Jetzt waren an die fünfzig Timucuas erkrankt und litten an dem Fieber. Wie viele es bei den Spaniern waren, wußte Shawano nicht, obgleich er Taliwa beauftragt hatte, zu versuchen, das herauszufinden.
Don Angelo Baquillo, der Kommandant, hatte sich zum nächtlichen Zeitvertreib die junge hübsche Taliwa in sein Stabsquartier geholt. Tagsüber erging es ihr nicht besser. Sie hatte die Räume sauber zu halten, seine Kleidung und Stiefel zu putzen, den Fußboden zu scheuern und jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Wenn ihm etwas nicht paßte, züchtigte er sie mit einer Lederpeitsche. Ihr Haß auf diesen Mann, der sie entehrt hatte und täglich demütigte, war grenzenlos. Eines Tages würde sie die Quälereien nicht mehr ertragen und ihn umbringen, obwohl Shawano sie vor einem solchen Schritt gewarnt hatte, der unabsehbare Folgen für die Timucuas haben würde – für alle.
Das alles wurde jedoch von einer Stunde zur anderen gegenstandslos, und zwar gegen Mittag des 12. September, als Don Angelo Baquillo seinen Stab zu einem Befehlsempfang in seinem Quartier zusammenrief, darunter auch den Feldscher.
Wie stets bei solchen Anlässen hatten die Señores zu stehen, nebeneinander ausgerichtet natürlich, während er vor ihnen wie vor einer Front auf und ab marschierte, die Hände auf dem Rücken.
Er war ein stämmig gebauter Mann in Kürbishosen, die in langschäftigen Stiefeln steckten. Eine Schärpe verdeckte seinen Bauchansatz. Bestimmend in seinem harten Gesicht waren der schwarze Schnauzbart und die kalten Augen, die er jetzt auf den Feldscher richtete, vor dem er stehen blieb.
„Neue Krankheitsfälle?“ fragte er kurzangebunden.
„Vier, Señor Kommandant“, erwiderte der Feldscher.
„Damit erhöht sich die Zahl der Kranken auf wieviel?“ Don Angelo Baquillo wippte auf den Fußballen. Er stellte die Frage, als hake er auf einer Liste irgendwelche Nummern ab, nicht Menschen, nein, Nummern.
„Von sechsundzwanzig auf dreißig, Señor Kommandant.“
„Verfassung derselben?“
„Leichte bis schwere Fälle“, sagte der Feldscher. „Etwa zehn dürften noch bedingt dienstverwendungsfähig sein.“
„Bedingt – bedingt!“ schnarrte Don Angelo Baquillo. „Entweder sind sie verwendungsfähig oder nicht. Ich wünsche klare Antworten. Also?“
„Nicht verwendungsfähig“, sagte der Feldscher verbissen. „Und zwar wegen körperlicher Schwäche.“
„Schlappschwänze“, sagte Don Angelo Baquillo verächtlich. „Sollen sich gefälligst zusammenreißen, die Kerle!“ Seine kalten Augen durchs bohrten den Feldscher. „Mir scheint, Sie verkennen Ihre Aufgabe, mein Lieber. Aber ich will sie Ihnen gern noch einmal erklären. Sie besteht schlicht und einfach darin, die sogenannte körperliche Schwäche dieser Kerle zu ignorieren. Soldaten haben hart zu sein, verstanden? Infolgedessen werden die zehn Kerle wieder zum Dienst eingeteilt, auch wenn sie mit den Zähnen klappern. Wahrscheinlich wird da nur ein Anfall vorgetäuscht. Die Kerle wollen sich im Krankenrevier auf die faule Haut legen, das ist alles.“
„Damit sind die zehn Männer zum Tode verurteilt“, sagte der Feldscher gepreßt.
„Na und? Wir müssen alle mal sterben. Ende der Debatte. Verbitte mir solche rührseligen Bemerkungen.“ Der Kommandant nahm seine Wanderung wieder auf und kaute auf seinem Schnauzbart herum. Nach einer Weile blieb er vor dem Adjutanten stehen.
„Wie viele Krankheitsfälle bei den Timucua-Bastarden?“
„An die fünfzig, Señor Kommandant“, erwiderte der Adjutant, ein Teniente, und fügte beflissen hinzu: „Die fünfzehn männlichen Subjekte, die darunter sind, arbeiten natürlich gemäß Ihrer Order wie bisher weiter – bis sie umkippen. Wenn sie die Peitsche spüren, werden sie wieder munter.“
„Sehr gut. Vielleicht sollten wir diese Methode auch bei unseren Kerlen einführen.“ Sein kalter Blick wanderte zu dem Feldscher.
