Irgendwann im Jahre 1935 lernte Rosaleen auf einer Veranstaltung in Bellevue Hill einen jungen Mann namens Beresford Conroy kennen. Sie waren beide erst siebzehn zu dieser Zeit und entwickelten schnell Sympathie für einander. Beresford war gut gebaut und attraktiv und ein frühes Foto zeigt das junge Paar glücklich, lächelnd und in Zweisamkeit vereint. Sie heirateten am 24. Dezember 1940, machten sich danach, wie Rosaleen es ausdrückte „auf den Weg“, und fuhren per Anhalter zuerst von Sydney nach Melbourne, dann weiter nach Norden Richtung Brisbane und Cairns. Als sie zurück in Sydney waren, zogen sie in ein altes Sandsteingebäude in der Bayswater Road, wo sich heute das Seniorenheim der Church of England befindet. Doch leider hielt die Ehe mit Beresford nicht lange. Von einem Schwall von Patriotismus erfüllt, der mit den schnell eskalierenden Spannungen des Zweiten Weltkriegs kam, ging Beresford als Freiwilliger zur Armee, verließ Australien, um in Neu Guinea zu dienen und ließ seine junge Frau allein zurück. Norton war davon nicht beeindruckt, und als er aus dem Krieg zurückkam, reichte sie die Scheidung ein, obwohl sie erst 1951 wirklich geschieden waren. Beresford und Roie gingen nun auseinander, und sie zog in ein altes Steingebäude, das den Namen Merangaroo trug und welches so farbenfroh war wie Beggary Barn.
Es war ursprünglich von Sträflingen gebaut worden, lag unweit der Garrison Church im Rocks Bezirk, und wurde von einer exzentrischen Eigentümerin namens Mrs. Carter geführt. In diesem Haus lebten alle Arten von Menschen – Künstler der Bohème, Seeleute und sogar ein englischer Geheimagent, der einmal einen mutmaßlichen Nazi-Sympathisanten drei Wochen lang in seinem Schlafzimmer gefangen hielt. Es war ein exotischer und unberechenbarer Ort – jene Art exzentrischer Gemeinschaft, in der Norton voller Freude lebte. Die Zeit im Merangaroo regte ihre Fantasie an und brachte sie dazu, die besten Seiten ihres Talents gedanklich zu ergründen.
Bald darauf kehrte Norton in die Welt der Zeitschriften und Boulevardblätter zurück. Da der Smith’s Weekly für sie nicht mehr in Frage kam, begann sie eine geeignete Plattform für ihre Zeichnungen und Schriften zu suchen. Diese fand sie schließlich bei einer kleinen Zeitschrift namens Pertinent, ein taschenbuchgroßes Monatsblatt, das sich selbst als Mischung aus „Fiktion, Fotos und Fakten“ bezeichnete.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, gab es in Australien nur zwei „kleine Zeitschriften“, die Bohemia, in der häufig auch Avantgarde-Texte veröffentlicht wurden und ein Journal, das den Namen Venture trug. Dann kamen in den letzten Monaten des Jahres 1939 drei neue Zeitschriften auf den Markt: The People’s Poetry, Western Writing und Southerly. Weitere dieser Art folgten schon bald, sodass es schließlich schien, als hätte der Krieg die Gründung neuer Zeitschriften tatsächlich gefördert. Zurückzuführen war dies größtenteils auf die Beschränkung des Imports von Publikationen als Teil der Rationierung des „Luxus“ in dieser Zeit. Daher hatten die Leute mehr Geld zur Verfügung, um es für die heimischen Produkte auszugeben.
Der Redakteur des Pertinent war der Dichter Leon Batt, und die ersten zwei Ausgaben, die im August und September 1940 erschienen, kosteten im Handel sechs Pence. Später stieg der Verkaufspreis auf einen Schilling. Pertinent unterschied sich sehr vom Smith’s Weekly, es hatte ein anderes Hauptthema und definierte seine redaktionelle Herangehensweise prägnant: „Was es nicht will“, kündigte Leon Batt in einer offiziellen Bekanntgabe des Zeitschriftenhandels an, „sind sentimentale Klischees, konventionelle Dramen, einen chauvinistischen Patriotismus und romantische Verklärung. Cartoons, Ideen für Cartoons und ungewöhnliche Foto-Geschichten sind das, was es braucht, denn das Pertinent ist eine der wenigen nicht-intellektuellen Publikationen mit einem bestehenden Interesse an der Dichtung.“15
Es war der freidenkerische, innovative Ansatz des Pertinent, der Norton als eine potenzielle Mitarbeiterin anzog. Ihre ersten Zeichnungen, die zur Veröffentlichung angenommen wurden, waren zwei Fantasy-Werke, die geisterhafte Elementarkräfte darstellten, sowie eine Bleistift-Studie, die den Titel The Borgias trug und in der dritten Ausgabe abgedruckt wurde, welche im Oktober 1941 erschien.
