Seewölfe Paket 29. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954399970
Скачать книгу
aus dem Leib. Und dann stieß er im Sturzflug nach unten, streifte den Schädel Igor Samoilows und riß ihm mit dem Krummschnabel die Kopfhaut auf. Samoilow brüllte, als sei er skalpiert worden. Sir John brauste ab zur Kommandantur und veranstaltete dort einen Rabatz, als sei ein Papageiengeschwader im Anflug.

      „Wuff-wuff!“ ertönte im Zellentrakt das Bellen von Plymmie, was Sir Johns Gekreische noch verstärkte.

      Die Kommandantur geriet in Aufruhr, der Ort Burgas ebenfalls. Da bahnte sich einiges an.

      Die Kerle kümmerte das nicht, wie es ihre Art war. Noch alle hatten vor ihnen gezittert und gebebt und um Gnade gewinselt. Aber jetzt waren erst mal die „Bastarde“ dran. Sie überfluteten die Dubas und brachen wie Berserker in die Unterdecksräume ein, die Messer, die sie fast alle noch hatten, in den Fäusten.

      Leer!

      Sie konnten es nicht fassen und stießen ihre Messer in die Kojenmatratzen, als hätten sich die englischen Hundesöhne darunter verkrochen.

      In der Kapitänskammer hüpfte Broz herum und heulte: „Wo ist das dreckige Schwein? Komm her, du feiger Hund, ich will mit dir kämpfen!“

      Igor Samoilow taumelte auf dem Deck herum, brüllte und konnte kaum etwas sehen, weil ihm das Blut über die Augen lief.

      Drei Kerle waren in den Proviantraum gestürmt – sie hatten das verschlossene Schott aufgebrochen – und fielen bereits über den Wodka her. Sie soffen wie Verdurstende – und das auf nüchternen Magen.

      Nicht einer verfiel auf die Idee, schleunigst die Vor-, Quer- und Achterleinen zu lösen und mit der Dubas aus dem Hafen zu verschwinden. Nein, sie hatten ihr Schiff „zurückerobert“ und damit basta. Und immer mehr drangen in den Proviantraum ein und prügelten sich um die Zapfhähne. An Ort und Stelle begann eine ihrer fürchterlichen Sauforgien. Sie lechzten nach Schnaps und waren entfesselt.

      Igor Samoilow hatte keine Gewalt mehr über seine wüste Horde. Keiner kümmerte sich um ihn, auch Broz nicht, als er mitgekriegt hatte, was im Proviantraum los war. Er lief an seinem Kapitän vorbei und verschwand unter Deck.

      Sie badeten da unten in Wodka und führten sich auf wie dem Narrenhaus entsprungene Veitstänzer. Einige schlürften und leckten den Wodka von den Planken, denn sie drehten wie irre an den Zapfhähnen, und das Zeug floß ab, bevor sich einer unter den Hahn hängen konnte. Und wenn er hing, wurde er wieder weggerissen. Der Proviantraum wurde zum Tollhaus. Das Gejohle, Gegröle und Gebrüll sprengte schier die Dubas auseinander.

      In der Kommandantur war Selim Güngör entsetzt in den Zellentrakt gestürzt. Seine beiden ins Wasser beförderten Milizsoldaten hatten ihm gemeldet – triefend und bleich –, Russen wären über sie hergefallen und hätten die Dubas besetzt.

      Russen? Jawohl, Russen!

      Da war bei Selim Güngör, dem Hafenkapitän, ein spätes Licht aufgegangen, ein sehr spätes Licht. Und auch Mehmed Kymet erschien, erbittert und wutgeladen.

      „Da hast du deinen Mist!“ schrie er den Freund an. „Jetzt ist der Teufel los! Samoilow und seine Horde werden ein Massaker veranstalten!“

      Darum also war der Hafenkapitän in den Zellentrakt gestürzt – und beinahe zurückgeprallt, denn die Männer des schwarzhaarigen Riesen saßen mit verschränkten Armen auf ihren Kojen und grinsten ihm entgegen. Sie grinsten, jawohl, als sei nicht der Teufel los, sondern alles Friede, Freude, Eierkuchen.

