4. „Denn alles, was geschrieben wurde“, sagt der Apostel, „wurde zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch die Standhaftigkeit und den Trost, die uns die Heilige Schrift vermittelt, die Hoffnung auf den Trost haben.“2281
20.
1. Die Seele scheint, wenn sie Schmerz empfindet, von ihm gewissermaßen wegzustreben2282 und die Befreiung von dem vorhandenen Schmerz für wertvoll zu halten. In einem solchen Zeitpunkt vernachlässigt sie begreiflicherweise auch das Lernen, da ja auch die anderen Tugenden nicht mehr beachtet werden.
2. Wir sagen aber deshalb doch wohl nicht, daß die Tugend selbst leide; denn die Tugend kann gar nicht krank sein; vielmehr leidet nur der Träger beider, der Tugend und der Krankheit, unter dem, was ihn bedrängt. Und wenn er sich nicht innerlich darüber erhaben fühlen kann, so verliert der, der noch nicht so weit gekommen ist, daß die Selbstbeherrschung bei ihm zum bleibenden Zustand geworden ist, die Haltung; und daß er das Leid nicht ruhig ertragen kann, erweist sich als gleichwertig damit, wie wenn er vor ihm geflohen wäre.
21.
1. Ebenso verhält es sich auch mit der Armut. Denn auch sie zwingt die Seele, die Beschäftigung mit dem Notwendigen, der wissenschaftlichen Betrachtung und dem Streben nach der reinen Sündlosigkeit, aufzugeben, indem sie den, der sich noch nicht durch die Liebe Gott völlig hingegeben hat, dazu zwingt, sich mit dem Erwerb des Nötigen zu beschäftigen, während andererseits die Gesundheit und die reiche Fülle an dem, was zum Leben nötig ist, die Seele, die das Vorhandene richtig zu verwenden weiß, frei und ungehemmt erhält.
2. Denn „Bedrängnis für ihr Fleisch“, sagt der Apostel, „werden solche Leute zu ertragen haben; ich möchte aber euch damit verschonen. Denn ich wünsche, daß ihr frei von Sorgen seid, damit ihr die gute Sitte wahren und ohne jede Ablenkung treu bei dem Herrn ausharren könnt.“2283
22.
1. Um diese Dinge also muß man sich kümmern, nicht um ihrer selbst, sondern um des Leibes willen; die Fürsorge für den Leib aber geschieht der Seele wegen, auf die sich alles bezieht.
2. Bei dieser Fürsorge muß derjenige, der in wahrer Erkenntnis wandeln will, das Geziemende kennenlernen; denn das die Lust kein Gut ist, das ist eine sichere Tatsache deswegen, weil einige Lüste böse sind. (Nach diesem Satz erscheint das Gute als ein Übel und das Übel als ein Gut.)2284
3. Wenn wir ferner einige der Vergnügungen wählen, andere aber meiden, so kann nicht jede Lust etwas Gutes sein.
4. Das gleiche gilt in ähnlicher Weise auch von den Schmerzen, von denen wir die einen zu ertragen bereit sind, während wir die anderen zu vermeiden suchen. Wählen und Meiden geschieht aber auf Grund des Wissens.
5. Daher ist das Wissen das Gute, nicht die Lust; und seinetwegen werden wir manchmal auch diese oder jene Lust wählen.
23.
1. So entscheidet sich z.B. der Märtyrer dafür, die durch die Hoffnung ihm verbürgte Lust durch den augenblicklichen Schmerz zu erlangen. Wenn aber beim Durst der Schmerz, beim Trinken dagegen die Lust verspürt wird, so bewirkt das vorher vorhandene Schmerzgefühl das (nachfolgende) Lustgefühl. Nun kann aber das Schlechte nicht die bewirkende Ursache von etwas Gutem sein; also ist keines von beiden etwas Schlechtes.
