, namens Wat Pang Bua, was so viel heißt wie ‚Kloster am Lotusteich‘. Es war ein Zweigkloster von Suan Mokkh, und zu meiner Freude würde dort bald ein Meditationskurs stattfinden. Voller Begeisterung erzählte ich Anna davon, die ebenfalls Interesse zeigte, mitzumachen. Einige Tage später meldeten wir uns an und checkten ein.
Es war wieder ein Schweigekurs und Anna und ich würden nun zehn Tage keinen Kontakt miteinander haben. Santikaro war da, Ajahn Ranschuan und Ajahn Po, ein damals zirka sechzigjähriger Thai-Mönch, der in Suan Mokkh als zweiter Abt fungierte. Sein Englisch war eher dürftig und sehr bedächtig, aber es klang irgendwie süß.
Wie mir jemand erzählte, hatte Ajahn Po sieben Jahre in einer Höhle gelebt, und er meinte später mal, dass man im Dunkeln das Licht seines Geistes einschalten müsse.
Er hatte angeblich fortgeschrittene Stufen der Meditation erlangt, manche behaupteten sogar über ihn, dass er geistige Kräfte wie das Gedankenlesen und Ähnliches entwickelt habe.
Einige Jahre später kam er mir mal in einer stockdunklen Nacht entgegen und stand plötzlich vor mir. Ich selbst hatte natürlich eine Lampe in der Hand, denn es gab hier sehr viele Giftschlangen, und man musste besonders nachts aufpassen, wohin man seinen Fuß setzte. Aber er lief ohne Lampe herum. Bei einem späteren Retreat fiel ein Teilnehmer von einem Podest herunter und musste ins Krankenhaus gebracht werden, und obwohl sich Ajahn Po zu der Zeit drei Kilometer weiter weg aufhielt, meinte er am nächsten Morgen, was denn gestern Abend passiert sei, denn er sei unruhig geworden.
Es gab ein Problem mit den Toiletten in diesem Kloster, denn sie wurden nur noch für diese Retreats benutzt, die vielleicht viermal im Jahr stattfanden. Die Wurzeln der Bäume wuchsen in die Abwasserrohre hinein und verstopften alles, so dass nichts mehr abfließen konnte. Ajahn Po suchte Freiwillige, die sich dieses Problems annahmen. Ist ja klar, dass ich dabei war.
Er wickelte etwas Stacheldraht um ein Bambusrohr, damit wir so die Wurzeln und alles, was sich da noch so verfangen hatte, herausziehen konnten. Wir machten uns an die Arbeit, aber die Wurzeln waren zu dick geworden, so dass diese ‚Werkzeuge‘ einfach nicht funktionierten. Ich musste kurz überlegen, griff dann aber mit bloßen Händen beherzt in diese Rohre und riss alles, was da drinnen war, heraus. Nach erledigter Arbeit mussten wir uns erst mal ordentlich waschen. Es fühlte sich irgendwie gut an, trotz der ganzen Fäkalien an Armen und T-Shirt.
Ajahn Po lächelte uns anerkennend zu und meinte, dass wir uns gerade in Dhammaduty geübt hätten, einer zu erledigenden Aufgabe, die für alle nützlich sei. Selbstloses Tun und das Erfüllen einer notwendigen Aufgabe seien genauso wichtig und nützlich wie Meditation, meinte er noch.
Ich konnte das zwar nicht ganz glauben, freute mich aber über sein Lob und seine Anerkennung. Das kam meiner frühkindlichen Konditionierung entgegen, denn Lob verschaffte mir eine gewisse Sicherheit des Seins im Leben.
Dann traf ich einen weiteren Westler in Mönchsroben, der Ajahn Po bei diesem Retreat unterstützen sollte. Ich sprach ihn auf Englisch an und er antwortete mir auf Englisch. Definitiv hörte ich hier einen bayrischen Slang heraus. Und so war es auch.
Viriya war sein Mönchsname und er lebte eigentlich in Suan Mokkh, aber war immer mal in anderen Klöstern unterwegs. Seit vier Jahren sei er nun schon in Roben, nachdem er in München einfach keinen Sinn mehr in seinem Leben fand und es ihn schließlich, nach mehreren Meditationskursen, hierher verschlagen hatte.
