Hasard zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf.
„Skeptisch nicht“, sagte er, „nur nachdenklich. Man will etwas Neues anfangen, das besser sein soll als das Bisherige. Dazu braucht man viel Geduld, aber auch die Kraft, sich durchzusetzen und die anderen zu überzeugen. Man wird für seine Ziele auch kämpfen müssen. Und stets wird man mit der Frage konfrontiert, ob sich der Einsatz lohnt. Aber lassen wir das, darüber könnte man stundenlang sprechen. Ich wünsche euch jedenfalls für Sarasota alles Gute.“
Es wurde ein bewegter Abschied, und die Ladys ließen es sich nicht nehmen, an die Arwenacks Küßchen zu verteilen. Auch Hasard blieb nicht ungeschoren. Nur der Profos hatte nichts davon, es sei denn, er träumte von hübschen Englein, die ihn herzten und kosten. Aber das war unwahrscheinlich, denn dann hätte er wie ein Kater behaglich schnurren müssen. Statt dessen klang es, als hantiere jemand in einem tiefen Keller mit schweren Eisenketten, denen er offenbar mit einer Säge zu Leibe ging, denn es rasselte, dröhnte, kreischte und schepperte.
„Das ist bald nicht mehr mit anzuhören“, beschwerte sich Ferris Tucker, der sowieso mit seinem linken Auge geschädigt war. „Man sollte ihm was ins Maul stopfen, diesem Schnarchsack!“
„Dann erstickt er“, sagte der Kutscher.
„Der doch nicht“, brummte Ferris Tucker. „Einer, der unter Wasser einpennt, erstickt nicht. Der bringt’s auch fertig und atmet durch die Ohren. Dieser Profos ist ein Monster, jawohl!“
Unter Gelächter wurde der Profos in die große Jolle bugsiert, wo er achtern die ganze Plicht ausfüllte. Die Bodenbretter wirkten als Resonanzboden, was das Schnarchkonzert ungemein verstärkte.
„O Heiland!“ murmelte der Schiffszimmermann und stieg in die kleine Jolle, um dem Profos so fern wie möglich zu sein. Dabei wußte jeder, daß der Schiffszimmermann und der Profos ein Herz und eine Seele waren, auch wenn sie sich oft genug die wüstesten Grobheiten sagten.
Die Arwenacks kehrten mit den beiden Booten zur „Isabella“ zurück. Eine Viertelstunde später wurde der Anker gehievt. Die Galeone lief hart am Wind aus der Bucht, die sechs Ladys und die vier Männer winkten und hörten als Gegengruß ein donnerndes „Ar-we-nack“. Dann ging die „Isabella“ auf nördlichen Kurs.
6.
Zu diesem Zeitpunkt am frühen Nachmittag, als die „Isabella“ Sarasota verließ, bahnte sich weiter nordwärts etwa 125 Meilen entfernt an der Westküste Floridas ein Drama an.
Ort des Geschehens war die Waccasassa Bay, wo die Küste auf etwa zehn Meilen Länge fast genau in Ost-West-Richtung verlief, wobei die Bucht den Ostpunkt und die kleine Inselgruppe der Cedar Keys den Westpunkt bildeten.
Entgegen der Annahme Joseph Jellys, daß die Indianer die Küsten mieden, lebten hier welche – zwar keine Seminolen, aber Timucuas, genauer: der kleine Stamm, zu dem Tamao und Asiaga gehörten.
Richtig an Joseph Jellys Aussage war allerdings seine Bemerkung gewesen, daß die Spanier die Einheimischen unterjochten oder gar ausrotteten.
Unterjocht war Tamaos Stamm bereits. Neben ihrem Dorf an der Waccasassa Bay hatten die Spanier eine Siedlung angelegt und eine Werft errichtet, dies allerdings nicht durch eigener Hände Arbeit, sondern die Timucuas waren von ihnen zum Frondienst gepreßt worden. Das heißt, die Spanier lebten wie die Maden im Speck und ließen sich von den Timucuas bedienen. Die nahezu einzige Tätigkeit – so man in diesem Falle überhaupt von Tätigkeit sprechen konnte – bestand seitens der Spanier darin, die Timucuas zu bewachen.
Allerdings resultierten aus dem Wachdienst andere Nebentätigkeiten wie Anbrüllen, Antreiben, Auspeitschen oder gar Totschlagen. Die Skala der Gewaltausübung ist ja sehr breit, und Don Angelo Baquillo, der Kommandant der spanischen Siedlung, war da ohne jegliche Skrupel, zumal er die Indianer nicht als Menschen, sondern als Ungeziefer einstufte. Daß er trotz dieser Auffassung hübsche Indianermädchen zwang, ihm Liebesdienste zu leisten, erschütterte ihn nicht weiter.
