Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783957840127
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mit den goldenen Emblemen an dem Mahagoniholz, steif und zart wie das Muster der Tapete. Batist und Spitzen hatten die Tränen aufgenommen, die Hände lagen auf dem dunklen Kleid wie Alabaster auf schwarzem Sockel.

      »Gnädige Frau – vergessen Sie die Phantasien eines Kranken. Sie haben jetzt einen Diener, dem Sie befehlen können.«

      »Sie sind selbst ein Zauberer, und Sie haben Wahres von mir geträumt – Herr Dr. Wichmann. Ich bin als Kind aus einem alten Schloß in den Wald und zu den Seerosen gegangen. Wir hatten ein weites Land, es war schmutzig, in den Katen wohnten Menschen wie Tiere; ich habe mich gefürchtet, wenn ich allein war. Aber wenn wir über Land ritten zu den anderen Schlössern, wenn die Fenster hell waren und die Männer sehr laut, wenn der Wein floß, dann war ich auch nur nach außen froh. Mein Bruder hat den Wein und die Pferde und die Feste gesucht – mein Bruder ist schön, sehr schön, und sein Degen ist sehr schnell. Ich habe ihn mehr geliebt als irgendeinen anderen Menschen. Hier … ist sein Brief …«

      Mit abgewandtem Gesicht reichte Frau Grevenhagen Wichmann das Blatt.

      Er sah hinein.

      »Ich verstehe die Sprache nicht, gnädige Frau.«

      »Niemand versteht meine Sprache.«

      Frau Grevenhagen faltete das Blatt wieder zusammen. »Wir sind keine Deutschen.« Sie sah Wichmann an, und er begegnete ihrem Blick mit einem Gefühl, das er selbst noch nicht kannte und vor seinem eigenen Bewußtsein nicht auszudrücken vermochte.

      »Ich bitte Sie darum, gnädige Frau, mir den Brief Ihres Herrn Bruders zu erklären.«

      »Sie werden mich verachten.« Unruhe kam über die Hände, die Augen sahen zur Wand.

      »Ich werde versuchen, Sie zu behüten wie etwas, was mir heilig ist.«

      Es waren nicht nur Worte. Die Bitte hatte den Mann gewandelt. Er wußte, daß eine schöne und erfahrene Nixe mit ihm gespielt hatte, er wußte es bis zur Überdeutlichkeit. Dennoch zürnte er ihr nicht, er liebte sie immer noch, weil sie verschüttete Träume in ihm geweckt hatte und weil er glaubte, daß sie selbst litt.

      Er spürte nichts mehr als den verzehrenden Wunsch, sie zu beschützen und zu beglücken. Die Erregung seines Körpers hatte sich in eine seelische Schwingung verwandelt. Was alle seine Vorsätze und Kämpfe, all sein Zerren und Entschließen nicht vermocht hatte, war durch das Bild der Phantasie in einem Augenblick geschehen. Eine Bittende stand vor ihm, und der Ritter wollte ihr Zuflucht geben. Ein Schwert lag zwischen ihr und ihm, und die Entfernung war ihm höhere Wollust.

      »Die Schande, sich an einen Fremden zu wenden …«

      »Warum quälen Sie sich selbst, Frau Marion? Ich bin Ihnen nicht fremd. Meine wenigen Fähigkeiten und Mittel gehören Ihnen.«

      »Ich will meinen Bruder nicht verteidigen. Er ist leichtsinnig, ich weiß es. Er ist immer wieder leichtsinnig. Aber er ist schön und jung. Er ist ein Offizier … er … er … Sie müssen verstehen, daß mein Gatte sehr hart denkt …«

      »Ihr Herr Bruder hat Ehrenschulden?« fragte Wichmann.

      »Ja.« Marion sah an Wichmann vorbei. »Wir sind keine Bettler. Unser väterliches Gut wird es bezahlen, aber nicht heute, auch morgen. Erst nach der nächsten Ernte – der Absatz stockt jetzt – der Verwalter klagt, die Zeiten sind schlecht, die Preise fallen. Mein Bruder …«

      Die Hände zerrissen das Tuch aus Batist und Spitzen.

      »Wieviel brauchen Sie, gnädige Frau?«

      Zum erstenmal sah Oskar Wichmann in den Wangen Marions das Blut rosarot aufsteigen.

      »Es ist viel, was ich brauche, Herr Dr. Wichmann. Ich habe zwar … Ich kann einiges aufbringen … den größten Teil aufbringen … aber … es fehlen noch …«

      »Sprechen Sie frei, gnädige Frau.«

      »Zwanzig … zwanzigtausend Mark.«

      Wichmann erschrak. Das war sein ganzes bares Erbteil.

