Seewölfe Paket 29. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954399970
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hielt sich die Hand vor den Mund. Unwillkürlich mußte sie lachen, obwohl ihr im Grunde gar nicht danach zumute war. Eine Ziege! Sie wußte doch, daß es in dieser Gegend wilde Tiere gab. Warum hatte sie nicht daran gedacht?

      Ihr Vater war ein wohlhabender Kaufmann in Beylerbey bei Istanbul. Er hatte Salome, seiner einzigen Tochter, eine erstklassige Ausbildung angedeihen lassen, obwohl das sonst nicht üblich war.

      Allah schrieb vor, daß nur Söhne etwas lernen durften. Töchter hatten sich gefälligst um die Hausarbeit zu kümmern.

      Im übrigen mußten sie nicht nur ihren Körper, sondern auch ihr Gesicht verhüllen und durften nur ihr Heim verlassen, wenn die Situation es dringend erforderte. Beispielsweise, wenn sie ihren Vater irgendwohin zu begleiten hatten.

      Unwillkürlich fragte sich Salome, welchen Eindruck es wohl erwecken würde, wenn sie in ihrem Zustand ein einsam gelegenes Gehöft aufsuchte und dort um Hilfe bat.

      Was sollte man von ihr denken? Würde man sie nicht wie eine Aussätzige behandeln – oder wie eine Hure?

      Nein. Sie brauchte ja nur zu erzählen, was ihr widerfahren war. Vor Tagen – wie viele es waren, vermochte sie selbst nicht mehr zu sagen – hatten maskierte Banditen die Pferdekutsche ihres Vaters überfallen. In der Kutsche hatten Salome und ihr Vater gesessen.

      Wie die Teufel waren die Kerle über ihre Opfer hergefallen. Erst hatten sie den Kutscher, dann Salomes Vater bewußtlos geschlagen.

      Danach hatten sie eine Schatulle mit Schmuck an sich gerissen, die Pferde ausgespannt und Salome aus dem Inneren gezerrt. Anschließend hatten sie sich mit den Pferden, der Schatulle und ihrer Geisel aus dem Staub gemacht.

      Salome wußte nicht, wo sich der Schlupfwinkel befand, in den sie die wüsten Kerle verschleppt hatten. Es war ein Gemäuer, aus dem es kein Entkommen gab. Die Kerle hatten ihr die Augen verbunden, als sie sie in ihr Versteck gebracht und eingesperrt hatten.

      Diese Kerle waren keine Einheimischen. Sie sahen anders aus. Salome vermutete, daß sie Giaurs waren, Ungläubige aus dem Abendland. Wer immer sie waren – sie benahmen sich wie die Tiere. Schlimmer.

      Jeden Abend veranstalteten sie die schlimmsten Gelage. Dann hörte das Mädchen, wie die Kerle lachten und grölten. Und Frauen, die sie nicht kannte, kreischten und kicherten.

      Der eine Kerl hieß Dario. Soviel hatte Salome begriffen. Immer wieder versuchte er, sie zum Liebesspiel zu bewegen. Aber Salome hatte sich gewehrt.

      Zuletzt hatte er ihr angedroht, er werde sie dazu zwingen. Genau das hatte er in der letzten Nacht tun wollen. Aber ihre Panik hatte Salome ungeheuren Mut verliehen.

      Sie wußte selbst nicht, wie sie es geschafft hatte, die Vase zu ergreifen und dem Strolch auf den Schädel zu donnern. Aber sie hatte es geschafft. Und der betrunkene Giaur war besinnungslos zusammengebrochen. Eine bessere Chance hätte es für sie, Salome, nicht geben können.

      Oder hatte sie einen Fehler begangen? Was war, wenn sie verhungerte oder verdurstete? Oder wenn sie von einem wilden Tier angefallen wurde? Konnte es nicht sein, daß eine giftige Schlange ihr in den Fußknöchel biß?

      Entsetzt blieb das Mädchen wieder stehen. Ihr Blick huschte über den Untergrund. Hatte sich da nicht etwas bewegt?

      Unsinn, sagte sie sich. Es war November, und in diesem Monat hielten die Reptilien bereits ihren Winterschlaf. Keine Panik, schärfte Salome sich ein, benutze lieber deinen Geist, deinen Verstand.

      Sie eilte weiter. Bald vernahm sie das Gurgeln und Plätschern von Wasser. Sie folgte den Lauten und stieß auf eine kleine Quelle, die aus einem steinigen Hang hervorsprudelte.

      Gierig trank Salome von dem kühlen, frischen Naß. Als sie wieder den Kopf hob, fühlte sie sich bedeutend besser.