Das Leben der Timucuas war nur noch ein Dahinvegetieren. Ihre Ernten wurden von den Spaniern beschlagnahmt, ihr Vieh abgeschlachtet. Neben dem Ackerbau hatten sie früher Fischfang betrieben, aber das konnten sie nicht mehr, weil ihnen die Spanier die Boote zerstört hatten, mit denen sie möglicherweise hätten fliehen können. Tatsächlich war ja auch Tamao mit seiner Asiaga in einem Boot geflohen, das er gestohlen hatte.
In dem Dorf lebten noch an die zweihundert Männer, Frauen, Kinder und die Alten. Vor der Ankunft der Spanier war der Stamm größer gewesen. Dennoch waren sie immer noch in der Überzahl, denn die spanische Siedlung beherbergte an die sechzig Mann – fast alles Soldaten mit Ausnahme von ein paar Schiffsbauhandwerkern, Seilern und Segelmachern. Denn auf der Werft an der Waccasassa Bay sollten Schiffe gebaut werden – billig natürlich, was wiederum bedeutete, daß man die Indianer für sich arbeiten ließ und zum Schiffsbau preßte, ohne sie zu bezahlen. Als Lohn erhielten sie die Küchenabfälle, die ihnen vor die Füße gekippt wurden.
Don Angelo Baquillo konnte sich rühmen, für Spanien die billigsten Galeonen zu bauen, die je auf Stapel gelegt worden waren. Auch das Holz kostete ihn nichts. Das mußten die Timucuas etwas weiter im Landesinneren schlagen und zur Bucht transportieren, wo die Rinde abgeschält und die Hölzer nach Bedarf zugeschnitten wurden.
Erst vor einer Woche war wieder eine Galeone, die „San Donato“, vom Stapel gelaufen und lag nahezu fertig aufgeriggt und getakelt an der großen Holzpier der spanischen Siedlung.
Daß die Timucuas unter ihrem an die sechzig Jahre alten Häuptling Shawano noch nicht gegen ihre spanischen Unterdrücker revoltiert hatten, hatte verschiedene Gründe. Zunächst waren sie kein durchaus kriegerisches Volk und zu plötzlich mit der gnadenlosen Härte der spanischen Eroberer konfrontiert worden – mit kriegserfahrenen Konquistadoren, deren Bewaffnung sie nichts entgegenzusetzen hatten. Sie hatten auch Angst vor den langen Donnerrohren gehabt, die Feuer ausspuckten, das Blei und Eisen enthielt. Und als sie begriffen, wem sie ausgeliefert waren, da wurde ihr Aufbäumen blutig und erbarmungslos niedergeknüppelt. Und jetzt siechten sie dahin, schleppten sich zu den Arbeiten, die ihnen diktiert wurden, und waren froh, nachts auf ihre Lager niedersinken und alles vergessen zu können. Der Hunger höhlte sie aus und ließ sie apathisch werden.
Nur der weißhaarige Shawano gab nicht auf und ließ sie hoffen. Er war unbeugsam. Manchmal lachte er – ein klirrendes Lachen, das an die Waffen der Spanier erinnerte. Aber sein Trotz sprach daraus. Und er ließ sie wissen, daß der Tag kommen werde, an dem sie wieder frei sein würden. Vielleicht hatte Shawano eine große Medizin, dachten sie.
Dann allerdings hatte ein anderer Feind zugeschlagen, ein Feind, der unsichtbar blieb, aber noch grausamer und teuflischer als die Spanier war. Merkwürdigerweise blieben aber auch die Spanier von ihm nicht verschont, ja, es schien fast, daß sie härter als die Timucuas betroffen wurden.
Im Dorf der Timucuas und in der Siedlung der Spanier ging das Sumpffieber um, jener unheimliche Feind, der stets auf die gleiche Weise mordet. Denn immer werden seine Opfer von Schüttelfrost befallen, die Haut wird kalt, die Lippen und Nägel färben sich blau, der Kopf schmerzt, und unter der Brust setzen Stiche ein. Danach verliert sich die Kälte, und Hitze folgt, die blasse Haut färbt sich rot, die Schmerzen im Kopf nehmen zu. Erst nach dem Schweißausbruch wird alles wieder besser, nur furchtbaren Durst hat man.
Ja, das war der Anfang, nach dem man sogar schlafen konnte. Aber wen der Feind in den Krallen hatte, den ließ er nicht mehr los. Immer wieder erlitt das Opfer diese Kälte- und Hitzezustände, und es wurde schwächer und matter bis zur völligen Entkräftung, die den Tod im Gefolge hatte. Und alle stöhnten sie unter den Schmerzen, die sie über dem Leib empfanden, wo bestimmte Stellen immer dicker wurden.
Als der unheimliche Feind mit seinen Morden begonnen hatte, da hatte Shawano erklärt, daß es nur einen Weg zur Rettung gäbe, nämlich die Flucht. Das war von den Alten überliefert worden, die gesagt hatten, man müsse beim Auftreten dieses wechselnden Fiebers in eine andere Gegend ziehen. Vor allem müsse man die Sümpfe meiden,