Essentielle Befreiung. A.H. Almaas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A.H. Almaas
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783867811521
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die für die Befreiung nötig sind, und sie sind Faktoren des befreiten Zustandes. Sie werden euch letztlich dabei helfen loszulassen. Ich denke also, unser Vortrag heute erklärt die Beziehung zwischen Persönlichkeit und Essenz und wie Essenz dazu beträgt, daß man von der Persönlichkeit frei wird, dies ihrerseits wäre die Befreiung, Essenz zu genießen. Gibt es Fragen?

      Schüler: Wo paßt Wachsamkeit in dieses Bild?

      A.H. Almaas: Wachsamkeit ist eine Art und Weise, Aufwachen zu entwickeln. Wenn ihr wach seid, dann seid ihr wachsam, ohne wachsam zu sein. Wenn ihr eine Glühbirne seid, braucht ihr nicht zu schauen. Aufwachen wird also als die Vervollkommnung von Nicht-Wachen bezeichnet. Ihr wacht und ihr wacht und ihr wacht, bis ihr zu Wachsamkeit werdet. Dann strengt ihr euch nicht mehr an, um zu wachen, ihr seid einfach wach. Ihr müßt nicht mehr schauen, um zu sehen, einfach dadurch, daß ihr da seid, seht ihr. Dann wacht ihr nicht mehr. Aber zuerst müßt ihr eine lange Zeit lang wachen. Ihr müßt das Wachen entwickeln, bis ihr das Wachen werdet.

      Schüler: Könntest du über die Bedeutung des Wortes Ridhwan sprechen und darüber, was es mit Befreiung zu tun hat?

      A.H. Almaas: Ridhwan ist eine Art Zufriedenheit, die sich einstellt, wenn ihr befreit seid. Eure Persönlichkeit wird zufrieden, wenn ihr frei seid. Eure Persönlichkeit selbst ist frei von Leiden und Konflikt. Jesus sagte, daß ihr wie Kinder werden müßt, um in das Himmelreich zu gelangen. Ridhwan, Zufriedenheit, ist der Eingang in das Himmelreich. Es ist ein Aspekt von Essenz.

      Befreiung ist wirklich nichts anderes, als daß die Persönlichkeit im Moment frei wird; die Persönlichkeit löst ihren Griff, läßt sich selbst einfach entspannen. Wenn eure Persönlichkeit losläßt, werdet ihr wie ein Kind und ihr kommt in das Paradies. Auf Arabisch ist Ridhwan der Name des Engels, der das Paradies bewacht. Aber das Wort meint auch den Zustand, den aktuellen essentiellen Aspekt von Zufriedenheit, Befriedigung und Erfüllung. Viele Systeme diskutieren das nicht, aus einem guten Grund: zu jemandem, der diese Befreiung nicht erfahren hat, darüber zu sprechen verstärkt das Festhalten und die Haltung des Haben-Wollens. Die Beschreibung davon, wie wunderbar der Zustand der Befreiung ist, die Beschreibung des Himmels, kann das Elend und das Feststecken noch verstärken. Deshalb sprechen viele Systeme einfach darüber, wie man lernen kann loszulassen. Ihr seid vielleicht im Paradies, aber wenn ihr nicht wißt, wie man loslassen kann, werdet ihr euch nicht daran freuen.

      Geist und Essenz

      Untersuchen wir das Wort „Geist“ (mind). Es ist natürlich ein gewöhnliches Wort, und wir benutzen es oft in unserer Arbeit. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist „Geist“ ein ungenauer Ausdruck; nicht jeder gebraucht ihn auf dieselbe Weise. Es gibt kulturelle Unterschiede: Wenn wir es in diesem Land benutzen, bedeutet es nicht dasselbe wie das, was zum Beispiel die Tibeter meinen, wenn sie „Geist“ sagen. Was wir im Westen „Herz“ nennen, nennen Menschen im fernen Osten „Geist“. Wir stoßen darauf, daß die Worte „Geist“ und „Herz“ eine Beziehung haben, die nicht immer klar ist. Es gibt Menschen, die das Wort „Geist“ gebrauchen, aber „Herz“ meinen und umgekehrt. Wenn ihr Bücher lest oder Vorträge über „Geist“ hört, dann geht ihr immer von einer bestimmten Bedeutung aus, die vielleicht die ist, die der Sprecher oder Autor meint, oder auch nicht; es ist also ganz natürlich, daß ihr verwirrt seid. Untersuchen wir die Bedeutung von „Geist“ und beginnen wir mit der verbreitetsten und oberflächlichsten Bedeutung. Dann kommen wir zu den tieferen Aspekten der Bedeutung von Geist (mind).

      Die Vorstellung, die am verbreitetsten ist, ist die, daß „Geist“ aus euren Gedanken und dem Denkapparat besteht und mit eurem Gehirn zu tun hat. Allgemein gesprochen, beziehen sich Menschen, wenn sie das Wort „Geist“ gebrauchen, in unserer Kultur auf Gedanken und Bilder – Dinge, die ihnen durch den Kopf, durch ihre Denkprozesse gehen. Gewöhnlich geht man davon aus, daß der Denkapparat gemeint ist oder der Prozeß des Denkens oder die Gedanken selbst.

