Auf dieser Stufe der Entfaltung begegnen wir einem anderen Aspekt von Essenz, der manchmal für die Natur des Geistes gehalten wird: Das ist das klar unterscheidende Bewußtsein, oder das Sehen der Dinge, wie sie sind. Wir brauchen dieses klare Bewußtsein, um in der Welt zu funktionieren. Allein mit der Ebene des kosmischen Bewußtseins können wir nicht leben; wenn nichts da ist als „nicht zwei“, kann man nicht einmal gehen oder irgendeine andere normale menschliche Tätigkeit ausüben. Aber die Wahrnehmung des kosmischen Bewußtseins kann eure Erfahrung befreien, um die Grundqualität von Nichtgetrenntheit in eure Erfahrung zu integrieren.
Diese Entwicklung wird „unterscheidendes, spiegelähnliches Bewußtsein“ genannt. Jeder und alles wird gesehen, wie es ist. Dies ist der Bereich des Geistes, in dem man sieht, daß Leere Form und Form Leere ist. Euer Geist ist geräumig und leer, euer Bewußtsein ist entspannt, so daß alles so gesehen wird, wie es ist. Der ganze Inhalt von Erfahrung wird genauso gesehen, wie er ist, ohne einen Wunsch, zu manipulieren oder zu etikettieren oder Dinge dem Unbewußten entsprechend zu bewerten. Dies wird also als klarer Geist erfahren, ein Gefühl von Klarheit und Genauigkeit. Formen sind genau sie selbst, Gedanken sind einfach Gedanken, Gefühle entstehen ohne Eindruck oder Reaktion, die Dinge werden ohne den subjektiven Filter gesehen. Hier sieht man die Dinge ohne die Vergangenheit, als vollkommen frisch und neu. Kosmisches Bewußtsein ist ursprünglicher als dieses Qualität. Kosmisches Bewußtsein ist Wissen an sich, die Fähigkeit, bewußt zu sein. Im spiegelähnlichen Bewußtsein besteht die grundlegende Fähigkeit für Bewußtsein darin, einfach und ohne Entstellung zu reflektieren, was da ist.
Ursprüngliches Bewußtsein, das nichtdifferenzierte Wissen an sich, ist die Freiheit, die nötig ist, damit man irgendeinen Zustand des Geistes in seiner ausgedehntesten Form erfahren kann. Es ist das Element von Ausdehnung in Universalität hinein. Zum Beispiel erfährt jemand vielleicht einen klaren Geist, aber wenn man nichtdifferenziertes Bewußtsein nicht erfahren kann, dann ist der Geist einfach auf Klarheit im Kopf beschränkt. Wenn kosmisches Bewußtsein erfahren wurde, dann ist der Geist ausgedehnt, und das reine Bewußtsein ist in den klaren Geist integriert, so daß er als reine Klarheit, reine Transparenz, unbegrenzt und ohne Mitte erfahren wird. Dieser grenzenlose und klare Geist wird manchmal als die Leere selbst oder als das Bewußtsein angesehen, das die Leere wahrnimmt, da es genau das ist, was nötig ist, damit man die Leere ganz erfahren kann. Um also die Beziehung des Geistes zum Kosmos zu verstehen, müssen wir erst die Natur des Geistes verstehen, die wir „Raum“ nennen. Raum kann nicht ganz gewußt werden, bevor das Gefühl eines abgetrennten mentalen Bewußtseins eliminiert ist. Wenn man als eine getrennte Person, als ein Individuum vollkommen in die Universalität des kosmischen Bewußtseins versunken ist, dann erfährt man das Spiegelbewußtsein, die Klarheit, die Leere vollkommen und grenzenlos. Im letzten Kapitel sprachen wir von „reinem Bewußtsein“, als wir die Fähigkeit für Versenkung diskutierten, und von „Spiegelbewußtsein“, als wir den erwachten Zustand diskutierten.
Die Leere ist auf folgende Weise erfahren und beschrieben worden: als Raum, als blaues Bewußtsein und als klarer Geist. Als klarer Geist ist sie dann vollständige transparente Klarheit, die sich aller Dinge so bewußt ist, wie sie sind, nicht als ein undifferenziertes Medium, das kosmisches Bewußtsein ist, sondern als alles, was existiert, wie es ist. Es existiert als diese durchscheinende Helligkeit. Alles kommt zurück, nachdem es ausgelöscht worden ist, und die Leere wird von nichts berührt oder eliminiert, auch nicht von Gedanken oder Gefühlen oder einem Gefühl von abgetrennter Existenz. Alles ist Teil dieser Leere. Alles wird als Form gesehen, und jede Existenz, die sich von etwas anderem unterscheidet, ist nur eine Form. Die Form ist einfach ein Aspekt der Natur des ursprünglichen Bewußtseins, wie die Transparenz, die Leere. Dies ist der erwachte Geist; der Zen-Buddhismus nennt dieses Erwachen „Raum ohne Mitte, ohne Zentrum“, „Natur des Geistes“. Leere wird nicht von einem abgetrennten Individuum wahrgenommen, Leere wird von universeller Klarheit wahrgenommen.
