Aufbrechen. Tsitsi Dangarembga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tsitsi Dangarembga
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944666686
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aus dem Süden und vertrieben die Menschen von dem Land. Auf Eseln, zu Fuß, auf Pferden, auf Ochsenkarren suchten die Menschen einen Ort zum Leben. Aber die Zauberer waren gierig und habsüchtig; es gab immer weniger Land für die Menschen. Zuletzt erreichten die Menschen den grauen, sandigen Boden und die Heimstätte, so steinig und dürr, dass er für die Zauberer zu nichts tauglich war. Dort bauten sie ihr Heim. Aber der drittgeborene Sohn, mein Großvater, von dem Flüstern der Zauberer, von Reichtümern und Luxus verlockt und von dem harten Leben der Heimstätte abgestoßen, folgte den Zauberern auf eine ihrer Farmen. Yurvi! Nur um herauszufinden, dass sie ihn in die Sklaverei gelockt hatten. Aber eines Tages gelang es meinem Großvater, zu den glitzernden Goldminen des Südens zu fliehen, von denen man sagte, dass gute Männer dort schnell reich wurden. Der weiße Zauberer hatte keine Verwendung für Frauen und Kinder. Er vertrieb meine Großmutter und ihre Kinder von der Farm. Völlig mittellos kehrten sie zur Heimstätte zurück, wo mein Urgroßvater die Familie zusammenhielt, ohne seinen früheren Lebensstandard zu erreichen. Aber dann starb mein Urgroßvater und die Familie brach auseinander, und es stellte sich heraus, dass mein Großvater kein guter Mann war, denn er wurde in den Minen getötet, und meiner Großmutter fiel es zu, allein sechs Kinder zu versorgen. Und dann hörte sie, dass Wesen, im Aussehen den Zauberern ähnlich, aber nicht wie sie, sondern Heilige, eine Mission nicht weit von der Heimstätte aufgebaut hätten. Sie ging mit meinem Onkel, mit Babamukuru, der neun Jahre alt war und nur einen Lendenschurz trug, zur Mission, wo ihn die heiligen Zauberer aufnahmen. Sie ließen ihn tagsüber auf ihrer Farm arbeiten. Nachts unterrichteten sie ihn in ihrer Zauberei. Denn meine scharfsinnige, vorausblickende Großmutter hatte sie gebeten, ihn auf das Leben in ihrer Welt vorzubereiten.

      Es schien mir wahrlich eine romantische Geschichte zu sein, ein Märchen von Belohnung und Bestrafung, von Ursache und Wirkung. Sie hatte auch eine Moral, eine unwiderstehliche Moral, die das eigene Streben belohnte, aber nur in den Grenzen des Möglichen.

      Mein Onkel scheute harte Arbeit nicht; er war sie von klein auf gewohnt. Er überraschte die Missionare mit seinen außerordentlichen Leistungen in der Schule, obwohl er den ganzen Tag über auf der Farm arbeitete. Er war gewissenhaft, er war arbeitsam, er war respektvoll. Sie hielten ihn für einen guten Jungen, den man kultivieren konnte wie einen Boden, der Ernten hervorbringt, die den Bauern ernähren. Als er die Schule auf der Mission abgeschlossen hatte, richteten sie es ein, dass er eine höhere Schule besuchen durfte, was aber erst nach einigen Jahren möglich war, als eine höhere Schule für Menschen wie meinen Onkel gebaut wurde. Während er wartete und dann im Laufe seiner weiteren Schulzeit gaben sie ihm verschiedene Arbeiten auf der Mission, damit er seine Gebühren bezahlen und seine Familie unterstützen konnte.

      Dann stiftete ihm die Regierung ein Stipendium für Südafrika. Mein Onkel wurde ein wohlhabender, geachteter Mann, mit einem Gehalt, das ausreichte, die mageren Einkünfte seiner Familie etwas aufzubessern. Er war der Beweis, dass das Leben auch unter widrigsten Umständen mit etwas Würde gelebt werden konnte, wenn man hart genug arbeitete und die Regeln einhielt. Ja, es war eine romantische Geschichte, so wie meine Großmutter sie erzählte. Das Leiden wurde nicht verheimlicht, aber die Botschaft war klar: Erdulde und gehorche, denn es gibt keinen anderen Weg. Sie war stolz auf ihren ältesten Sohn, der genau das getan hatte.

      Als sie eines Tages, ich war nicht bei ihr, friedlich während einer Arbeitspause starb, übernahm meine Mutter das Stück Land und machte daraus einen Gemüsegarten. Es war ein großes Stück Land. Meine Mutter bestellte nicht das ganze, so dass ungefähr ein halber Morgen brach lag. Dieses Stück Land sollte zu meinem Feld werden.

