74.
1. Daher müssen wir in jedem Fall bekennen; denn dies steht in unserer Macht; aber verteidigen müssen wir uns nicht in jedem Fall; denn nicht auch dieses steht in unserer Macht. „Wer aber bis zum Ende aushält, der wird gerettet werden.“2483
2. Denn welcher Verständige zöge es nicht vor, bei Gott König zu werden, statt Sklave zu sein?
3. Nun „behaupten“ einige, wie der Apostel sagt, „daß sie Gott kennen, verleugnen ihn aber mit ihren Werken, abscheuliche und ungehorsame und zu jedem guten Werk untaugliche Menschen.“2484 Jene aber haben, wenn die auch nur dies eine getan haben, daß sie ein Zeugnis ablegten, doch zuletzt wenigstens ein gutes Werk vollbracht. Das Märtyrertum ist also, wie es scheint, eine mit Ruhm verbundene Reinigung von Sünden.2485
4. So sagt auch der „Hirte“: „Ihr werdet der Wirksamkeit des wilden Tieres entfliehen, wenn euer Herz rein und fleckenlos wird.“2486 Aber auch der Herr selbst sagt: „Der Satan hat sich euch ausgebeten, um euch zu sichten; ich aber habe euch losgebeten.“2487
75.
1. Als erster trank also der Herr den Kelch2488 zur Reinigung der Menschen, die ihm nachstellten, und der Ungläubigen; seinem Vorbild folgten die Apostel und litten als wahrhaftige Gnostiker und als Vollkommene für die Kirchen, die sie gegründet hatten.
2. So müssen also auch die Gnostiker, die in den Spuren der Apostel wandeln, sündlos sein und aus Liebe zum Herrn auch den Nächsten lieben, damit sie, wenn die Umstände es erfordern, für die Kirche die Drangsale erdulden, ohne ein Ärgernis daran zu nehmen, und den Kelch trinken.2489
3. Alle aber, die während ihres Lebens mit der Tat und vor Gericht mit Worten Zeugnis ablegen, mögen sie nun eine Hoffnung erwarten oder eine Furcht scheuen, sind besser als die, die nur mit dem Munde das Heil bekennen.
4. Wenn aber einer noch weiter hinauf bis zur Liebe emporsteigt, so ist er ein wahrhaft seliger und echter Zeuge, da er sich durch den Herrn völlig zu den Geboten und zu Gott bekannt hat; denn da er den Herrn liebgewonnen hatte, erkannte er ihn als Bruder, opferte sich selbst Gott ganz auf und gab wie ein ihm anvertrautes Gut den (äußeren) Menschen, der ihm abgefordert wurde, gelassen und willig hin.
X. Kapitel
76.
1. Wenn aber der Herr wiederum sagt: „Wenn sie euch in dieser Stadt verfolgen, so flieht in die andere!“,2490 so ermahnt er nicht zur Flucht, als wäre das Verfolgtwerden etwas Schlimmes, und verlangt nicht, daß man sich aus Furcht vor dem Tode diesem durch Flucht entziehe.
2. Vielmehr will er nur, daß wir für niemand Ursache oder Mitursache irgendeines Übels werden, für uns selbst nicht, aber auch nicht für den, der uns verfolgt, oder für den, der uns töten will. Denn er befiehlt uns gewissermaßen, ihm aus dem Wege zu gehen; wer aber dieser Weisung nicht gehorcht, der ist tollkühn und stürzt sich selbst in Gefahr.
77.
1. Wenn nun derjenige, der „einen Menschen Gottes“2491 tötet, gegen Gott sündigt, so wird auch der, der sich selbst vor Gericht bringt, für den verantwortlich, der ihn tötet. Das ist aber bei dem der Fall, der sich der Verfolgung nicht entzieht, sondern es aus Vermessenheit selbst veranlaßt, daß er gefangengenommen werden kann. Er ist es, der, soweit es ihm möglich ist, die Schlechtigkeit seines Verfolgers unterstützt; und wenn er diesen noch überdies reizt, so ist er völlig schuldig, da er das wilde Tier2492 herausfordert.
2. Ebenso ist es auch, wenn einer Anlaß zu einem Streit, zu einer Strafe, zu einer Feindschaft oder zu einer Gerichtsverhandlung gibt; auch er veranlaßt eine Verfolgung.
