Emory nahm die Hilfe seiner Mutter an. Wendy fiel auf, dass die Lasagne jetzt nicht mehr so schlimm aussah wie vorher, als sie wütend gewesen war. Emory war stolz auf sich, und Wendy lernte eine wichtige Lektion. Mutter und Sohn hatten einen wunderbaren Abend zusammen.
Wendy gelang es nicht nur, ihre Aufmerksamkeit zu verlagern und das, was ihr Sohn getan hatte, erfreut wahrzunehmen, sondern durch ihr Schweigen gab sie ihm auch die Möglichkeit, die ersten Worte zu sagen, die alles lösten. Wenn wir uns ärgern, ziehen wir oft voreilig Schlüsse, ohne die Tatsachen und Absichten hinter dem Verhalten des Kindes zu sehen. Zu warten, bis ein Kind das Gespräch beginnt, kann dem Ärger den Wind aus den Segeln nehmen und Klarheit in die Situation bringen.
Schwierige Situationen liebevoll zu bewältigen, ist leichter, wenn wir uns vor Augen führen, dass es genauso lange dauert, das Chaos eines Kindes aufzuräumen, wenn wir wütend sind, wie wenn wir uns über es freuen. Wenn wir dem Kind die Worte ersparen, die Schuldgefühl, Groll und Scham hervorrufen, fühlt es sich wertvoll, geschätzt und gewürdigt. Diese Gefühle, die uns miteinander verbinden, machen unsere Zeit mit Kindern so wertvoll für sie und für uns.
Wenn Sie Ihr Kind um etwas bitten
Manchmal möchten wir ein Kind um etwas bitten – nach dem Duschen das Handtuch aufzuhängen, ein Telefongespräch zu beenden, woanders Krach zu machen oder schmutzige Stiefel auszuziehen, bevor es ins Haus kommt. Die Worte, die wir in diesen Situationen verwenden, können ein Kind beschämen und ihm ein schlechtes Gewissen machen, oder sie können Rücksichtnahme und gegenseitige Fürsorge bewirken. Bis vor kurzem wurden Schuldzuweisung und Beschämung als Werkzeuge der Kontrolle, die keine Fürsorge bewirkten, sondern durch Angst Gefügigkeit erzeugten, eingesetzt. Typische Sätze wie „Wie oft muss ich dir noch sagen…?“, „Was ist los mit dir?“, „Du hast alles verdorben“, „Wenn du nicht… bekommst du was zu hören!“ klingen vielen Leuten noch aus ihrer Jugend in den Ohren.
Bisweilen war die Kontrolle subtiler, und wir fühlten uns verpflichtet, ohne zu wissen warum, etwa wenn Eltern sagten: „Jamie ist so ein liebes Mädchen; ich weiß, dass sie dir helfen wird.“ Wir wurden gelobt, wenn wir die Wünsche unserer Eltern erfüllten, und ignoriert, wenn wir es nicht taten. Uns wurde gesagt, wenn wir unsere Eltern liebten, müssten wir tun, was sie sagten. Wir wurden mit Essen, Lob, Liebe, Privilegien oder Geschenken bestochen und mit einer Vielzahl von Maßnahmen manipuliert. Diese Methoden, uns gefügig zu machen, waren ebenso Instrumente der Kontrolle, nur auf verstecktere Art. Kinder, die auf diese Weise kontrolliert wurden, waren oft verwirrt von dem, das einerseits so sanft und liebevoll wirkte, bei dem sie sich andererseits aber klein, beschämt und nicht authentisch fühlten.
Nachdem Kinder viele Generationen lang so aufwuchsen, dass sie aus Angst heraus das taten, was ihre Eltern sagten, machen wir uns nun endlich dazu auf, Kinder mit derselben Würde, wie wir sie uns für uns selbst wünschen, zu behandeln. Sich von dem alten Konzept, dass man von einem Kind erwartet, das zu tun, was Mutter oder Vater sagen, zu verabschieden, ist nicht einfach. Es verlangt Engagement, ständige Übung und Selbstkontrolle. Vielleicht ist es für Sie am ehesten eine Hilfe, sich eine Minute Zeit zu nehmen, bevor Sie Ihr Kind um etwas bitten, und sich selbst zu fragen: „Wie würde ich (oder würde ich überhaupt) einen erwachsenen Freund darum bitten?“
Nach dem neuen Paradigma sind Kinder nicht verpflichtet, unsere Wünsche zu erfüllen. Sie sind frei, gemäß ihrer eigenen Entscheidung auf unsere Bitten zu reagieren, und wir tun gut daran, ihre Entscheidungen zu respektieren und Rücksicht auf ihre Grenzen und Ambitionen zu nehmen. Es ist unsere Aufgabe, mit Kindern so zu kommunizieren, wie wir es mit unseren erwachsenen Freunden tun würden, ohne zu verstehen zu geben, dass wir von ihnen erwarten zu tun, worum wir sie bitten. Wenn unsere Bitte nicht erfüllt wird, sollten wir das entweder respektvoll akzeptieren oder Verständnis für die Wahl des Kindes zeigen und Möglichkeiten erörtern, wie die Bedürfnisse von allen erfüllt werden können, oder eine Lösung finden, mit der sowohl das Kind als auch wir glücklich sein können.