2. Daher schreibt Simonides2285 wie auch Aristoteles:2286 „Gesundsein ist für jeden das Beste Und dann schön an Gestalt zu sein das Zweite Und das Dritte: reich zu sein ohne Trug.“
3. Und Theognis von Megara sagt: „Kyrnos, wenn’s gilt zu entfliehen der Armut, mußt du dich stürzen Auch in die Tiefe des Meers, hoch von den Felsen herab.“2287
4. Und wiederum sagt der Lustspieldichter Antiphanes: „Der Reichtum gleicht dem schlechten Arzt: er macht uns blind, Wenn wir als Sehende zu ihm gekommen sind.“2288
24.
1. So erzählen ja auch die Dichter von dem Reichtum, daß er von Geburt an blind sei.2289
2.„Und sie gebar einen Sohn, der die strahlende Sonne nicht schaute“, sagt Euphorion von Chalkis.2290
3. Und Euripides hat in dem Stück „Alexandros“ gedichtet: „Ein schlecht Erziehungsmittel ist zu tapferm Sinn Der Reichtum für die Menschen und die Schwelgerei.“2291
4. Es heißt ja (bei ihm) auch: „Der Armut Teil ward Weisheit, weil sie ihr verwandt.“2292
5. Die Habgier würde nicht nur Sparta, sondern überhaupt jede Stadt zugrunde richten.2293
6.„Nicht weißes Silber also oder Gold allein hat für die Menschen Geldeswert, die Tugend auch“, wie Sophokles sagt.2294
VI. Kapitel
25.
1. Unser heiliger Erlöser gebrauchte aber die Wörter Armut und Reichtum und ähnliche Begriffe sowohl mit Bezug auf das Geistliche als auch auf das Sinnliche. Wenn er nämlich sagt: „Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt sind“,2295 so lehrt er uns damit ganz deutlich, daß wir den Glaubenszeugen in jeder Lage suchen müssen.
2. Wenn dieser der Gerechtigkeit wegen arm2296 ist, so bezeugt er damit, daß die Gerechtigkeit, die er lieb gewann, ein Gut ist; und wenn er der Gerechtigkeit wegen Hunger oder Durst leidet,2297 so bezeugt er damit, daß die Gerechtigkeit das Beste ist.
26.
1. Ebenso bezeugt derjenige, der der Gerechtigkeit wegen weint und trauert,2298 dem besten Gesetz, daß es gut sei.
2. Wie die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten,2299 so nennt auch die ihretwegen Hungernden und Dürstenden2300 der selig, der das echte Verlangen anerkennt, das auch der Hunger nicht zu stören vermag.2301
3. Auch wenn sie nach der Gerechtigkeit selbst hungern,2302 sind sie selig; „selig sind“ aber auch „die Armen“, sei es am Geiste, sei es an äußerer Habe, offenbar um der Gerechtigkeit willen.2303
4. Er preist also vielleicht nicht schlechthin die Armen selig, sondern diejenigen, die sich entschlossen haben, der Gerechtigkeit wegen völlig mittellos zu werden, das sind die, die die Ehren hienieden im blick auf den Erwerb des (wahren) Gutes gering achteten.
5. Ebenso preist er aber auch diejenigen selig, die um ihrer Keuschheit willen nach ihrem inneren Wesen und ihrer äußeren Erscheinung schön geworden sind, und die Adeligen und Hochgeehrten, die um der Gerechtigkeit willen zur Sohnschaft gelangt sind und deshalb „die Macht erhalten haben, Gottes Kinder zu werden“2304 und „über Schlangen und Skorpionen hin zu wandeln“2305 und über Dämonen Herr zu werden und über das Heer des Widersachers.2306
27.
1. Und überhaupt läßt die von dem Herrn gelehrte Selbstzucht die Seele mit Dankbarkeit von dem Körper scheiden, wenn anders sie auch selbst sich durch innere Umwandlung von ihm losreißt.
2. Denn „wer seine Seele findet, wird sie verlieren, und wer sie verliert, der wird sie finden“,2307 wenn wir nur alles, was an uns sterblich ist, an die Unvergänglichkeit Gottes hingeben. Gottes Wille ist aber die Erkenntnis Gottes, und diese ist Gemeinschaft mit seiner Unvergänglichkeit.
3. Wer also auf dem Wege der Buße seine Seele als sündig