4. Denn die Liebe ist überzeugt, daß die göttliche Vorsehung alles trefflich verwaltet. „Ich ermahne euch also“, so heißt es, „werdet meine Nachahmer!“2420
53.
1. Die erste Stufe zum Heil ist also die mit Furcht verbundene Unterweisung, deretwegen wir uns des Unrechts enthalten; die zweite ist die Hoffnung, deretwegen wir das Beste erstreben; zur Vollendung aber führt, wie es sich geziemt, die Liebe, indem sie bereits auf Grund voller Erkenntnis erzieht.2421
2. Da nämlich die Griechen alle Ereignisse unbegreiflicherweise einer unvernünftigen Notwendigkeit zuschreiben, geben sie zu, daß sie ihr, ohne es zu wollen, gehorchen müssen.
3. So sagt Euripides: "Nimm also meine Mahnung dir zu Herzen, Weib! Es lebt kein Sterblicher, der frei von Mühlsal wär’; Zu Grabe trägt er Kinder, Kinder zeugt er neu Und stirbt auch selbst; die Menschen sind darob betrübt - -„2422
4. Dann fährt er fort: “Ertragen muß Man alles, was uns die Natur zu tragen gibt. Nicht fürchten soll man das, was unvermeidlich ist.”2423
54.
1. Für die, die der Vollkommenheit zustreben, ist die vernunftgemäße Erkenntnis als Aufgabe gestellt, deren Grundlage die heilige Dreiheit ist: „Glaube, Hoffnung, Liebe; die größte von diesen ist aber die Liebe.“2424
2. Allerdings „ist alles erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich; alles ist erlaubt, aber nicht alles erbaut“,2425 sagt der Apostel. Und „niemand soll nur das Seine suchen, sondern auch das des anderen“,2426 so daß er zugleich handeln und lehren kann, indem er baut und dann weiterbaut.
3. Denn es ist zwar zugegeben, daß „die Erde des Herrn ist und das, was sie erfüllt“;2427 aber das Gewissen des Schwachen wird in Verwirrung gebracht. 4. „Ich meine damit aber nicht das eigene Gewissen, sondern das des anderen. Warum soll denn meine Freiheit von dem Gewissen eines anderen gerichtet werden? Wenn ich an etwas mit Danksagung teilnehme, warum lästert man mich deswegen, wofür ich Dank sage? Mögt ihr also essen oder trinken oder sonst etwas tun: tut alles zur Ehre Gottes!“2428 5. „Denn obwohl wir im Fleische wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleische; denn die Waffen, mit denen wir zu Felde ziehen, sind nicht fleischlicher Art, sondern durch Gott stark zur Zerstörung von Bollwerken, so daß wir mit ihnen spitzfindige Schlüsse und allen Hochmut, der sich gegen die Erkenntnis des Herrn erhebt, niederwerfen können.“2429
55.
1. Mit diesen Waffen gerüstet, sagt der Gnostiker: O Herr, gib Gelegenheit und stelle mich auf die Probe!2430 Das Schrecknis soll nur kommen; ich verachte die Gefahren wegen meiner Liebe zu dir.
2. „Weil nur die Tugend unter allem Menschenwerk Den Lohn der Mühe nicht von außen her erhält, Vielmehr sich selbst als Preis für alle Mühe hat.“2431
3. „So ziehet also an als Auserwählte Gottes, die heilig und geliebt sind, herzliches Erbarmen, Gütigkeit, Demut, Sanftmut und Geduld, zu diesen allen aber noch die Liebe, die das Band der Vollkommenheit ist!
4. Und der Friede Christi soll in euren Herzen regieren, zu dem ihr auch in einem Leibe berufen seid, und werdet dankbar!“,2432 ihr, die ihr noch im Leibe seid, indem ihr wie die Gerechten der alten Zeit Gelassenheit der Seele und unerschütterliche Gemütsruhe gewinnt.
VIII. Kapitel
56.