      In diesem Jahr wurde ich reifer, stärker und robuster, als es Achtjährige normalerweise sind. Meist wachte ich vor Tagesanbruch auf; in der ersten Dämmerung fegte ich schon den Hof. Noch ehe es ganz hell wurde, ging ich zum Fluss. Auf dem Rückweg, entlang des Pfades durch die Bäume und an den anderen Heimstätten vorbei, wo die Frauen gerade aufwachten, balancierte ich den Wassertopf auf meinem Kopfpolster aus Blättern und kleinen grünen Zweigen. Der Topf war nicht bis oben voll, denn sonst hätte ich ihn mir nicht allein auf den Kopf heben können. Während die Hähne krähten und die Hennen den Schlaf aus ihren Federn schüttelten, schürte ich das Feuer, fegte die Küche und setzte Wasser zum Waschen und für den Tee auf. Bei Sonnenaufgang war ich auf meinem Feld, in den ersten Tagen mit Roden und Jäten beschäftigt; dann grub ich Löcher in jeweils dreißig Zoll Entfernung voneinander, mit einem einzigen Hackenschwung, so wie wir es in der Schule während der Gärtnereistunden gelernt hatten; dann ließ ich die Samen hineinfallen, je zwei oder drei auf einmal, und bedeckte sie, indem ich kurz mit dem Fuß darüber scharrte; dann wartete ich auf das Keimen der Samen und arbeitete und wartete, dass die Pflanzen sprossen, und arbeitete weiter. Ungefähr um zehn Uhr, ich richtete mich nach dem Stand und der Hitze der Sonne, ging ich zu den Familienfeldern, um mit meiner Mutter zu arbeiten, manchmal mit meinem Vater und am Nachmittag nach der Schule mit meinem Bruder.

      Ich glaube, meine Mutter bewunderte meine Zähigkeit und bemitleidete mich gleichzeitig. Sie fing an, mich auf Enttäuschungen vorzubereiten, lange bevor ich gezwungen sein sollte, mit ihnen fertig zu werden. Sie begann mich zu entmutigen. „Und glaubst du, du bist soviel anders, soviel besser als wir alle? Akzeptiere dein Los und genieße, so gut du kannst. Es gibt keine andere Möglichkeit.“ Ich wollte Unterstützung, ich wollte Ermutigung; Warnungen nur, wenn nötig, und dann konstruktive. An dem Tag, an dem sie mich einmal zu oft entmutigt hatte, entschied ich, sie habe zu andächtig meinem Vater zugehört. Ohne weiter auf sie zu achten, suchte ich stattdessen Unterstützung bei Nhamo, der mir aber nicht helfen konnte, da er zur Schule ging.

      „Wieso machst du dir soviel Mühe?“ fragte er, und seine Augen funkelten bösartig. „Weißt du nicht, dass ich derjenige bin, der die Schule besuchen muss?“

      „Du hast gesagt, du würdest dich um mich kümmern. Mir auf dem Feld helfen.“

      „Wie kannst du mich bitten? Du siehst doch, wie beschäftigt ich bin.“

      Das stimmte. Die Viehherde blieb im Kral, bis er am Nachmittag von der Schule zurückkam und sie zum Weiden und Trinken hinausführte, um sich danach uns auf den Feldern anzuschließen; die Kühe, die er vor und nach der Schule melken musste; seine Bücher; mein Vater, der darauf bestand, dass er ganztägig mithalf, wenn zu viel Arbeit anfiel, so dass er manchmal eine ganze Woche die Schule verpasste; er war mit all diesen Pflichten und Aufgaben hier und dort sehr beschäftigt. Ich war nahe daran ihm anzubieten, das Melken und Weiden zu übernehmen, aber der Selbsterhaltungstrieb war stärker als mein Mitgefühl. Ich hielt den Mund. Trotzdem musste ich etwas gegen die Bedrängnis meines Bruders unternehmen.

      „Wird er sich konzentrieren können, wenn er so viel zu tun hat?“ fragte ich meinen Vater.

      „Wieso nicht, wenn er will?“

      Meine Mutter hatte recht. Manche Sachen waren einfach nicht möglich.

      Nhamo lachte, als ich ihm die Geschichte erzählte. „Na und! Was kümmert es mich, was er sagt“, tat er es ab und schockierte mich mit diesem respektlosen Ton, den ich nie zuvor gehört hatte. „Ich gehe zur Schule, oder? Es kümmert mich nicht, was er über mich sagt. Also, wo ist das Problem? Es betrifft dich nicht einmal.“

      „Aber du kannst nicht lernen.“

      „Wer sagt das? Ich sollte es am besten wissen. Ich gehe zur Schule. Du gehst nirgendwohin.“

      „Aber ich will zur Schule gehen.“

      „Wollen wird dir nichts helfen.“

      „Wieso nicht?“

      Er zögerte, zuckte dann mit den Schultern. „Es ist überall so. Weil du ein Mädchen bist.“ Jetzt war es heraus. „Das hat Baba gesagt, erinnerst du dich?“ Ich hörte nicht mehr zu. Meine Sorge um meinen Bruder starb einen unauffälligen Tod.

      Im Februar war der Mais dunkelgrün, größer als ich und weiter am Wachsen. Ich stolzierte herum, als sei ich die Eigentümerin einer Hundert-Hektar-Farm. In diesen Tagen war ich nicht überarbeitet, denn die Felder erforderten keine Aufmerksamkeit mehr. Es war ein schönes Gefühl. Schöne Pflanzen. Es blieb nur übrig, auf die Ernte zu warten – noch ein- oder zweimal zu jäten, aber eigentlich auf die Ernte zu warten, meinen schönen kleinen Ertrag zu ernten. Meinen