In den November- und Dezember-Ausgaben des Jahres 1941 waren Leitartikel über ihr Werk enthalten. Der Eröffnungsabsatz eines solchen in der Dezember-Ausgabe las sich wie folgt:
Bleistiftzeichnung von Norton mit dem Titel The Borgias, im Pertinent abgedruckt.
Wenige, wenn überhaupt irgendjemand unter Australiens Künstlern, hat so viel Erstaunen und fachliche Kontroverse hervorgerufen wie Miss Rosaleen Norton. Weitere Studien dieser höchst bemerkenswerten Kunstentdeckung werden in den zukünftigen Ausgaben des Pertinent erscheinen. Die Originale dieser Werke können käuflich erworben werden.16
Die November-Ausgabe des Pertinent aus dem Jahres 1941 enthielt drei visionäre Zeichnungen: The Rite of Spring zeigt einen bärtigen Zentauren, The Dream eine Mischung aus ägyptischen und saturnalischen Bildern und Sorcery einen gehörnten Merlin, der einen konischen turmhaften Hut trägt und von einer Horde grinsender Ghoule und Hobgoblins umringt ist. Der Begleitartikel trug keinen Autorennamen und wurde wahrscheinlich von Batt selbst verfasst. Nach der Behandlung der heidnischen Einflüsse auf Nortons Kunst stellte der Verfasser fest, dass das Werk der Künstlerin, „abgesehen von seiner angeblich thematischen und bildnerischen ‚Unorthodoxie‘, unzweifelhaft über das Gewöhnliche hinausreicht. Man zollt ihm nun mehr Interesse und Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit.“ Diese Aussage bezog sich möglicherweise auf den Smith’s Weekly und Frank Marien, der Nortons künstlerische Talente nicht anerkannte. Leon Batt glaubte ganz sicher, dass der Pertinent mit den Kunstwerken Rosaleen Nortons eine wichtige Entdeckung gemacht hatte: „Der Pertinent fühlt, dass mit Miss Rosaleen Norton eine Künstlerin entdeckt wurde, die es wert ist, mit einigen der besten Zeitgenossen des Kontinents, sowohl Amerikas und Englands verglichen zu werden.“
Für die Dezember-Ausgabe aus dem Jahre 1941 lieferte Norton weitere Bildwerke. Der Artikel More from the Folios of Miss Rosaleen Norton’s Art wurde mit einer Zeichnung in Aquarellfarben und Bleistift eröffnet und zeigte den „Bock von Mendes“, eine stilisierte Interpretation des Teufels als ein grinsendes, ziegenköpfiges Ungeheuer. In dem Artikel enthalten waren auch noch zwei andere Zeichnungen: Nightmare und Desolation. Norton wurde von der Berichterstattung über ihre Person zu dieser Erweiterung der Publikation ermutigt, denn für sie bedeutete die Anerkennung, die ihr damit zuteilwurde, einen Durchbruch, auch wenn es sich bei The Pertinent nur um ein kleineres Blatt handelte. Einen bedeutenden Effekt auf ihr Leben würde Nortons Verbindung zu dieser Zeitschrift allerdings in anderer Hinsicht haben, denn der Pertinent würde schon bald damit beginnen, die Werke eines jungen Schriftstellers zu veröffentlichen, welcher Nortons Liebhaber und später sogar ihr Partner in magischen Ritualen werden sollte: Der Dichter Gavin Greenlees.
Gavin Greenlees und seine Dichtung
Gavin Greenlees war ohne Frage ein frühreifes Talent; zwei seiner frühen Gedichte wurden im Jahre 1943 im Pertinent veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade mal dreizehn Jahre alt.17 Greenlees wurde am 15. April 1930 in Armadale, einem Vorort von Melbourne, geboren. Seine Eltern gehörten, wenn sie auch nicht sehr wohlhabend waren, dennoch der Mittelklasse an. Sein Vater, Gavin Senior, war von Beruf Journalist; seine Mutter Gladys war als Sozialarbeiterin beschäftigt. Greenlees‘ Eltern versuchten, in ihrem Sohn die Liebe zur Literatur zu entflammen und stellten sicher, dass er eine umfassende und strenge Erziehung genoss.
Gavin Greenlees im Jahre 1949
Er wurde auf der Elwood Public School eingeschult und besuchte später das Christian Brother’s College und weiterhin St. Patrick’s, Ballarat und die Melbourne High School.
Im Alter von zwölf Jahren gewann Greenlees dreimal hintereinander Dichterwettbewerbe, die von der australischen Medienkommission gesponsert wurden, und mehrere seiner Werke erschienen später in dem Australian Weekend Book. In den frühen 1940er Jahren wurden mehrere von Greenlees‘ Gedichten auch im ABC