Hasard hörte schon gar nicht mehr darauf, er hatte sich Örjan angeschlossen und bedeutete Nils und Dan durch einen Wink, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen.
Blacky und Batuti hätten auch gern zu diesem kleinen Landtrupp gehört, aber sie wagten lieber gar nicht erst, dem Seewolf einen entsprechenden Vorschlag zu unterbreiten. Wenn Hasard eine so besorgte Miene zog wie jetzt, gab es mit ihm nicht viel zu debattieren. Er hatte Dan und Nils ausgesucht, und damit basta!
Bis zum Mietstall war es wirklich nicht weit, und so konnten Hasard und seine beiden Begleiter den Schimmel schon kurze Zeit später aus nächster Nähe untersuchen.
Spuren, die auf einen Kampf schließen ließen, fanden sie nicht, aber Hasard sagte: „Stenmark hätte das Pferd niemals ohne stichhaltigen Grund aufgegeben oder fortgeschickt, schon gar nicht in dem Schneegestöber von heute nacht. Es muß etwas passiert sein.“
Ohne länger zu zögern, gab er Örjan drei Silbermünzen und ließ sich drei Pferde aushändigen. Beim Aufzäumen und Satteln halfen die Männer der „Isabella“ mit, und Hasard ließ sich genau den Weg nach Kungelf beschreiben. Diesen Namen hatte Stenmark ihm genannt, bevor er aufgebrochen war, dort sollten die Stenmarks zu Hause sein.
Nils Larsen übersetzte wieder fleißig, was gesprochen wurde, und am Ende wußte Hasard Bescheid. Am Göta-Fluß entlang mußte er reiten, das war der schnellste Weg nach Kungelf. Rasch schrieb er noch eine Nachricht für Old O’Flynn und Ben Brighton auf, dann schwang er sich auch schon in den Sattel der braunen Stute, die er ausgewählt hatte.
Örjan winkte ihnen nach, nachdem auch Nils Larsen und Dan O’Flynn in die Sättel ihrer Tiere gestiegen waren. Die drei Männer brachen auf und verließen die Stadt, Örjan begab sich zurück zur „Isabella IX.“ und brachte die Botschaft, die Hasard ihm mit Kohle auf ein Stück Pergament geschrieben hatte.
Es schneite immer noch. Stenmark kauerte in der Höhle und lud zum letztenmal die Pistolen nach. Noch zwei Wölfe hatte er durch gezielte Schüsse erlegen können, die anderen hatte er mit brennenden Holzscheiten und mit seinem Cutlass verjagt. So war es ihm immer wieder gelungen, den Angriff des Rudels abzuwehren.
Auf Björnsons Unterstützung durfte er nicht mehr hoffen, der Mann lag zusammengekrümmt neben dem Feuer und kam nicht wieder zu sich. Stenmark war von den größten Sorgen um seinen gesundheitlichen Zustand bewegt, doch er hatte nach wie vor nicht die geringste Chance, den Landeshauptmann fortzuschaffen und nach Göteborg zu transportieren.
Die zweibeinigen Wölfe belagerten jetzt die Höhle. Sie hatten sich in der Dunkelheit angeschlichen und bereits mehrere Schüsse auf ihn abgegeben, wenn er sich gegen die Wölfe verteidigt hatte. Stenmark wußte, daß er die Nase nicht zu weit vorstrecken durfte – und daß sie ihn früher oder später holen und töten würden, wenn keine Hilfe eintraf.
Sie waren wieder zu viert, wie er sich hatte ausrechnen können. Sie waren die Männer aus dem Hohlweg, hatten sich von ihrer Niederlage erholt und in der Nacht wohl die Pistolenschüsse vernommen, die Björnson und Stenmark auf die Wölfe abgegeben hatten. Wie Stenmark vermutet hatte, war es für sie nicht weiter schwierig gewesen, ihre Opfer zu finden.
Diesmal würden sie als die Sieger aus dem Kampf hervorgehen. Stenmark gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Er war erschöpft und verbiestert, die Nacht war hart gewesen. Er hatte nur noch zwei Schüsse, der Feind aber verfügte sicherlich über ausreichend Munition für seine Musketen.
Stenmark blickte auf die Gestalt des Landeshauptmanns hinunter und dachte: Wir sind verraten und verkauft. Freund Stig, es muß schon ein Wunder geschehen, wenn wir das hier noch lebend überstehen sollen.
Das Feuer war ganz heruntergebrannt, der Rauch stieg aus der Glut auf, kräuselte sich der Höhlendecke entgegen und kroch schwerfällig ins Freie. Bald würde auch die Glut erlöschen, denn weitere Scheite konnte Stenmark nicht mehr hereinholen. Er brauchte nur einen Schritt ins Freie zu tun, dann stand er wie eine lebendige Zielscheibe auf dem Präsentierteller. Es war Selbstmord.