Ajahn Po hatte einen Gong in der Hand und brauchte etwas, um ihn anzuschlagen. Ich fand einen passenden Stock und schlug gegen den Gong, dass es nur so schepperte. Ajahn Pos Rat folgend wickelte ich ein Tuch um den Stock, schlug ihn wieder an, und er sagte: „Jetzt ist es anders.“ „Ja, jetzt ist es besser“, ergänzte ich. „Anders“, meinte er wieder, „ja, besser“, sagte ich nochmals, woraufhin er mich einfach nur anlächelte. Irgendetwas hatte ich in dem Moment verstanden.
Wir waren zirka fünfundzwanzig Teilnehmer. Ajahn Po, Santikaro, Viriya und Ajahn Ranschuan waren unsere Lehrer – oder besser gesagt, unsere spirituellen Freunde, die den Retreat leiten würden.
Dann begann der Retreat mit einer Einführung. „Meine lieben Freunde im Dhamma …“, eröffnete Ajahn Ranschuan ihren Vortrag an diesem Abend, und eine Welle tiefer Vertrautheit machte sich auf den Weg durch meinen ganzen Körper.
Es ging in diesem Retreat wie immer darum, seinen Geist auf das zu richten, was im Moment stattfindet, egal, was man gerade tut, und zur Erinnerung: Das war die Achtsamkeit, der Schlüssel zur Weisheit. Diesen Satz hatte ich nicht vergessen. Er hatte etwas Geheimnisvolles, ja fast schon magisch Vielversprechendes, und ich wollte mehr darüber erfahren.
Meditation
Eines Abends saßen wir wieder in der Meditationshalle und waren angehalten, den Atem immer wieder zu spüren, sollten beobachten, wenn sich Gedanken einschleichen würden, diese bemerken und dann erneut zum Atem zurückzukehren – immer wieder und immer wieder. „Es brauche Geduld, viel Geduld“, meinte Ajahn Ranschuan in ihrer sanften, freundlichen und liebevollen Art. Sie hatte Recht!
Da saß ich nun, Matthias Jordan, Wahlberliner, Landschaftsgärtner, dreißig Jahre alt, in Beziehung lebend, keine Kinder, keine Pläne, keine Ahnung, wie das Leben weitergehen würde. Aber es war mir egal, ich machte mir keine großen Sorgen oder Gedanken über die Zukunft und ließ alle diese Gedanken kommen und wieder gehen und kommen und wieder gehen, konzentrierte mich nach Anleitung auf meinen Atem, immer wieder und immer wieder.
Und dann spürte ich auf einmal an der Nasenspitze dieses feine Gefühl des Atems, spürte für die gesamte Dauer des Atmens dieses Gefühl, es zog mich an, es zog mich hinein und dann war nur noch Atem da, fein, leicht, nur das und mehr nicht, aber begleitet von einem Gefühl tiefer, ausgedehnter Freude. Ich fühlte mich nur noch als Atem, ohne irgendwelche Gedanken. Ich war hier, und zwar genau hier.
Als der Gong erklang, hörte ich die vibrierenden Wellen des Schalls an mein Trommelfell klopfen, sie wurden dann immer feiner und leichter, bis ich schließlich nichts mehr hörte. Ich saß da, die Beine schmerzten jetzt, aber es war mir egal, es waren nur Empfindungen, ohne dass sie mich irgendwie irritierten. Stattdessen fühlte ich eine innere, noch nie erlebte feine Freude, und es kam mir der Gedanke: Ich bin der Atem. Denn der war immer noch im Vordergrund meiner Wahrnehmung.
Die Abendsession war beendet und ich ging zurück in mein sehr kleines Zimmer, das mir Ajahn Po angeboten hatte. Es war etwas über einen Meter breit und gut zwei Meter lang und so musste ich nicht mit den anderen in den Dormitorien schlafen.
Hier hatte ich meine wenigen Sachen verstaut, übersichtlich und klar. Ich legte mich hin und verweilte noch in diesem Frieden, bis wir wieder um vier Uhr von der Glocke zur Morgenmeditation geweckt wurden.
In den Pausen saß ich am Lotusteich, schaute auf die rosa Blüten und die grünen Blätter, spürte den warmen Wind auf meiner Haut, sah leichte Wellen auf dem Teich tanzen, vom gleichen Winde gekräuselt, und beobachtete Ameisen bei ihrem geschäftigen Treiben. Alles bewegte