3. Deshalb ist uns befohlen, an nichts in diesem Leben zu hängen, sondern sogar dem, der uns den Mantel nimmt, auch den Rock dazu geben,2493 nicht nur, damit wir innerlich unabhängig bleiben, sondern auch damit wir nicht dadurch, daß wir Ansprüche geltend machen, diejenigen, die einen Rechtsstreit mit uns anfangen wollen, gegen uns erbittern und sie durch unsere Schuld zur Beschimpfung des Christennamens verleiten.
XI. Kapitel
78.
1. Ja, sagen sie, wenn Gott für euch sorgt, warum werdet ihr denn verfolgt und getötet? Oder gibt er euch selbst diesem Schicksal preis?2494 Wir fassen das aber nicht so auf, als habe der Herr gewollt, daß wir in diese Gefahren geraten, sondern meinen, daß er nur prophetisch das, was geschehen soll, vorausgesagt habe, daß wir nämlich um seines Namens willen würden verfolgt, getötet und ans Kreuz geschlagen werden.2495
2. Demnach war es nicht sein Wille, daß wir verfolgt werden, sondern er kündigte nur im voraus an, was wir erleiden würden, indem er uns durch die Vorhersage, daß es so kommen werde, für die Standhaftigkeit schulte, der er die Erbschaft verheißen hat. Freilich werden wir nicht allein, sondern zusammen mit vielen gestraft. Aber jene, sagen sie, erleiden die Strafe mit Recht, weil sie Übeltäter sind.
79.
1. Ohne es zu wollen, bezeugen sie also uns, die wir um der Gerechtigkeit willen ungerecht bestraft werden, unsere Gerechtigkeit. Aber auch die Ungerechtigkeit des Richters berührt die Tatsache der Vorsehung nicht. Denn dem Richters berührt die Tatsache der Vorsehung nicht. Denn der Richter muß Herr seiner eigenen Entscheidung sein und darf nicht wie ein lebloses Gerät gleichsam dadurch in Bewegung gesetzt werden, daß man an Fäden zieht, und darf den Antrieb zum Handeln nicht vielleicht nur von der äußeren Ursache erhalten.
2. Jedenfalls wird er nach seinem Urteilsspruch geprüft, gerade so wie wir danach, ob wir uns für das Wählenswerte entscheiden und bereit sind, etwas zu ertragen. Und wenn wir auch kein Unrecht tun, so sieht uns der Richter doch so an, als ob wir Unrecht täten; denn er kennt unser Wesen nicht und will es auch nicht kennenlernen, sondern läßt sich von einem unbegründeten Vorurteil leiten; deshalb wird er auch gerichtet.
3. Man verfolgt uns also nicht, weil man festgestellt hätte, daß wir Unrecht tun, sondern weil man annimmt, daß wir schon allein damit, daß wir unserer Lebensweise nach Christen sind, Unrecht tun, indem wir selbst einen solchen Wandel führen und die übrigen ermahnen, sich für die gleiche Lebensweise zu entscheiden.
80.
1. Warum erfahrt ihr aber keine Hilfe, sagt man, wenn ihr verfolgt werdet? Inwiefern erleiden wir denn auch, soweit es auf uns selbst ankommt, einen Schaden, wenn wir durch den Tod einen freien Weg zum Herrn erhalten und so, wie man von einem Lebensalter in ein anderes übergeht, auch das Leben mit einem anderen vertauschen? Wenn wir die Sache richtig ansehen, werden wir denen noch Dank wissen, die uns die Möglichkeit zu einem so raschen Abscheiden gegeben haben. (So ist es wenigstens) wenn wir aus Liebe (zum Herrn) den Märtyrertod erleiden.
2. Wenn wir nun nicht den meisten als schlechte Leute erschienen, sie vielmehr auch selbst die Wahrheit kennten, so würden alle schnell auf unseren Weg zueilen, und dann gäbe es keine Auswahl.
3. So aber bringt unser Glaube, der „das Licht der Welt“2496 ist, den Unglauben an den Tag.
4. „Denn mich könnten Anytos und Meletos zwar töten, aber schaden können sie mir in keiner Weise; denn ich glaube nicht, daß es gestattet ist, daß das Bessere durch das Schlechtere Schaden erleide.“2497