Draußen bewegte sich eine Gestalt, er konnte sie im zunehmenden Licht der Dämmerung genau sehen. Ein Schuß krachte, die Kugel pfiff auf den Eingang zu und krepierte als Querschläger an der linken Seite.
Stenmark riß eine seiner Pistolen hoch und drückte ab. Brüllend löste sich der Schuß. Aber auch er traf nicht, der Kerl im Freien lachte nur hämisch und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Jetzt hatte Stenmark nur noch einen Schuß.
Er verfluchte sich selbst und bereute, daß er ohne Begleitung von der „Isabella“ aus aufgebrochen war. Ein verdammter Narr war er gewesen. Er hätte Olaf Sundbärg töten sollen. Auch der Kerl, den er ihm Hohlweg überwältigt hatte, hätte nicht mit dem Leben davonkommen dürfen. Was hatte er jetzt davon? Er zog den kürzeren, und die Kerle dachten nicht daran, ihn zu verschonen, weil er einen von ihnen fair behandelt hatte.
Aber er wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Wenn sie die Höhle stürmten, nahm er mindestens noch zwei mit ihnen auf den Weg in die Hölle, das schwor er sich. Den einen würde er niederschießen, den anderen mit dem Schiffshauer töten.
Nur um Björnson tat es ihm leid. Er fühlte sich verantwortlich für dessen Schicksal. Björnson würde sterben, und so hatte Olaf Sundbärg auch das zweite Opfer, das er in seinem Haß und Wahn forderte.
10.
Hasard entdeckte zwischen den Bäumen des Waldes am Göta-Elv plötzlich ein Pferd. Es war gesattelt, aber herrenlos, ein hochbeiniger Falbe. Hätte er geahnt, daß es dem Landeshauptmann Stig Björnson gehörte, der mit Stenmark zusammen in einer mörderischen Falle saß, dann hätte er seine Stute sofort zum Galopp angetrieben.
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte er statt dessen. ‚Noch ein reiterloses Pferd. Könnt ihr euch einen Reim darauf bilden?“
„Noch nicht“, erwiderte Nils Larsen. „Aber da scheint etwas oberfaul zu sein.“
„Seht mal!“ stieß Dan plötzlich aus, der sich in den Steigbügeln aufgerichtet hatte. „Da drüben steigt Rauch auf!“ Er deutete nach Osten und tatsächlich: Ein Stück abseits des Weges nach Kungelf waren trotz des nach wie vor fallenden Schnees dünne Schwaden zu erkennen, die in den Himmel stiegen.
Dann fielen zwei Schüsse – und jetzt trieb der Seewolf seine Stute zur Eile an. Er verließ den Weg, ritt einen Hang hinauf, blieb fast im Schnee stecken, schaffte es aber, sich zu befreien und jagte weiter, dem Rauch entgegen. Dan und Nils folgten ihm, so schnell sie konnten, doch es fiel ihnen nicht leicht, denn Hasard war ein ausgezeichneter Reiter.
Hasard wurde von der Stute über eine Anhöhe hinweggetragen, dann durch ein Gehölz, das sich so plötzlich wieder öffnete, wie es begonnen hatte – und dann sah er alles vor sich: den Eingang der Höhle, drei Wolfskadaver, das Feuer im Inneren und die Gestalten von insgesamt vier vermummten Männern, die sich im Freien hinter den Baumstämmen bewegten und mit Musketen auf die Höhle anlegten.
Plötzlich erkannte Hasard auch Stenmarks hellblonden Haarschopf im Eingang der Höhle.
„Stenmark!“ schrie er.
Ein Schuß krachte, einer der Maskierten hatte auf Stenmark gefeuert. Der Schwede zog sich blitzschnell wieder zurück, er schien nicht verletzt zu sein. Hasard ließ sich aus dem Sattel gleiten, zückte seine Pistole, duckte sich in den Schnee und legte auf den Schützen an.
Er drückte ab und traf den Kerl, der an der Schulter verwundet, zur Seite wegsackte. Jetzt waren auch Dan und Nils zur Stelle. Sie hatten ihre Pferde ein Stück zurückgelassen, näherten sich den Maskierten fast lautlos und streckten zwei von ihnen durch Hiebe mit ihren Pistolenkolben nieder. Daß es „ihrem“ Stenmark hier an den Kragen gehen sollte, versetzte sie in Wut. Sie wollten sich auch den vierten Kerl vornehmen, doch der ergriff die Flucht, bevor sie ihn erreichten.
Hasard richtete sich auf. Der Kampf war nur kurz gewesen, weitere Gegner schienen sich nicht in der Nähe zu befinden. Er trat auf die Höhle zu und sagte: „Sten,