Der wache, klare Geist kann schlafen gehen und dabei doch bewußt bleiben. Er hat seine Nacht neben seinem Tag; sein Tag ist Wachsein, sein Schlaf ist Frieden. Er bleibt die Natur des Geistes, nicht als Wachheit, die Leere wahrnimmt, sondern als Frieden, universeller, unbegrenzter, schwarzer Frieden, der Leere wahrnimmt. Verschiedene Systeme betonen eine dieser drei Beschreibungen: das ursprüngliche nichtdifferenzierte Bewußtsein, den erwachten Zustand des Geistes, der auch universell ist, oder den friedvollen Zustand des Geistes, der in Ruhe, in vollkommenem Frieden ist. Die Natur des Geistes kann dann als blauer, als durchsichtiger oder als schwarzer Aspekt von Bewußtsein erfahren werden. Jeden einzelnen dieser Aspekte kann man als einen Zustand der Natur des Geistes ansehen. Und weiter können wir sagen, daß die Natur des Geistes vollkommene Leere ist. Wir können vollkommene Leere als nichtdifferenziertes Bewußtsein, als durchscheinendes Leuchten oder als den Nachthimmel erfahren. Da ist immer ein subtiles Bewußtsein, das Leere wahrnimmt. Das subtile Bewußtsein kann von eurem eigenen persönlichen Bewußtsein eingeschränkt werden, so daß ihr es nicht seht, wie es ist, oder es kann vollkommen ausgedehnt werden.
Wir haben das Verständnis von „Geist“ untersucht: von der Auffassung als Gedanken und Denken über den größeren Geist, der aus allen Eindrücken besteht, bis zur Natur dieses Geistes als ein Ganzes als Leere und vollkommene Leere; über die Stufen universellen Bewußtseins und den erwachten Geist bis zum friedvollen Geist. Der nichtdifferenzierte Geist wird gewöhnlich, aber nicht ausschließlich vom Hinduismus betont. Der friedvolle Geist wird gewöhnlich, aber nicht ausschließlich vom Islam betont. Die Tradition des Islam betont den schwarzen Frieden. Das Zentrum der Kaaba, an das Gebete gerichtet werden, ist ein schwarzer Stein, ein schwarzer Block Frieden. Das Wort Islam ist von salaam abgeleitet, was „Frieden“ bedeutet. Mohammeds Fahne war schwarz.
Das Verständnis des Geistes als Leere und diese Grundarten von Bewußtsein, das ursprüngliche, das erwachte und das friedvolle, sind nicht metaphysisch oder auch nur von metaphysischem Interesse. Ohne dieses Verständnis gibt es für Menschen keine Freiheit, keine Freiheit in irgendeiner Erfahrung. Es liegt an dem Mangel an diesem Verständnis, daß es Leiden gibt. Der Geist muß vollkommen verstanden werden, wenn es eine Erleichterung oder Freiheit oder Frieden geben soll. Man wird ausgelöscht, dann wacht man auf und dann ist Frieden.
Wie ich früher sagte, besteht zwischen dem, was im Osten „Geist“ genannt wird, und dem, was wir hier „Herz“ nennen, eine Beziehung. Es gibt eine Beziehung zwischen Geist und Herz. Das ursprüngliche Bewußtsein, die erwachte durchscheinende Helligkeit und die friedvolle Stille des Geistes sind Formen des Bewußtseins, die auch Aspekte von Essenz sind, und Essenz ist das Herz des Geistes. Wenn das Wort „Herz“ im Osten gebraucht wird, bedeutet es „Essenz“, die tiefste Natur von etwas, das Herz von etwas, wie im Ausdruck „das Herz einer Sache“. Die Natur des Geistes ist Leere, und das subtile Bewußtsein, das diese Leere wahrnimmt, ist das Herz des Geistes. Aber diese Beziehung des Herzens zum Geist ist sogar noch komplexer. Es gibt auch den Geist des Herzens, das Bewußtsein des Herzens, das Wissen des Herzens, die Neugier des Herzens und die Empfindsamkeit des Herzens. Das Herz wird als das empfindsame Organ, das wissende Organ gesehen. Es ist bewußt und nimmt wahr. Das Herz wird manchmal „Geist“ genannt, weil das Herz die Quelle des Herzens des Geistes ist. So könnte man auch sagen, daß der Geist der Geist des Herzens ist. Aber die Einheit geht noch tiefer als der Geist des Herzens oder das Herz des Geistes. Sie sind dasselbe. Auf der Ebene, auf der man den Geist als ein subtiles Bewußtsein versteht, als ein Aspekt von Essenz, gibt es kein Herz und keinen Geist, da gibt es nur eins. Das Verstehen des Geistes wird als ein einziges Bewußtsein erfahren, ohne Trennung seiner Zentren, seiner Mitte. Dinge als den klaren Geist zu sehen rührt vom Betrachten der Dinge als Geist her, und die Dinge als den klaren Nektar zu sehen, leitet sich vom Betrachten der Dinge als Herz ab; aber es ist dieselbe Substanz. Als Geist genommen, sehen wir ihn als Bewußtheit, als Licht, als Bewußtsein. Als Herz genommen, sehen wir ihn als Liebe oder Freude. Der erwachte Geist ist klare Freude, wenn er im physischen Herzen erfahren wird. Wenn Freiheit entsteht, erfährt man die Erfüllung im Herzen. Was im Kopf oder Geist ist, ist dasselbe, was im Herzen ist, und fühlt sich wie klares Licht oder nahrhafter