Rosaleen Norton. Nevill Drury. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nevill Drury
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Эзотерика
Год издания: 0
isbn: 9783944180366
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Australien der 1950er Jahre verehrt wurde. Doch Norton war anders, und das bereits in einer Zeit, in der es weitaus schwerer war, sich von anderen zu unterscheiden, als heute. Sie war unkonventionell, bisexuell, freimütig, rebellisch und vollkommen unabhängig in einer Zeit, da die meisten jungen Frauen, die an Sydneys Nordufer aufwuchsen, nur daran dachten, zu Hause mit Ehemann und Kindern glücklich zu sein. Norton fürchtete sich nicht davor das auszusprechen, was sie dachte und zeichnete ihre heidnischen Bilder auf Gehsteige oder gab ihre okkulten Ansichten auf den Seiten der Boulevardpresse zum Besten. Für die meisten Leute, die in den Tageszeitungen und Magazinen über sie lasen, war sie einfach nur empörend.

      Wie ich bereits angedeutet habe, lebte Roie Norton bereits zurückgezogen, als ich sie traf – dennoch war es einem Freund von mir namens Barry Salkilld und mir gelungen, eine Person ausfindig zu machen, die Danny hieß und Norton kannte. Danny arbeitete in einem Juwelierladen in Kings Cross und wir erklärten ihm, dass wir ein aufrichtiges Interesse an Nortons magischen Techniken und Praktiken hatten und mit ihr über ihre persönlichen Ansichten zur Magie und ihre Wahrnehmung der Welt sprechen wollten. Die Botschaft gelangte irgendwie zu ihr und uns wurde ein Interview gewährt. Norton lebte in einer dunklen Kellerwohnung, die sich am Ende eines langen Korridors in einem alten Gebäude in Roslyn Gardens befand und nur wenige Schritte von Kings Cross in Richtung Rushcutters Bay entfernt war. Die Künstlerin war ein wenig schwach, doch sehr geistesgegenwärtig, hatte ausdrucksstarke Augen und ein herzliches Lachen. Sie lud uns sogar zu einem gemeinsamen LSD-Trip ein, doch in den düsteren Räumlichkeiten ihrer Kellerwohnung erzitterten wir bei dem Gedanken an die schattenhaften Wesenheiten, welche wir durch diese starke psychedelische Droge entfesseln könnten, sodass wir beide dankend ablehnten. Später fand ich heraus, das Norton periodisch LSD nahm, um sich in visionäre Zustände zu versetzen und dass der Sinn für sie darin bestand, ihr Bewusstsein als Künstlerin zu erweitern. Sie benutzte die Droge also nicht nur zur Entspannung, denn sie war sich ihrer Kraft wohl bewusst.

      Bei diesem Treffen sprachen wir über die Gottheiten, die Norton im Trance-Zustand begegnet waren, über ihre Ansicht, dass Pan in der „Zurück-zur-Natur“-Bewegung, wie sie von Kulturen, die gegen die etablierte Gesellschaft waren unterstützt wurde, lebendig war, und auch über ihre starke Bindung zu Tieren. Roie erzählte uns von ihrem Glauben, dass die meisten Tiere mehr Integrität besitzen würden als menschliche Wesen und ihrem Gefühl, dass besonders Katzen in beiden Welten gleichzeitig, d. h. sowohl in der normalen Wachwelt, als auch in der inneren geistigen Welt, agieren konnten. Sie erinnerte sich sogar an die Zeit einer früheren Inkarnation. Sie glaubte, dass sie schon einmal in einem vergangenen Jahrhundert in Sussex gewohnt hatte, und zwar in einem wackeligen Holzhaus inmitten einer gelben Wiese irgendwo bei Beachy Head. Es gab dort mehrere Tiere – Kühe, Pferde, etc. – und sie selbst war ein Poltergeist, ein körperloser Geist. Sie erinnerte sich daran, dass wenn „normale“ Leute in die Nähe dieses Hauses kamen, diese von ihrer Gegenwart beängstigt waren und die Existenz von Poltergeistern oder anderer „übernatürlicher“ Wesen nicht akzeptieren konnten. Tiere aber sahen sie so, wie sie war – als Teil der natürlichen Ordnung.

      Für Roie war dies die Erklärung für die Liebe zu ihren Haustieren, und ihr ganzes Leben lang war sie von Kreaturen aller Art umgeben – von Echsen und Spinnen bis hin zu Mäusen, Schildkröten und Katzen. In ihrem dunklen und sehr privaten Wohnzimmer in Kings Cross sammelte sie ihre tierischen Freunde um sich, zu denen sie ein positiveres Verhältnis hatte, als zu ihren menschlichen Nachbarn in der Welt des Tageslichts. Man konnte sich im zwielichtigen Reich ihrer Kellerwohnung in Kings Cross des Eindrucks nicht erwehren, dass sie sich hier ganz zuhause fühlte. Sie verspürte auch keinen starken Wunsch mehr, regulären Kontakt zur Außenwelt zu halten.