1.2433 Denn nicht nur die Aisopier und Makedonier und Lakedaimonier hielten standhaft aus, wenn sie gefoltert wurden, wie Eratosthenes in seiner Schrift “Über Gutes und Böses” sagt,2434 sondern auch Zenon von Elea blieb unter den Folterqualen standhaft, als man ihn zwingen wollte, ein Geheimnis zu verraten, und gab es nicht preis; ja er biß sterbend noch seine Zunge ab und spuckte sie gegen den Tyrannen aus, den die einen Nearchos, die anderen Demylos nennen.2435
2. Ebenso verhielt sich auch der Pythagoreer Theodotos2436und Praylos,2437 der Schüler des Lakydes,2438 wie Timotheos von Pergamon2439 in der Schrift “Über die Standhaftigkeit der Philosophen” und Achaikos2440 in seiner “Ethik” sagen.
3. Aber auch der Römer Postumus gab, als er von Peuketion gefangengenommen worden war, nicht nur nichts Geheimes bekannt, sondern legte sogar seine Hand ins Feuer und ließ sie wie Erz schmelzen, ohne auch nur die Miene zu verziehen.2441
4. Nicht weiter will ich von dem Verhalten des Anaxarchos reden, der ausrief: “Zerstampfe die Hülle des Anaxarchos; denn den Anaxarchos selbst zerstampfst du nicht”, als ihn der Tyrann mit eisernen Mörserkeulen zerstampfen ließ."2442
57.
1. Weder die Hoffnung auf die Seligkeit noch die Liebe zu Gott läßt sich also durch irgend etwas, was ihrem Träger auch zustoßen mag, erschüttern, sondern bleibt davon unberührt; selbst wenn er den wilden Tieren vorgeworfen oder in das allesverzehrende Feuer gestürzt oder unter tyrannischen Martern getötet wird, so bleibt er doch unlösbar mit der göttlichen Freundschaft verbunden und steigt, frei von allen Fesseln, zum Himmel empor, indem er seinen Leib denen überläßt, die nur diesen festhalten können.
2. Die Geten, ein Babarenvolk, das nicht ganz unbekannt mit Philosophie ist, wählen Jahr für Jahr einen Gesandten zu ihrem Heros Zamolxis. Zamolxis war aber einer der Schüler des Pythagoras.2443
58.
1. Wer nun als der Würdigste auserlesen wurde, der wird getötet, wobei die anderen, die sich zwar auch um die Philosophie bemüht hatten, aber nicht gewählt worden waren, darüber betrübt sind, daß sie eines beglückenden Dienstes nicht für würdig erachtet worden sind.
2. Voll ist nun die ganze Kirche von solchen, die ihr ganzes Leben hindurch all ihr Denken auf den lebenbringenden Tod,2444 der sie zu Christus führt, gerichtet haben, wie von sittsamen Männern so auch von sittsamen Frauen.
3. Denn wer sein Leben nach unseren Grundsätzen führt, der kann auch ohne wissenschaftliche Bildung nach Weisheit streben (philosophieren), mag er ein Barbar sein oder ein Grieche, ein Sklave, ein Greis oder ein Kind oder ein Weib.2445
4. Denn die sittsame Gesinnung ist für alle Menschen, die sich für sie entscheiden, in gleicher Weise zugänglich.2446 Es ist aber eine bei uns zugestandene Tatsache, daß innerhalb jeder einzelnen Gattung diejenigen, die die gleiche Natur haben, auch die gleiche Tugend haben.
59.
1. Es ist aber offenbar nicht so, daß hinsichtlich des Menschseins das Weib eine andere Natur hätte als der Mann; vielmehr haben beide die gleiche Natur, also auch die gleiche Tugend.2447
2. Wenn aber die Tugend des Mannes doch wohl in Sittsamkeit und Gerechtigkeit und in den übrigen nach allgemeiner Anschauung damit zusammengehörenden Eigenschaften besteht, geziemt es sich da wohl für den Mann allein, tugendhaft zu sein, für das Weib aber zuchtlos und ungerecht? Es ist aber auch unschicklich, einen solchen Gedanken auch nur auszusprechen.
3. Auf Sittsamkeit und Gerechtigkeit und auf jegliche andere Tugend sollen also in gleicher Weise bedacht sein Weib und Mann, Freier und Sklave, da es so eingerichtet ist, daß zu der gleichen Natur auch ein und dieselbe Tugend gehört. Damit behaupten wir nun nicht, daß ein weibliches Wesen die gleiche Natur wie das männliche habe, insoweit es weiblich ist. Denn es geziemt sich durchaus, daß beide ein unterscheidendes Merkmal an sich tragen,