Aufbrechen. Tsitsi Dangarembga. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tsitsi Dangarembga
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783944666686
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      Inhalt

       Eins

       Zwei

       Drei

       Vier

       Fünf

       Sechs

       Sieben

       Acht

       Neun

       Zehn

       Personenregister

       Glossar

      Eins

      Ich war nicht traurig, als mein Bruder starb. Auch entschuldige ich meine Gleichgültigkeit nicht oder, wie man es bezeichnen könnte, meine Gefühlskälte. Denn darum handelt es sich überhaupt nicht. Ich fühle heute vieles stärker, als ich es damals fühlen konnte, in den Tagen, als ich jung war und mein Bruder starb, und es gibt Gründe dafür, die über den reinen Prozess des Älterwerdens hinausreichen. Deshalb werde ich mich nicht entschuldigen, sondern anfangen, mir die Fakten zu vergegenwärtigen, so wie ich sie in Erinnerung habe, die zum Tod meines Bruders führten, die Ereignisse, die mich in die Lage versetzten, diesen Bericht zu schreiben. Denn obwohl man das Ereignis des Ablebens meines Bruders und die Ereignisse meiner Geschichte nicht trennen kann, geht es in meiner Geschichte schließlich nicht um den Tod, sondern um meine und Lucias Flucht; um das Gefangensein meiner Mutter und Maigurus; und um Nyashas Rebellion – Nyasha, aufgeschlossen und einsam, die Tochter meines Onkels, deren Rebellion letztendlich vielleicht doch nicht zum Erfolg führte.

      Ich war dreizehn Jahre alt, als mein Bruder starb. Es geschah 1968. Die Schulferien hatten begonnen, und wir erwarteten seine Heimkehr mit dem Nachmittagsbus, der um drei Uhr durch unser Dorf fuhr. Mein Bruder ging zur Missionsschule, der mein Onkel vorstand und die etwa zwanzig Meilen westlich vom Dorf entfernt lag, in Richtung der Stadt Umtali. Manchmal, wenn mein Onkel nicht zu sehr mit Berichten und Formalitäten zum Abschluss des Trimesters beschäftigt war, konnte er sich um drei Uhr nachmittags von seinem Büro losmachen; dann opferte er die restlichen Stunden des Tages, um Nhamo nach Hause zu bringen. Nhamo zog dies vor. Er mochte Busfahrten nicht, weil es, so sagte er, zu lange dauere. Auch rochen ihm die Frauen zu sehr nach ungesunden Fortpflanzungsgerüchen, die Kinder neigten dazu, ihren verdorbenen Mägen vor Ort Erleichterung zu verschaffen, und die Männer sonderten starke Düfte ihrer tagtäglichen Arbeit ab. Er mochte das Fahrzeug nicht mit den vielerlei Produkten in bedenklichen Frischephasen, mit verängstigten Hühnern und gelegentlich mit einer voll duftenden Ziege teilen. „Wir sollten einen eigenen Bus haben“, beschwerte er sich, „wie es einen für die Schüler gibt, die in Fort Victoria und Salisbury wohnen“, wobei er allerdings vergaß, dass dies Städte waren, eigenständige urbane Zentren, während unser Zuhause in dem Gemeindegebiet um Umtali herum lag, und da die Mission meines Onkels zu Umtali zählte, gab es keinen Grund, einen Bus einzusetzen, um meinen Bruder und die anderen Schüler, die in unserer Gegend lebten, nach Hause zu befördern.

      Aber auch mit einem gemieteten Bus wäre das Ende des Trimesters meinem Bruder nicht bequem genug gewesen. Der Busbahnhof – der auch der Marktplatz ist, mit blassschmutzigen Süßwarenläden, innen düster und schäbig, die wir magrosa nennen, und Marktfrauen unter msasa-Bäumen, mit hartgekochten Eiern, Gemüse, Früchten der Jahreszeit, gekochten Hühnern, manchmal mit Curry gewürzt, manchmal ohne, und mit allem anderen, was die Dorfbewohner oder Reisende vielleicht zu kaufen wünschten – ist mindestens zwei Meilen von unserer Heimstätte entfernt. Mit oder ohne gemietetem Bus – mein Bruder würde immer noch zwei Meilen zu Fuß nach Hause gehen müssen. Diese Entfernung war ein weiterer Aspekt seiner Heimreise, den mein Bruder höchst ungern erduldete.