      „Helfen Sie mir, meine Herren!“ jammerte Selim Güngör – Philip junior übersetzte. „Igor Samoilow ist über Burgas hergefallen!“

      „Ich höre wohl nicht recht“, sagte Hasard. „Ich denke, ich bin Igor Samoilow, und ich weiß genau, daß ich hier auf der Koje sitze! Wie kann ich da über Burgas hergefallen sein, ich bin doch kein Geist!“

      Der Hafenkapitän rang die Hände. „Nein, nein, ich muß Sie verwechselt haben. Sie sind der Kapitän Killigrew, wirklich, das weiß ich jetzt, weil der echte Igor Samoilow da draußen herumtobt. O Allah, was tue ich bloß? Könnten Sie nicht … äh, ich meine, Sie haben doch schon einmal mit ihm gekämpft …“ Er brach ab, denn der englische Kapitän schien ihm gar nicht zuzuhören. Statt dessen hielt er den Kopf etwas schief und lauschte nach draußen.

      Und dann grinste er geradezu impertinent. Er wandte den Kopf und blickte zu Dan O’Flynn, der zusammen mit dem Kutscher auf der gegenüberstehenden Pritsche saß.

      „Denkst du auch, was ich denke?“ fragte er Dan.

      Der nickte und grinste noch impertinenter. Und er sagte: „Genau das denke ich. Es kann gar nicht anders sein.“

      Da seufzte Hasard. „Und mein verehrter Schwiegervater hat eins von den Wodkafässern gewonnen! Du meine Güte!“

      „Und Ed und Mac waren so scharf auf das Zeug!“ ergänzte Dan O’Flynn.

      Der Kutscher kicherte und rieb sich die Hände. Auch ihm war klar geworden, was Hasard und Dan meinten.

      Der Hafenkapitän hingegen wurde immer nervöser und trat von einem Bein aufs andere. Und er schwitzte Blut und Wasser.

      Hasard musterte ihn. „Warum sind Sie so aufgeregt, mein Guter? Es passiert doch gar nichts!“ Philip junior übersetzte.

      „Kapitän!“ flehte Selim Güngör. „Bitte! Ich tue alles, was Sie wollen oder wünschen! Aber bitte helfen Sie mir, bevor diese Banditen Burgas anzünden.“

      „Wie stellen Sie sich das vor?“ fragte Hasard gedehnt. „Wir sollen das tun, wofür Ihre Miliz zuständig ist? Und das, nachdem Sie elf meiner Männer und mich wegen eines idiotischen Verdachts gefangensetzten! Sie müssen nicht ganz bei Trost sein!“

      Der gute Selim Güngör schmorte sozusagen in seinem eigenen Saft – und Hasard kochte ihn weich.

      Old Donegal tauchte neben dem Hafenkapitän auf und schob ihn einfach beiseite. In seinen hellen Augen funkelte Zorn.

      „Diese Hurensöhne saufen meinen Wodka aus!“ zischte er. „Wir müssen was unternehmen!“

      „Das stimmt nicht ganz, Donegal“, sagte Hasard, „rein rechtlich gesehen gehört ihnen der Wodka, das mußt du zugeben.“

      „Meine Herren!“ jammerte der Hafenkapitän. „Bitte …“

      „Das ist ja die Höhe!“ tobte Old Donegal. „Wir haben den Wodka rein rechtlich gesehen erobert! Also gehört er uns, genauso wie die Dubas, verdammt noch mal!“

      Hasard seufzte wieder und stand auf.

      „Na ja, wenn das so ist“, murmelte er, „dann müssen wir uns das alles wohl wieder zurückerobern, rein rechtlich gesehen. Ich fürchte bloß …“ Er verstummte und blickte Old Donegal an.

      „Was fürchtest du?“ schnappte der alte Zausel.

      „Ich fürchte, daß von dem Wodka nicht mehr viel übrig sein wird, Donegal“, sagte Hasard. „Aber du kannst später dem Hafenkapitän ja mal verklaren, daß dir die Rabauken ein Faß Wodka weggesoffen haben. Rein rechtlich gesehen müßte er dir Ersatz beschaffen, eh?“

      Old Donegal kniff die hellen Augen zusammen und blinzelte mit dem rechten Auge. „Hatte ich nicht zwei Fässer, eh?“

      „Rein rechtlich gesehen hatten wir vier Fässer, Donegal“, sagte Hasard und blinzelte ebenfalls mit dem rechten Auge.

      Da grinste nun auch Old Donegal auf die schlitzohrige Art.

      Und die Arwenacks schritten zur Tat.

      Ein verklärtes Strahlen erschien auf dem zerquälten Gesicht des Hafenkapitäns. Und er fragte, ob er den ehrenwerten Männern Waffen aushändigen solle. Sie hätten doch keine.

      Hasard sagte von oben herab: „So was erledigen wir mit unseren Fäusten, mein Lieber. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, daß Ihre Miliz bereitsteht, um die Kerle in Empfang zu nehmen.“

      „Sehr wohl, Kapitän“, sagte der Hafenkapitän und verbeugte sich.