31 Von der evangelikalen Trägheit des Herzens
32 Das ganze Ding mit dem Leichenwagen
Vorwort
Immer wenn ich mir selbst einen Schrecken einjagen will, überlege ich mir, was wohl mit der Welt passieren würde, wenn Rachel Held Evans mit dem Schreiben aufhörte.
Während ich durch die Seiten dieses Buches pflügte, wurde mir bewusst, dass ich mein Leben lang auf „Es ist kompliziert“ gewartet habe. Dieser Jesus, den Rachel unbändig liebt, ist derselbe Jesus, in den ich mich vor langer Zeit verliebt habe, bevor die Heucheleien der Kirche und meines eigenen Herzens alles vermasselten. „Es ist kompliziert“ half mir dabei, der Kirche und mir selbst zu vergeben und mich wieder ganz neu in Gott zu verlieben. Es war, als wären mit der Zeit Straßensperren zwischen mir und Gott aufgebaut worden, und während ich dieses Buch las, spürte ich, wie Rachels Worte diese Hindernisse eins ums andere aus dem Weg räumten, bis ich zum Ende des Buches hin wieder einen unverstellten Blick auf Gott hatte.
Rachels Christsein ist die tägliche Übung grenzenloser Gnade – gegenüber sich selbst, der Kirche, gegenüber denjenigen, die die Kirche vor der Tür stehen lässt. Der Glaube, den sie in „Es ist kompliziert“ beschreibt, ist weniger eine Art Verein, zu dem man gehört, sondern mehr eine Art Strömung, in die man sich hineinbegibt – eine Strömung, die einen beständig zu Leuten und Orten trägt, vor denen man sich in Acht nehmen sollte, so jedenfalls wurde sie es gelehrt. Rachel stellt nicht nur fest, dass sie diese Leute liebt, sondern dass sie selbst „eine von denen“ ist. In „Es ist kompliziert“ überzeugt uns Rachel davon, dass es kein „die da“ im Gegensatz zu einem „wir“ gibt; es gibt einfach nur uns. Dieser Gedanke ist gleichzeitig tröstlich und auch ein bisschen beängstigend. Mir scheint, als wären „tröstlich“ und „ein bisschen beängstigend“ Eigenschaften, die beschreiben, wie Glaube sein sollte.
„Es ist kompliziert“ ist kurz gesagt mein Lieblingsbuch, geschrieben von meiner Lieblingsautorin. Wenn mich ab jetzt jemand nach meinem Glauben fragt, werde ich einfach dieses Buch weitergeben. Herr im Himmel, was bin ich dankbar für Rachel Held Evans.
– Glennon Doyle Melton
Autorin von „Aufstehen, Krone richten, weitermachen: Entwaffnend ehrliche Gedanken, die helfen, das Leben zu meistern“ und Gründerin von momastery.com sowie Together Rising.
PROLOG
Dämmerung
Ich will dir erzählen, wie die Sonne aufging, Strahl für Strahl …
– Emily Dickinson
Der deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb: „Die Frühe des Morgens gehört der Gemeinde des auferstandenen Christus. Beim Anbruch des Lichtes gedenkt sie des Morgens, an dem Tod, Teufel und Sünde bezwungen darniederlagen und neues Leben und Heil den Menschen geschenkt ward.“2
Das sind nicht ganz so gute Neuigkeiten für jemanden wie mich. Ich weiß „beim Anbruch des Lichtes“ kaum, wer ich eigentlich bin; über den theologischen Gehalt der Auferstehung könnte ich um diese Zeit wohl kaum nachdenken. Ich bin nicht unbedingt das, was man als Frühaufsteher bezeichnen würde, und ehrlich gesagt bin ich um die Zeit lieber diejenige, die „bezwungen darniederliegt“. Das Glück, das einem Sonnenaufgang innewohnt, bleibt für mich eines der unerreichbaren Geschenke der Natur, so wie Nordlicht oder Naturlocken. Ich hätte die arme Maria von Magdala zweifellos mit einem leisen, von meinem kuschligen Kissen gedämpften Grunzen verscheucht, wenn sie mich gebeten hätte, an jenem schicksalsträchtigen Morgen mit wohlriechenden Ölen zum Grab des Herrn zu gehen. Ich hätte die Hauptveranstaltung einfach verschlafen.
Die Religiösen haben es schon immer auf uns Nachteulen abgesehen. In meinem Stundenbuch steht, die Morgengebete sollten zwischen 4.30 Uhr und 7.30 Uhr gesprochen werden. Wie ich zu einer Zeit, in der ich schon meinem Mann gegenüber kaum einen zusammenhängenden Satz herausbringe, mit Gott sprechen soll, weiß ich beim besten Willen nicht. Dennoch heißt es von den am höchsten verehrten Heiligen der Kirche, sie sollen Frühaufsteher gewesen sein. Außerdem erinnere ich mich, wie Pastoren in meiner Kindheit ehrfürchtig über ihre Stille Zeit am frühen Morgen sprachen, als habe Gott strenge Sprechzeiten. Sogar die großartigen Kathedralen dieser Welt haben ihre Eingangstüren im Westen und die Altäre im bevorzugten Osten. Alte europäische Friedhöfe, mit verwitterten Grabsteinen hier und da, spiegeln bis heute die Sitte wider, die Toten mit den Füßen zur aufgehenden Sonne hin zu begraben, wobei die aufgehende Sonne Hoffnung symbolisiert und für die Erwartung steht, dass bei der Wiederkunft Christi die Gläubigen vom Tode auferstehen und ihm in die Augen schauen werden. Ich kann nur hoffen, dass das alles in meiner Zeitzone irgendwann nach neun Uhr morgens stattfindet.
Wenn die frühen Morgenstunden tatsächlich der Gemeinde des auferstandenen Christus gehören, dann schläft meine Generation aus.
In den Vereinigten Staaten haben 59 % der jungen Erwachsenen im Alter von 18 – 29 Jahren mit einem christlichen Hintergrund der Kirche den Rücken gekehrt. Unter denjenigen von uns, die um das Jahr 2000 herum volljährig wurden, behauptet ein gutes Viertel, sie hätten überhaupt keine religiöse Zugehörigkeit, was uns noch deutlicher vom Glauben trennt als die Mitglieder der „Generation