Mit 32 gelte ich gerade noch so als „Millennial“, als ein Mitglied der Generation Y. (Sagen wir es so: Ich besitze immer noch eine Menge aufgezeichneter Folgen von Friends – auf Kassetten!) Aber obwohl ich mit einem Fuß in der Generation X stehe, neige ich dazu, mich am stärksten mit den Haltungen und dem Ethos der Generation der Jahrtausendwende zu identifizieren, und deswegen werde ich häufig darum gebeten, vor Gemeindeleitern darüber zu sprechen, warum junge Erwachsene die Kirche verlassen.
Darüber könnte man unzählige Bücher schreiben, und das haben ja auch schon so einige gemacht. Ich kann nicht hinreichend über die sozialen und geschichtlichen Entwicklungen sprechen, die das religiöse Leben Amerikas nicht nur prägen, oder über die Kräfte, die so viele meiner Altersgenossen vom Glauben an und für sich wegzerren. Die Probleme, die die Evangelikalen umtreiben, sind andere als die, die Protestanten im Allgemeinen so beschäftigen, welche sich wiederum von denen unterscheiden, die katholische oder episkopale Pfarreien betreffen, welche wiederum ganz anders sind als die, die auf das Christentum dort Einfluss nehmen, wo es tatsächlich im Aufschwung ist – nämlich im globalen Süden und Osten.
Aber ich kann meine eigene Geschichte erzählen, die, so deuten es Studien an, anscheinend immer gewöhnlicher wird.4 Ich kann darüber sprechen, wie ich in einem evangelikalen Umfeld aufgewachsen bin, wie ich alles, was ich je über Gott geglaubt habe, angezweifelt habe, wie ich die Kirche geliebt, verlassen und mich nach ihr gesehnt habe und wie ich nach ihr gesucht und sie an unerwarteten Orten gefunden habe. Und ich kann von den Geschichten meiner Freunde und Leser erzählen, von alten und jungen Leuten, deren Kommentare, Briefe und E-Mails sich lasen wie Postkarten von ihrer geistlichen Reise, Depeschen aus Amerikas nachchristlichem Grenzland. Die Lösungen, nach denen die Gemeindeleiter suchen, kann ich nicht bieten, aber ich kann die Fragen formulieren, die viele aus meiner Generation stellen. Ich kann ein wenig von ihrer Angst und ihrer Hoffnung beschreiben.
Das jedenfalls habe ich versucht, als ich neulich gebeten wurde, 3000 evangelikalen Jugendmitarbeitern bei einer Konferenz in Nashville, Tennessee, zu erklären, warum Millennials aus der Kirche austreten.
Ich sagte ihnen, wir hätten den Kulturkrieg satt, hätten es satt, dass das Christentum sich mit Parteipolitik und Macht einlässt. Wir Menschen der Generation Y wollen dafür bekannt sein, wofür wir stehen, sagte ich, nicht nur, wogegen wir sind. Wir wollen uns nicht entscheiden zwischen Wissenschaft und Religion oder zwischen unserer intellektuellen Integrität und unserem Glauben. Stattdessen sehnen wir uns danach, dass unsere Kirchen sichere Orte sind, wo wir zweifeln und Fragen stellen und die Wahrheit aussprechen können, auch wenn die unbequem ist. Wir wollen über das schwer verdauliche Zeugs sprechen – biblische Auslegungen, religiöse Vielfalt, Sexualität, die Versöhnung der Rassen und soziale Gerechtigkeit – aber ohne vorgegebene Lösungen oder einfache, oberflächliche Antworten. Wir wollen unser ganzes Selbst über die Schwelle der Kirchentür bringen, ohne unser Herz oder unseren Verstand draußen zu lassen, ohne eine Maske zu tragen.
Ich erklärte, wenn unsere schwulen, lesbischen, bisexuellen und transgender Freunde nicht bei Tisch willkommen seien, fühlten wir uns auch nicht willkommen, und dass nicht jeder junge Erwachsene heiratet oder Kinder bekommt – was bedeutet, dass wir aufhören müssen, unsere Gemeinden um Kategorien herum aufzubauen. Stattdessen sollten wir anfangen, sie um Leute herum aufzubauen. Und ich sagte ihnen, dass wir, entgegen beliebter Vorurteile, eben nicht mit hipperen Lobpreisbands, schnieken Kaffeebars oder Pastoren in skinny Jeans zurückgewonnen werden können. Wir Millennials sind unser ganzes Leben lang Werbung ausgesetzt gewesen, deswegen riechen wir Bullshit auf einen Kilometer Entfernung. Die Kirche, die Gemeinschaft der Christen, ist der allerletzte Ort, an dem wir uns noch ein Produkt andrehen lassen oder unterhalten werden wollen.
Millennials suchen nicht nach einem „moderneren“ oder „hipperen“ Christentum, sagte ich. Wir suchen nach einem wahrhaftigeren Christentum, einem authentischeren Christentum. Wie jede Generation vor uns und jede nachfolgende auch suchen wir nach Jesus – demselben Jesus, der an jenen seltsamen Orten zu finden ist, an denen er schon immer zu finden war: in Brot, in Wein, in der Taufe, im Wort, im Leiden, in der Gemeinschaft und unter den Geringsten von ihnen.