      Aber sogar in dieser Kultur ist diese Bedeutung nicht allgemein anerkannt. In der psychologischen Literatur ist dies nicht die Bedeutung des Wortes „Geist“. Freud zum Beispiel meinte nicht nur eure Gedanken, wenn er das Wort „Geist“ verwendete. Freud benutzte „Geist“ nicht nur für Gedanken, sondern schloß Eindrücke, Gefühle, Emotionen, Sinneswahrnehmungen mit ein. Von all diesen Eindrücken wird angenommen, daß sie den Inhalt des „Geistes“ ausmachen. Außerdem postulierte Freud natürlich eine Ebene von „Geist“, die er das „Unbewußte“ nannte.

      Der eher technische Gebrauch des Wortes „Geist“ in dieser Kultur ist der, daß es sich auf den Inhalt von Erfahrung als ganzen bezieht. Alle Eindrücke werden „Geist“ genannt. Eine weitere Unterscheidung kann man zwischen diesem Inhalt und dem „Gefäß“ oder Apparat machen, der mit diesen Dingen zu tun hat. Entweder der Inhalt selbst oder das Gefäß oder die Instanz, die den Inhalt wahrnimmt, wird demnach unter „Geist“ verstanden. Diese Unterscheidung wird in der psychologischen Literatur nicht allgemein gemacht. Wenn da unterschieden wird, dann zwischen dem physischen Nervensystem und den Gedanken selbst. Wenn ihr davon ausgeht, daß „Geist“ sich nur auf die mentalen Prozesse bezieht, dann ist der Apparat das physische Nervensystem, das Gehirn. Wenn man der Auffassung ist, daß „Geist“ sich auf alle Eindrücke und Erfahrungen bezieht, dann gehört zum Apparat der ganze Körper mit der Betonung auf dem ganzen Nervensystem, das Rückenmark, die Ganglien und das Gehirn sind eingeschlossen. Wir haben also jetzt zwei Begriffe, für die das Wort „Geist“ steht. Natürlich sprechen einige Philosophen über den Geist jenseits des Gehirns oder Nervensystems. Sie postulieren die Existenz eines „Geistes“, der durch das Gehirn wirkt, wenn sie von dem „kleinen Geist“ sprechen oder einem „Geist“, der durch das ganze Nervensystem, den ganzen menschlichen Körper oder das „Soma“ wirkt, den sie den „großen Geist“ nennen. „Geist“ wird dann nicht als etwas Bestimmtes, Abgegrenztes gesehen, sondern eher als eine Art Kraft oder Wirkkraft. In diesen Formulierungen ist nicht sehr klar, was diese Kraft ist.

      Das führt zu Fragen, die die Natur des „Geistes“ betreffen. Was ist der „Geist“, der unabhängig vom Gehirn und vom Nervensystem ist? Gibt es eine Wirkkraft der Prozesse? Gibt es da eine Kraft?

      Innerhalb dieser Kultur und im Westen im allgemeinen gibt es außerhalb akademischer Kreise und der Hirnforschung wenig Interesse an der Erforschung dieser Frage. Eine Ausnahme ist die religiöse oder philosophische Idee des Logos, die wir hier nicht diskutieren werden; der Logos ist ein metaphysischer Begriff und hier wollen wir nahe an der Erfahrung bleiben. Im östlichen Denken bedeutet „Geist“ mehr als das Mentale, mehr als die Gedanken; „Geist“ bezieht sich auf den ganzen Apparat, den ganzen Prozeß, die Gesamtheit der Eindrücke. Der ganze Inhalt von Erfahrung wird „Geist“ genannt. Ferner versucht man, die Natur des Geistes zu verstehen: Existieren diese Eindrücke an sich und aus sich selbst oder geschehen sie an etwas oder in etwas? Sind diese Eindrücke Teil eines physiologischen oder elektrochemischen Prozesses, der im Nervensystem stattfindet? Woher kommen diese Gedanken, Gefühle und Sinneswahrnehmungen? Besonders im buddhistischen Denken finden wir einen ernsten Versuch, die Natur des Geistes, seine wirkliche innere Natur zu verstehen.

      Im Westen haben Psychologen Modelle von dem formuliert, was sie die „mentale Struktur“ oder den „psychischen Apparat“ nennen, um die Struktur des Geistes zu beschreiben. Nach einer dieser Formulierungen gibt es eine Struktur, die sich von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter entwickelt und die „Struktur des Geistes“ wird. Im allgemeinen wird nicht diskutiert, ob es getrennt oder jenseits davon, daneben oder über dem noch etwas gibt.

      In vielen Traditionen des Ostens finden wir, daß sie nicht Struktur betrachten, wenn sie den Geist, den „großen Geist“, verstehen wollen. Sie versuchen zu verstehen, ob es jenseits von Struktur einen Geist gibt. Oder ist Struktur die Struktur von etwas anderem? Existiert er irgendwo, von irgend etwas hervorgebracht? Diese Richtung der Untersuchung hat viele meditative Systeme hervorgebracht, die den Geist zu verstehen und alle diese Prozesse und Eindrücke zu beachten versuchen. Sie wollen wissen, ob das alles ist oder ob es noch etwas anderes gibt. Was geschieht, wenn der Geist still wird? Wenn die Aktivität aufhört, was bleibt dann übrig? Es wird berichtet, daß man nichts findet, wenn man durch diese Untersuchung wirklich bis zu ihrem logischen Ende hindurch geht. Wenn alle Gedanken, Sinneswahrnehmungen