Halten wir fest: Die geschichtsphilosophische Frage nach dem Fortschritt wird aufgefangen in der Antwort, die Kulturen seien gleich. Doch gleich können sie nur sein, wenn sie untereinander kommensurabel werden. Sind sie inkommensurabel, dann zerbricht der Begriff der Einheit des Menschengeschlechts. Lévi-Strauss eliminiert die Denkmöglichkeit einer gemeinsamen Geschichte der Menschheit restlos. Diese Geschichtsphilosophie ohne Geschichte besticht mit ihrer konsequenten Ablehnung der Globalisierung sowie deren politisch-moralischen Implikationen. Indes, sie hat sich als selbstgesponnenes antiuniversalistisches Gewebe um den Anthropologen gelegt und sich zum Käfig verhärtet. Nach dem Sieg des Front National in Dreux gab Lévi-Strauss am 21. Oktober 1983 ein Interview; dabei stellte er die multikulturalistischen Positionen auf dieselbe Stufe wie die rechtsextremen: »Diese Ideen scheinen mir nicht illegitimer oder schuldhafter zu sein als die umgekehrten Ideen, deren Auswirkungen auf die öffentliche Meinung wir verspüren. Die ersteren zum Sündenbock zu stempeln, ohne die Risiken der zweiten einzuschätzen, ist pure Inkonsequenz. Bei diesem Thema existieren zwei entgegengesetzte Verirrungen, die einander wechselseitig erzeugen.«
Der Ethnopluralismus der ›Neuen Rechten‹ ist ebenso legitim wie der Multikulturalismus, denn sie beruhen auf denselben Axiomen. In der Tat, beide sind einander feindliche Zwillingsemanationen desselben Antiuniversalismus. Nicht verwunderlich also, daß Lévi-Strauss sechzehn Jahre vor dem 11. September die ethnologische Pflicht anspricht, ›seine‹ Kultur zu schützen gegen einen erneut erobernden Islam:
»Unsere Kultur ist in der Defensive gegen äußere Bedrohungen, zu denen wahrscheinlich die islamische Explosion zählt. Und augenblicks fühle ich mich unbeirrbar und in ethnologischer Hinsicht als Verteidiger meiner Kultur.«38
Zur Beerdigung des Multikulturalismus läutet Lévi-Strauss die Glocke kultureller Selbstbehauptung. Der große Anthropologe denkt gar nicht daran, in universalen Rechten die Zuflucht zu suchen, um den Frieden der Kulturen zu denken. Statt dessen geht er den Weg des Ethnopluralismus – bis ans bittere Ende.
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