      Dieses Buch behandelt nicht nur das Leben von Rosaleen Norton und die Zeit, in der sie wirkte, sondern beschreibt auch ihre komplexe und ungewöhnliche Weltanschauung. Ihre persönlichen Ansichten umfassen eine eklektische Mischung aus Magie, Mythologie und Fantasie, die im Wesentlichen aus ihren mystischen Erfahrungen der inneren Welt entstand und für sie vollkommen real war, denn Norton war keine Theoretikerin. Ich bin der Ansicht, dass ihre Verachtung für die Öffentlichkeit teilweise von der Tatsache herrührt, dass sie in sich den Zugang zu einem wundersamen, visionären Universum besaß, während die meisten Menschen um sie herum eine enges, bigottes und angstbestimmtes Leben führten. Roie war ein Freigeist und sehr wohl eine Abenteurerin und sie liebte es, durch die Welten zu fliegen, die sich ihr durch ihre Imagination eröffneten.

      Die Reflektion davon ist ihre Kunst. Sie war die Passion ihres Lebens, ihr hauptsächlicher Daseinszweck. Sie hatte keine Karrierepläne; alles, was sie wollte, war die Mächte, welche sie in ihrem Wesen fand, in die Außenwelt zu reflektieren und diese psychischen und magischen Energien auf die Art und Weise manifest werden zu lassen, wie ihr es beliebte. Wie mir Roies Schwester Cecily später erzählte, stellte die Kunst den Mittelpunkt ihres Lebens dar; und Norton war sehr stolz über die kurzfristige Anerkennung, die ihr zuteilwurde, als sie im Jahre 1970 zusammen mit Norman Lindsay4 von dem englischen Kunstkritiker und Landschaftsmaler John Sackville-West als eine von Australiens begabtesten Künstlern beschrieben wurde. Dies war Lob von unerwarteter Seite und gab ihr beträchtlichen Mut, weil sie fühlte, dass wenigstens ein Mensch ihre Kunst verstand und auf sie positiv reagiert. Allzu oft gingen ihre Kritiker nur auf ihr äußeres Erscheinungsbild und damit auf die bizarre und oftmals verzerrte Persönlichkeit ein, die von den Medien erschaffen wurde. Doch das hatte nichts mit der „wirklichen“ Roie gemein.

      Meine Absicht für das Verfassen dieses Buches besteht darin, ein erhellendes Licht auf die Einzigartigkeit von Rosaleens außergewöhnlichem Leben und ihrer magischen Philosophie zu werfen, da wir seit ihrem Tode im Jahre 1979 keinen Menschen wie sie mehr kennen lernen durften. Sie war eine erstaunliche Person, eine Frau mit starken Überzeugungen und ungewöhnlichen Ansichten und als solche weitaus komplexer, als die sensationslüsternen Geschichten der Boulevardpresse vermuten lassen. Als Australiens berühmteste Hexe und Pantheistin war Rosaleen Norton ihrer Zeit weit voraus, doch sie blieb, besonders in den 1950er und 1960er Jahren, weitestgehend von der Öffentlichkeit unverstanden. Ich hoffe, dass dieses Buch einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, diese immer noch bestehenden Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

       Nevill Drury

      Milton, New South Wales, Australia

KAPITEL EINS

      Als würde das Schicksal die spektakulären Ereignisse ihres späteren Lebens vorwegnehmen, wurde Rosaleen Norton in Dunedin, Neuseeland, während eines heftigen Gewitters geboren. Es war am 2. Oktober 1917 gegen 4.30 Uhr morgens, und wie Norton später erzählte, war dieses Gewitter vielleicht der Grund dafür, warum sie eine zeitlebens anhaltende Schwäche für Stürme und die Nachseite des Lebens entwickelte. „Stürme bewirken in mir ein merkwürdiges Gefühl der Begeisterung, ja fast der Trunkenheit, “ erinnerte sie sich im Jahre 1957. „Die Nacht ist für mich die Zeit, in der alle meine Sinne alarmiert sind; ich mich wacher fühle als sonst und am besten funktioniere. Diese Idiosynkrasie war ein ständiger Grund für Auseinandersetzungen mit meiner Mutter, denn mich zum ins Bett gehen zu überreden war für sie keine einfache Aufgabe – genauso wenig wie mich morgens aufzuwecken.“ Rosaleen Norton war als die jüngste von drei Schwestern von Anfang an ein unkonventionelles Kind. Cecily und Phyllis waren zwölf und zehn Jahre älter als sie. Die Familie gehörte der Britisch-Orthodoxen Kirche an, und Norton beschreibt ihre Eltern als „nicht tief religiös, aber gottesfürchtig.“ Für sie war das Befolgen religiöser Vorgaben „mehr eine Frage der Gewohnheit denn persönliche Überzeugung und ihr sporadischer Besuch des Gottesdienstes mehr ein Zeichen der Höflichkeit als alles andere.“1

      Nortons Vater Albert Thomas Norton, der aus England stammte, war als Kapitän mit großem Patent bei der neuseeländischen Dampfschifffahrtsgesellschaft tätig und seit seiner Zeit als Deckhand im Alter von 16 Jahren zur See gefahren. Viel später dann, als Italien im Jahre 1940 in den Zweiten Weltkrieg eintrat, wurde er Kapitän auf der Remo, einem italienischen Schiff, das in Melbourne stationiert und als Kriegsbeute wieder