      Noch einmal trank sie, dann setzte sie ihren Fluchtweg fort. In welche Richtung mußte sie überhaupt laufen? Wahrscheinlich nach Westen, denn nach dem Überfall auf die Kutsche hatten die Banditen sie nach Osten entführt. Soviel hatte sie immerhin registriert.

      Doch wie sollte sie sich orientieren? Am Stand der Sonne? Das konnte sie nicht. Auch in der Nacht hatte sie mit den Sternen am Firmament nichts anzufangen gewußt. Sich auf diese Weise in der Natur, in der Wildnis zurechtzufinden, war denn doch zu schwierig für sie.

      Etwa eine halbe Stunde hastete das Mädchen weiter, da hörte sie erneut Geräusche. Sie blieb stehen.

      Was war das?

      Die Laute ertönten aus einiger Entfernung, schienen sich aber zu nähern. Dumpfes Klopfen und Pochen. Jetzt begriff Salome: Es war der Hufschlag von Pferden.

      Rasch versteckte sich Salome in einem nahen Gebüsch. Mit heftig schlagendem Herzen lauschte sie. Wer waren die Reiter? Etwa dieser Dario und seine Horde?

      O Allah, laß es nicht wahr sein, flehte sie im stillen. Oder handelte es sich um Landsleute, Jäger beispielsweise, die sie um Hilfe und Unterstützung bitten konnte?

      Wieder wagte das Mädchen nicht, zu atmen. Der Hufschlag wurde lauter. Die Stimmen von Männern waren zu vernehmen. Und plötzlich hörte Salome auch noch etwas anderes – das Winseln und Hecheln von Hunden.

      Ich sterbe, dachte sie voll Panik.

      Die Reiter galoppierten heran. Salome stöhnte auf. Durch eine Lücke zwischen den Blättern konnte sie den Anführer erkennen. Es war Dario. Hinter ihm ritten gut ein Dutzend Kerle. Ihre Mienen waren finster.

      Die Hunde liefen vor den Reitern her und hatten ihre Nasen auf dem Boden. Große Hunde. Vier oder fünf. In den Tagen ihrer Gefangenschaft in dem Gemäuer hatte Salome die Hunde nie gehört. Sie hatte nicht gewußt, daß die Banditen auch Hunde hatten.

      Jetzt weißt du es, dachte Salome.

      Sie drehte sich um und kroch davon. Sie gab sich Mühe, sich so vorsichtig wie möglich zu bewegen und keine Laute zu verursachen. Hinter ihrem Rücken unterhielten sich die Kerle miteinander – in ihrer Muttersprache. Einige von ihnen – wie Dario – konnten Salomes Sprache. Doch wenn sie unter sich waren, bedienten sie sich natürlich ihres wüsten Kauderwelsches.

      Was sie sagte, konnte Salome also nicht verstehen. Aber sie hörte die Hunde winseln und bellen. Die Männer waren mit einemmal sehr aufgeregt. Salome hatte nicht den geringsten Zweifel – die Hunde hatten ihre Spur entdeckt.

      Salome sprang auf und rannte. Sie schluchzte und keuchte. Ihr Herz hämmerte, ihre Brust schmerzte und schien zerspringen zu wollen. Sie raste dahin und wußte selbst nicht mehr, was sie suchte und sich erhoffte. Sie war wie von Sinnen.

      Sie hörte, wie sich das Trappeln der Pferdehufe, das Fluchen der Kerle und das Hecheln der Hunde immer mehr näherten, wie die Meute hinter ihrem Rücken auftauchte.

      Jetzt sterbe ich, dachte sie voll Grauen, jetzt zerfetzen sie dich!

       2.

      Mißtrauisch blickten der Seewolf und seine Mannen zu dem sich nähernden Einmaster. Sie hatten allen Grund, argwöhnisch zu sein. Es geschah selten, daß man Fremden begegnete, die einem freundlich gesonnen waren. In der letzten Zeit hatten die Arwenacks immer wieder die übelsten Überraschungen erlebt – nicht nur in Batumi, auch anderswo.

      Dan beobachtete den Einmaster durch den Kieker.

      „An Deck befinden sich fünf Mann“, sagte er. „Vielleicht Fischer.“

      „Der Kahn ist nicht armiert?“ wollte der Seewolf wissen.

      „Sieht nicht so aus.“ Dan reichte seinem Kapitän das Rohr, und Hasard spähte selbst hindurch.

      Nun konnte er die Männer an Bord des Einmasters erkennen. Die Kerle hatten pechschwarzes Haar und Schnauzbärte und waren bunt gekleidet. Grinsend blickten sie der Dubas entgegen.

      „Wir preien sie an“, sagte der Seewolf.

      Kurz darauf, als die beiden Schiffe nur noch etwa eine Viertel Kabellänge voneinander