Es ist kompliziert. Rachel Held Evans. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rachel Held Evans
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783865069146
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Und ich erinnere mich daran, wie froh ich war, meine Mutter zu sehen, die mit offenen Armen darauf wartete, mich in ein Handtuch zu wickeln, und wie wir zusammen dabei zusahen, wie Amanda an der Reihe war und hineinwatete. Das Wasser schien so viel tiefer, es ging ihr bis zu den Schultern. Hinterher gab es einen kleinen Empfang, und jemand hatte daran gedacht, gefüllte Eier zu machen, weil sie wussten, dass ich das liebte.

      Aber am meisten erinnere ich mich daran, wie ich mich fragte, warum ich mich jetzt nicht sauberer fühlte, warum ich mich nicht heiliger fühlte oder leichter oder Gott näher, wo ich doch wiedergeboren war … schon wieder. Ich fragte mich, ob meine pfingstkirchlichen Klassenkameraden recht hatten und ich eine zweite Taufe, eine Geistestaufe, brauchte oder ob ich nicht feierlich genug bei der Sache gewesen war oder mich nicht ausreichend auf meine Taufe vorbereitet hatte, damit sie auch wirkte. Ich hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht gelernt, dass man für gewöhnlich aus den großen Momenten – der Hochzeit, dem Buchvertrag, der Reise, dem Tod, der Geburt – als ganz genau dieselbe Person herauskommt, als die man hineingegangen ist, und dass die vielleicht seltsamste Überraschung des Lebens die ist, dass es immer wieder demselben alten Du geschieht.

      Wenn Martin Luther wieder eine seiner dunkleren Phasen durchmachte (was häufig geschah, der Kerl war ganz eindeutig bipolar veranlagt), soll er sich getröstet haben, indem er sich sagte: „Martin, bleib ruhig, du bist getauft.“ Ich vermute, sein Trost kam nicht daher, dass er sich den eigentlichen Moment der Taufe ins Gedächtnis rief oder sich auf die Taufe als eine Art zauberhaften Glücksbringer verließ, sondern daher, dass er sich daran erinnerte, wofür seine Taufe stand: für seine Identität als ein geliebtes Kind Gottes nämlich. Denn letzten Endes ist die Taufe eine Namensgebung. Als Jesus aus den Wassern des Jordans emporkam, erklärte eine Stimme vom Himmel herab: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ Es fing nicht erst mit der Taufe an, dass Jesus geliebt wurde, noch wurde er mehr geliebt, als die Taufe zu einer Erinnerung geworden war. Die Taufe benannte ganz einfach die Wirklichkeit seiner Existenz und die Tatsache, dass er unendlich geliebt war. Meine Freundin Nadia formuliert es so: „Identität. Das ist immer Gottes erster Schritt.“9

      Und so ist es auch bei uns. In der Taufe werden wir als geliebte Kinder Gottes identifiziert, und unsere Adoption in diese ausufernde, schöne, dysfunktionale Familie, die die Gemeinde Gottes ist, wird von denen gefeiert, die mit Fön und gefüllten Eiern am Ufer stehen. Daher steht das Taufbecken in aller Regel in der Nähe der Kirchentür. Der Mittelgang symbolisiert die Lebensreise des Christenmenschen zu Gott hin, eine Reise, die mit der Taufe beginnt.

      Die gute Nachricht ist: Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Die schlechte ist: Du kannst dir deine Geschwister nicht aussuchen. Nadia ist eine lutherische Pastorin, die in der fundamentalistischen Tradition der Gemeinde Christi aufgewachsen ist, die es, wie meine auch, Frauen verbietet, Pastorinnen zu werden. Als sie zur evangelisch-lutherischen Kirche übertrat, bat sie ihren lutherischen Mentor, sie zu taufen. Ihr Mentor lehnte weise ab und erinnerte sie daran, dass eine Handlung Gottes weder rückgängig gemacht noch wiederholt werden kann. Obwohl sie die Gesellschaft und die Verhaltensweisen ihrer ersten Gemeinde abgelegt hatte, konnte sie sie nicht aus ihrem geistlichen Stammbaum löschen. Sie waren immer noch ihre Familie.

      Wie Nadia habe ich mit der evangelikalen Tradition gerungen, in der ich aufgewachsen bin. Oft plump. Zuweilen habe ich versucht, die Wasser meiner ersten Taufe aus den Kleidern zu wringen, sie aus meinem Haar zu schütteln, und in einer anderen Gemeinschaft um eine Wiederholung gebeten, wo sie Frauen ordinieren, die Demokraten wählen und an die Evolution glauben. Aber Jesus hatte diese seltsame Eigenschaft, normalen, verkorksten Leuten zu erlauben, ihn vorzustellen, und deswegen waren es normale, verkorkste Leute, die mir zuerst erzählten, dass ich ein geliebtes Gotteskind bin, die mich zuerst als eine Christin bezeichneten. Ich weiß nicht, wohin mich meine Glaubensgeschichte führen wird, aber sie wird immer an diesem Punkt beginnen. Das wird sich nie ändern.