Bringen Sie Ihre Bitten authentisch vor; tun Sie nicht so, als sollte etwas dem Kind zuliebe geschehen, wenn es in Wirklichkeit Ihnen zuliebe geschehen soll. So sind zum Beispiel Sie es, die sich ein ordentliches Zimmer wünschen, nicht das Kind. Sie wollen lehren, aber das Kind will nicht lernen. Vorzeitiger Unterricht ist wie eine vorzeitige Geburt: Er hat seinen Preis, er verlangsamt den Lernprozess und lässt eine Mauer des Misstrauens zwischen Ihnen und Ihrem Kind entstehen. Haben Sie Vertrauen in die Entwicklungsschritte Ihres Kindes und stellen Sie ehrliche Bitten: „Ich wünsche mir, dass das Zimmer ordentlich ist.“ Ihr Kind kann Ihnen beim Aufräumen helfen oder nicht, jedenfalls wird es von Ihrem Wunsch nach Ordnung erfahren und wird sich später dasselbe für sich wünschen (oder einen Partner finden, der es zu mehr Ordnung bewegt oder der selbst aufräumt, was auch eine Möglichkeit ist).
Gestehen Sie Ihrem Kind Unschuld zu, und überlegen Sie gut, bevor Sie eine Bitte äußern. Wenn Ihr Kleinkind mit matschigen Schuhen ins Haus kommt und über den Teppich geht, ist es sich keines Problems bewusst. Sie können einfach die Tatsachen schildern: „Deine Schuhe sind schmutzig. Lass sie mich dir ausziehen.“ Dann machen Sie den Teppich sauber.
Wenn Sie anfangen, den Teppich sauber zu machen, entscheidet sich das Kleinkind vielleicht, Ihnen zu helfen, aber vielleicht auch nicht. Es spielt keine Rolle, ob es beim Saubermachen hilft. Es zum Helfen zu zwingen oder zu drängen, würde nur Gefühle des Versagens, des Grolls und der Schuld auslösen. Diese schmerzlichen Gefühle lassen einen authentischen Wunsch zu helfen gar nicht erst aufkommen. Wenn unser Kind dagegen zusieht, wie wir saubermachen, und sich selbst dabei gut fühlt, oder wenn es fröhlich weggeht und den Teppich hinterher sauber vorfindet, kann es das, was wir tun, in sich aufnehmen und später die freie Entscheidung treffen, bei unserem Tun mitzumachen. Wenn Ihr Kleinkind seine Hilfe anbietet, lassen Sie sich von ihm helfen, ohne es zu kritisieren, ihm ihrerseits zu helfen oder in seiner Gegenwart hinter ihm her zu wischen. Sie können ihm vorschlagen, den Besen zu holen oder zu helfen, aber vermeiden Sie, es zu lenken, so dass es selbst entscheiden kann, ob es sich beteiligen, zusehen oder weggehen will.
Wenn junge Kinder gemaßregelt werden, sind sie durch die intensiven Gefühle und Wertungen ihrer Eltern oft so verängstigt, dass sie den Inhalt der Aussage überhaupt nicht verstehen. Auch wenn die richtigen Worte in einem etwas scharfen Tonfall oder eine versteckte Anschuldigung mit süßer Stimme vorgebracht werden, ist das für die Gefühle eines jungen Kindes zu überwältigend und lenkt seine Aufmerksamkeit davon ab, zu merken, worum es eigentlich geht. Es ist dann zu sehr damit beschäftigt, sich verletzt oder eingeschüchtert zu fühlen. Doch wenn das Kind spürt, dass der Fluss des Lebens und der Liebe frei fließen kann und dass seine Würde geachtet wird, kann es sich am besten der vielen Gewohnheiten und Bedürfnisse seiner Mitmenschen bewusst werden. Das Kind braucht keine Hilfe, um zu lernen, wie es mit uns zusammenleben soll; was es braucht, ist, dass wir ihm vertrauen und seinem Lernen nicht im Wege stehen.
Wenn Sie nur das „s“ von S.A.L.V.E. beherzigen, wird der Rest ganz von selbst kommen. Sobald Sie dem Geschwätz in Ihrem Inneren auf den Grund gehen oder es an sich vorbeiziehen lassen, ohne ihm Folge zu leisten, können Sie statt Ihrer eigenen Reaktionen Ihr Kind wahrnehmen. Ob Sie eine Bitte äußern oder auf ein Problem eingehen – wenn Sie präsent und frei sind, Aufmerksamkeit zu schenken, werden Sie sich wahrscheinlich in Ihr Kind einfühlen können und wissen, was zu tun ist.
Zurückspulen
„S.A.L.V.E. funktioniert, wenn ich daran denke“, sagt ein zweifelnder Vater. „Aber was ist, wenn ich nicht daran denke, mir Zeit zu nehmen? Wenn ich vor Wut einfach herausplatze?“
Es ist in der Tat nicht einfach, Gewohnheiten zu verändern, und es wird vorkommen, dass Sie in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Um sich von einem gewohnheitsmäßigen „Negierer“ in einen „Wertschätzer“ zu wandeln, brauchen Sie Zeit und Übung. Fangen Sie an, indem Sie sich Ihre negierenden Bemerkungen bewusst machen, ohne zu versuchen, sie zu ändern. Schimpfen Sie innerlich nicht mit sich selbst, weil Sie Ihr Kind oder Ihren Partner negiert