Kaffeebars oder Nebelmaschinen werden nicht gebraucht.
Natürlich sagte ich all das mitten auf einer riesigen Bühne, die voll ausgestattet war mit Beleuchtung, Trampolinen und, Tatsache, einer Nebelmaschine. Ich fühle mich bei solchen Veranstaltungen nie so ganz wohl – nicht weil meine Worte nicht willkommen oder nicht wahr wären, aber weil ich mich überfordert fühle, wenn ich sie sage. Ich bin keine Wissenschaftlerin und keine Statistikerin. Ich habe nie eine Jugendgruppe geleitet, war nie Pastorin einer Gemeinde. Die Wahrheit sieht so aus, dass ich mich an vielen Sonntagmorgen nicht einmal aus dem Bett hieve, besonders an Tagen, an denen ich mir nicht sicher bin, ob ich an Gott glaube, oder an denen ein interessanter Talkgast bei „Meet the Press“ eingeladen ist. Vor einem Haufen Christen über die Kirche zu sprechen bedeutet für mich, an ein Mikro heranzutreten und zu versuchen, in dreißig Minuten oder weniger die wichtigste, komplizierteste, schönste und herzzerreißendste Beziehung meines Lebens zu schildern, ohne dabei zu schreien oder zu weinen oder schlimme Wörter zu benutzen. Manchmal wünschte ich, sie würden jemanden mit etwas mehr emotionalem Abstand für diese Vorträge finden, jemanden, der sich nicht komplett auf links drehen muss und all sein Herzblut vergießt, nur weil jemand ganz harmlos fragt: „Und in welche Gemeinde gehst du so zurzeit?“
Vielleicht liegt es daran, dass ich dieses Buch nicht schreiben wollte … Jedenfalls am Anfang nicht. Oh, ich habe versucht, aus der Nummer herauszukommen. Ich habe an alternativen Vorschlägen und Exposés herumgestrickt und gefeilt und ein paar davon meinem Verlag vorgestellt, in der Hoffnung, die Lektoren würden es sich noch einmal anders überlegen. Das Buch dann zu schreiben dauerte doppelt so lange wie geplant. Obendrein habe ich eine riesige Tasse Chai über meinem Laptop ausgekippt, als ich mit meinem ersten Manuskriptentwurf etwa halb fertig war. Weil ich glaubte, ich hätte das halbe Manuskript verloren, beschloss ich, dass Gott wohl auch nicht wollte, dass ich ein Buch über die Kirche schreibe. (Wir konnten den größten Teil des Manuskripts wiederherstellen, aber meine Caps-Lock-Taste klemmt manchmal immer noch.)
Ich wollte meine Geschichte nicht gedruckt sehen, weil ich ehrlich gesagt den Schluss immer noch nicht kenne. Ich bin immer noch in den Entwicklungsjahren meines Glaubens. Da sind zugeknallte Türen und verdrehte Augen und trotzige Ansagen von wegen „Ich hasse dich!“, die ich jeder Person oder Organisation vor den Latz geknallt habe, die die institutionelle Kirche repräsentiert. Ich bin wütend und launisch, hoffnungsvoll und naiv. Ich versuche, meinen eigenen Weg zu gehen, aber ich habe noch nicht herausgefunden, wie das geht, ohne den alten zu verdammen, ohne ihn in Grund und Boden zu brüllen, meine Unabhängigkeit zu erklären und dann so schnell ich kann in die entgegengesetzte Richtung zu rennen. Bücher über Kirchen und Gemeinden werden von Leuten mit einem Plan mit zehn Schritten und so geschrieben, nicht von Christen, die sich mit den Fingernägeln an der Kante über dem Abgrund festhalten.
Und dennoch schreibe ich. Ich schreibe, weil ich den Verdacht habe, dass ich, der ungelenke Teenager auf dem Bild im Jahrbuch, trotzdem etwas über die Welt zu sagen habe und eine Art Hoffnung bieten kann, und wenn es nichts anderes ist als ein paar hundert Seiten „geht mir genauso“. Ich schreibe, weil wir manchmal in unserer Verletzlichkeit näher an der Wahrheit sind als in unseren sicheren Sicherheiten und weil ich trotz all meiner Zweifel und Unsicherheit, trotz meines beständigen Drangs, am Sonntagmorgen einfach auszuschlafen, die ersten flüchtigen Lichtbänder der Dämmerung gesehen habe, die durch mein Schlafzimmerfenster gedrungen sind, und weil da so ein schwaches, hoffnungsvolles Leuchten am Horizont ist. Selbst wenn ich nicht an die Kirche glauben kann, glaube ich doch an die Auferstehung. Ich glaube an die Hoffnung des Sonntagmorgens.
Es schien passend, das Buch um die Sakramente zu gliedern, weil es die Sakramente waren, die mich wieder in die Kirche zurückgeholt haben, nachdem ich längst aufgegeben hatte. Als mein Glaube zu wenig mehr als einer abstrakten Größe zusammengeschrumpft war, zu einer Reihe Behauptungen, die man bestätigen oder ablehnen kann, lud mich der greifbare, spürbare Charakter der Sakramente dazu