      Ich wurde von meinem Vater getauft. Und von meiner Mutter. Von Pastor George, von meinen Sonntagsschullehrerinnen, von meiner Schwester, von dem Gebrauchtwagenhändler, der zu Ostern immer eine Gospelvariante von „The Old Rugged Cross“ sang, von dem Jungen, der Popel in meine Haare schmierte, von dem kleinen Mädchen im Rollstuhl, das nicht sprechen konnte. Ich wurde von Alabama getauft, von Reaganomics, von den Evangelikalen, der Parkway Christian Academy und von der Bible Chapel. Ich wurde von Martin Luther King Jr. und George Wallace und Billy Graham getauft. Ich wurde von dem Schlag Mensch getauft, der Angelgeschichten in Predigten verwandelt und Rush Limbaugh hört und mich manchmal auf die falsche Art und Weise liebte. Ich wurde durch Wasser und durch Geist getauft und durch diese seltsame Ansammlung von Atomen und Genen und Erfahrungen, die Gott zusammengesetzt, an der er sich erfreut und die er in einem Akt absurder Gnade Geliebte genannt hat.

      DREI

      Nackt an Ostern

       Wie keck wird man, wenn man sich geliebt weiß!

      – Sigmund Freud

      In den frühen Zwanzigerjahren legten Archäologen eine Reihe grober Fresken an der Wand eines römischen Hauses frei, während sie die Ruinen der Wüstenstadt Dura-Europos erforschten, die an der antiken römischen Grenze im heutigen Syrien lag. Die Fresken umgaben ein Becken und stellten ein paar eindeutige Szenen dar: eine Frau an einem Brunnen, zwei Personen, die über das Wasser gehen, während ihre Kameraden vom Schiff aus zusehen, drei Frauen, die sich einem Grab nähern. Die Archäologen hatten das Baptisterium der bis heute ältesten bekannten Kirche der Welt gefunden.

      Beinahe zweitausend Jahre früher wird das flackernde Licht der Öllampen am Ostermorgen kurz vor Sonnenaufgang die Zeichnungen beleuchtet haben, während die neu zum Christentum Bekehrten splitternackt im Wasser des Taufbeckens knieten. Einer nach dem anderen, die Männer getrennt von den Frauen, bestätigte jeder Täufling die Grundsätze des Glaubens und entsagte Satan und seinen Dämonen, ehe er dreimal ins kalte Wasser untergetaucht wurde – im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

      „Entsagst du dem Satan und allen seinen Werken und allen seinen Engeln und all seinem Dienst und all seinem Hochmut?“, fragen orthodoxe Priester bis heute erwachsene Konvertiten.

      „Ich entsage“, sagt der Konvertit.

      „Hast du dich Christus angeschlossen?“

      „Ja, ich habe mich Ihm angeschlossen.“

      „So falle vor Ihm nieder und bete Ihn an!“

      „Ich bete an den Vater und den Sohn und den Heiligen Geist.“

      Nach der Taufe wurden den Konvertiten weiße Gewänder gegeben, die ihr neues Leben in Christus symbolisierten, und sie wurden mit Öl gesalbt, das sie als Mitglieder der königlichen Priesterschaft kennzeichnete. Dann gesellten sie sich zu ihren Glaubensgeschwistern, um das Abendmahl zu nehmen. Dieser Prozess wiederholte sich jedes Jahr: Er begann mit einigen Fastentagen und fand seinen Höhepunkt in der feierlichen Osterwache.10

      Heutzutage fangen die meisten Kirchen ihren Ostergottesdienst nicht damit an, dass ein Häufchen nasser, nackter Menschen morgens um sechs Satan und seinen Dämonen entsagt. Das würde wohl deutlich weniger Leute anziehen als ausgefeilte Passionsspiele oder Ostereiersuchen mit Geldpreisen. Und doch begann, historisch betrachtet, das Leben eines Christen damit, zwei unbequeme Wirklichkeiten – das Böse und den Tod – öffentlich und offen einzugestehen, und bei der Taufe stellt der Christ die kühne Behauptung auf, dass keine von beiden das letzte Wort behält.

      Jetzt fühle ich mich, was den Exorzismus von Dämonen angeht, genauso unwohl wie mein Honda fahrender, Kulturradio hörender, New York Times lesender progressiver Nächster. Wenn ich diese Geschichten im Neuen Testament lese, neige ich dazu, den raffinierteren Ansatz zu wählen und anzunehmen, dass die Leute, die von Dämonen befreit wurden, von psychischen Krankheiten oder Epilepsie oder so etwas geheilt wurden (was, wenn man mal genauer drüber nachdenkt, nur bedeutet, eine wirklich wenig plausible Geschichte durch eine andere auszutauschen). Aber in letzter Zeit habe ich mich gefragt, ob dadurch nicht etwas ganz Wesentliches verloren geht, etwas Wahres über die Form und die Natur