      Marions Hände flogen.

      »Sie erhalten Wechsel, Herr Dr. Wichmann. In acht Tagen muß sich mein Bruder … erschießen …«

      »Sie werden über die Summe verfügen, gnädige Frau. Ich muß allerdings die Papiere erst verkaufen. Ich bin leider mit Glücksgütern nicht so gesegnet.«

      Ehe Wichmann es hindern konnte, hatte Marion seine Hände geküßt.

      »Ich danke Ihnen. Wie soll ich Ihnen danken?«

      »Nicht, gnädige Frau. – Ich … in welcher Form? Das ist das einzige, was wir in dieser Sache noch besprechen wollen.«

      Marion zog ein Notizbuch hervor und schrieb einige Worte auf eines der Blätter. Als Wichmann den Zettel in die Hand nahm, erkannte er, daß er dem glich, den er bei sich trug.

      »Das Konto unserer Gutsverwaltung. Im Ausland. Wenn Sie die Summe – oder die Papiere – dorthin überweisen können? Ich stelle Ihnen den Schuldschein persönlich aus – oder ziehen Sie Wechsel vor?«

      Marions Lippen zitterten, und Wichmann schämte sich.

      »Bitte, gnädige Frau, wählen Sie die allereinfachste Form.«

      »Dann … wenn Sie mir Papier und Tinte … verschaffen … wollen.«

      Wichmann brachte das Gewünschte. An dem kleinen Sekretär nahm Marion Platz. Mit unsicheren Zügen schrieb sie auf Oskar Wichmanns Briefpapier.

       »Von Herrn Dr. Wichmann zwanzigtausend Mark erhalten zu haben bestätigt

       Marion Grevenhagen«

      Wichmann legte das Blatt in seine Brieftasche, neben den ersten Gruß von Marions – Marions? – Hand.

      »Gnädige Frau, ich werde die Überweisung veranlassen.«

      Frau Grevenhagen stand auf. Sie taumelte, Oskar Wichmann stützte ihren Arm und führte sie.

      »Darf ich Ihnen eine Stärkung anbieten?«

      »Nein. Bitte, lassen Sie mich gehen. Ich werde daran denken, daß Sie meinen Bruder und mich gerettet haben.«

      Im Märzmittag mit seiner sonderbar feuchten, bedrängenden Frühlingswärme sah Oskar Wichmann die schmale dunkle Frauengestalt durch das Rosentor zurückgehen.

      Er saß an seinem Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände.

      Den Brief für die Geheimrätin von Sydow hatte er Martha übergeben.

      Er verließ das Haus und fuhr zu einem ferngelegenen Wald und einem See, um mit sich allein zu sein. Seine Gedanken setzten aus. Er wußte nichts, als daß er da und daß etwas um ihn war, und betrachtete sich selbst, das Wasser, den Sand und die Bäume mit einer ihm selbst fremdartigen Neugier.

      Seine Füße gingen leicht und rasch. Die Wanderschuhe von gewollter Derbheit prägten ihre Spur in den von Feuchtigkeit festgebackenen Ufersand. Wichmann empfand die Schattierungen seiner eigenen in dunklem Grün gemusterten Hülle und die einsame Vorfrühlingslandschaft als etwas einander Angepaßtes. Die Haut seiner Wangen sprang auf; der Wind, der über den See kam, wühlte in den Haaren des Wanderers und sang in den Bäumen. Der Himmel war licht, aber über der Ferne der Erde lag eine Nebelhülle, die die Ufer jenseits der Wasserfläche verbarg. Das Auge glaubte über den Spiegel in das Unbegrenzte zu sehen. Unter dem Streichen der Luft kräuselten sich Wellen und kamen zum Ufer heran. Sie brachten altes Holz und zerbrochene Muscheln. Der Wanderer blieb stehen und sah den Wellen zu, die mit bräunlichem Schaum am Sandstrand aufwärts glitten und wieder zurückflohen. Das Element, das die Meere füllen und die Felsen brechenkonnte, spielte hier ein melancholisches, sich unendlich wiederholendes, sachtes Spiel. Einmal leckte es dem Menschen um die Füße, und er wich zurück, während er sich selbst ob seiner törichten Furcht schalt. Aber es war ihm gewesen, als ob die Pfoten einer sehr großen Katze nach ihm taste, um ihn zu greifen.

      Seine Schritte gingen weiter,