„Da werden sich die Timucuas aber freuen“, sagte der Feldscher ungerührt, „ganz abgesehen von der Wirkung auf unsere Leute. Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, daß keiner unserer kranken Soldaten simuliert. Sie haben alle die typischen Anzeichen des Wechselfiebers. Ich kenne keinen Menschen, der kraft des eigenen Willens plötzlich in der Lage wäre, seinen Lippen und Nägeln eine blaue Farbe zu verleihen und die eigene Haut blaß und kalt werden zu lassen.“
Der Kommandant kniff die Augen zusammen. „Wollen Sie mich belehren, Mann?“
„Als Arzt habe ich die Pflicht, Ihnen meinen Standpunkt über den Zustand Ihrer Soldaten mitzuteilen.“
„An!“ Der Kommandant begann wieder auf den Fußballen zu wippen. „Dann haben Sie doch mal die Güte, mir mitzuteilen, woher dieses Fieber stammt.“
„Das ist noch nicht geklärt“, sagte der Feldscher. „Die Italiener nennen es ‚mala aria‘, also ‚schlechte Luft‘. Es tritt bei ihnen in den Sumpfgegenden auf, daher spricht man auch von Sumpffieber. Da wir hier ebenfalls Sümpfe haben, vermute ich, daß die Krankheitsfälle darauf zurückzuführen sind.“
„Alles Quatsch“, erklärte Don Angelo Baquillo. „Ich werde Ihnen sagen, wer oder was diese Krankheit hervorruft, und zwar nicht Ihre Sümpfe – das ist reine Faselei –, sondern diese stinkenden Timucua-Hunde, die haben den Teufel im Leib und stecken uns an! Da verschlägt’s Ihnen die Sprache, wie?“
„Kann man wohl sagen“, erwiderte der Feldscher trocken. „Wenn dem so ist, dann sollten Sie sich schleunigst von Ihrer Geliebten trennen, die hat Ihnen den Teufel im Leib vielleicht schon angehext. Wollen Sie dann auch mit der Peitsche zum Dienst angetrieben werden?“
Don Angelo Baquillo zuckte zurück und wurde weiß im Gesicht.
„Hüten Sie Ihre Zunge, Feldscher!“ zischte er. „Sonst könnte es passieren, daß sie sich als Sträfling und in Ketten auf einer Galeere wiederfinden. Ich bin nicht gewillt, solche frechen Reden zu dulden. Das grenzt bereits an Meuterei.“
„Schon verstanden, Señor Kommandant“, sagte der Feldscher, ohne eine Miene zu verziehen. „Haben Sie Beweise dafür, daß das Fieber von den Indianern auf uns übertragen wird?“
„So etwas weiß man!“ schnarrte Don Angelo Baquillo von oben herab.
„Ah ja! Und dabei nehmen sie das Risiko auf sich, auch sich selbst anzustecken, nicht wahr?“
„Das tun diese Bastarde nur, um sich vor der Arbeit drücken zu können“, wurde er von Don Angelo Baquillo belehrt.
„Was ihnen nichts nutzt“, sagte der Feldscher, „weil sie ja mit der Peitsche wieder angetrieben werden, wenn sie zusammenbrechen.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, Señor Kommandant, entschuldigen Sie, wenn ich Ihrer These nicht zu folgen vermag. Ich halte sie für unlogisch. Wer sich mit dieser Krankheit ansteckt, um nicht mehr arbeiten zu müssen, der tut es gleichzeitig auch in der Gewißheit, dem Tode entgegenzugehen. Das ist in sich ein Widerspruch, denn er handelt sich damit ja keine Vergünstigung ein, sondern einen recht qualvollen Tod. Kein Mensch, auch kein Indianer, ist so verrückt, das zu tun.“
„Ich habe keine Lust, mit Ihnen darüber zu diskutieren“, sagte Don Angelo Baquillo. „Ich spreche hier auch nicht von Thesen, sondern von Tatsachen, die Sie offenbar nicht verstehen. Zur Sache: Da diese – äh – Epidemie von den indianischen Bastarden angezettelt wurde mit dem Zweck, uns zu vernichten, habe ich beschlossen, entsprechend hart zu reagieren. Hier muß eisern und rücksichtslos durchgegriffen werden, meine Herren – rück-sichts-los! Daher erteile ich folgenden Befehl – der Teniente wird die Einzelheiten und Orders ausarbeiten: Morgen vormittag wird das Dorf dieser roten Köter umstellt, ein Trupp dringt ein und füsiliert jeden dieser stinkenden Bastarde, der vermutlich oder sichtbar an dem Fieber erkrankt