      Da ich die Fahrt nicht regelmäßig jeweils am Ende des Trimesters und am Anfang des neuen Trimesters hatte machen müssen, konnte ich nicht verstehen, wieso mein Bruder das Gehen so sehr verabscheute, besonders nachdem er so lange ohne frische Luft in einem Bus eingeengt war: Die Busfahrt zur Missionsschule dauerte fast eine Stunde. Neben der Erleichterung, sich die Beine nach einer so langen Fahrt vertreten zu können, war auch die Entfernung nach Hause nicht allzu groß, wenn man nicht in Eile irgendwohin unterwegs war. Der Weg schlängelte sich durch die Felder hinunter, wo es stets einige Menschen gab, bei denen man zehn Minuten des Tages verbringen konnte – mit Erkundigungen nach ihrer Gesundheit und der Gesundheit ihrer Familie, bewundernden Blicken auf den im Überfluss blühenden, breitblättrigen Mais, wenn er gut war, mit Voraussagen, wie viele Säcke das Feld einbringen würde, oder Überlegungen, ob die Pflanzen zu früh oder zu spät ihre Seidenquasten zeigten. Und obwohl die Wegstrecke zwischen den Feldern und dem Bahnhof der Sonne ausgesetzt und zwischen September und April, außer wenn es regnete, hart und versengt war – der grelle Sand tat in den Augen weh –, gab es immer Schatten neben den Feldern, wo Baumgruppen absichtlich stehengelassen wurden, die uns Schutz boten, wenn wir unsere Mahlzeiten aßen oder uns zwischen den beackerten Feldstreifen ausruhten.

      Nach den Feldern wurde die Straße schattiger, umsäumt von Sträuchern und Bäumen. Akazien, lantana, msasa und mopani, in Gruppen auf beiden Seiten. Wenn man Zeit hatte, konnte man von der Straße hinab in dichteren Wald hineingehen, um nach matamba und matunduru zu suchen. Süß und sauer. Köstlich. Nach diesem bewaldeten Abschnitt führte die Straße in eine seichte Schlucht hinab, in ein Flusstal, das Bett sinnvollerweise voller glatter, flacher Steine, die ein aufregendes Material für alle Arten unserer Kinderspiele hergaben. Über und um die niedrigsten dieser Steine herum strömte der Fluss, in der Trockenzeit spärlich, doch bei schweren Regenfällen an einigen Stellen tief genug, um einem Kind bis über den Kopf zu reichen und mich bis zu den Brustwarzen zu verschlingen. Wir lernten diese Stellen meiden, wenn der Fluss gewaltig strömte, aber in den meisten Jahreszeiten glitt er ruhig dahin, was das Baden fast überall am Ufer erlaubte. Als Kinder waren wir nicht eingeschränkt. Wir konnten spielen, wo wir wollten. Die Frauen aber hatten ihren eigenen Platz zum Baden, wie auch die Männer. Dort, wo die Frauen badeten, war der Fluss seicht, reichte mir selten über die Knie, und die Felsen waren niedriger und flacher als anderswo und bedeckten den Großteil des Flussbetts. Die Frauen mochten ihren Platz, weil er zum Wäschewaschen gut geeignet war. Wir aber freuten uns nicht darauf, so erwachsen zu werden, dass wir mit den Frauen dort waschen müssten und nicht länger in den tieferen, kühleren, interessanteren Teichen schwimmen konnten.

      Der Fluss, die Bäume, die Früchte und die Felder. So war es am Anfang. So ist meine früheste Erinnerung, aber es blieb nicht so. Als ich noch ziemlich klein war, baute die Regierung die Gebäude der Bezirksverwaltung knapp eine Meile entfernt von den Stellen, wo wir uns wuschen. So mussten die Bewohner der ungefähr Dutzend Heimstätten, die unser Dorf bildeten, den Nyamarira, wie unser Fluss genannt wird, überqueren, wenn sie in den Gebäuden etwas zu erledigen hatten. Es dauerte nicht lange, bis die Geschäftstüchtigen unter uns bemerkten, dass sich ständig mehr Leute um die Verwaltungsgebäude herum versammelten als irgendwo sonst im Dorf (außer sonntags in der Kirche und an anderen Tagen an den Plätzen, wo Bier getrunken wurde) und dort ihre kleinen Gemischtwarenläden errichteten, in denen verkauft wurde, was wir brauchten – Brot, Tee, Zucker, Marmelade, Speiseöl, Streichhölzer, Kerzen, Paraffin und Seife. Ich weiß nicht mehr genau, ob der Platz vor oder nach dem Bau der Gemischtwarenläden zur Bushaltestelle wurde,