Aber die Seewölfe hatten sich nicht nur im Hinblick auf ihr Schiff und die Schlagkraft seiner Geschütze vergrößert, sondern auch die Crew war um etliche Köpfe angewachsen. So hatte man bereits im Mittelmeer Jack Finnegan, Paddy Rogers und Roger Brighton aufgefischt. In Plymouth hatte der Seewolf Mac Pellew an Bord genommen, nachdem er ihn aus dem Schuldturm geholt hatte. Mac war wegen der betrügerischen Machenschaften eines Zinswucherers dort gelandet. Und schließlich hatte Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, noch Nils Larsen, Jan Ranse und Piet Straaten aus der Crew Jean Ribaults übernommen. Alles in allem waren die Seewölfe, die als Korsaren der englischen Königin Elisabeth I. die Weltmeere befuhren, noch schlagkräftiger geworden, als sie ohnehin schon waren.
Nach wie vor hielt die für ihre Fairneß bekannte Crew wie Pech und Schwefel zusammen. Und jetzt, da sich die Männer auf der neuen „Isabella“ befanden, waren auch die wehmütigen Gedanken an die alte „Isabella VIII.“ seltener geworden, die im Wüstensand im fernen Ägypten ein trockenes Grab gefunden hatte.
Seit diesem Schlag, der die Crew samt ihrem Kapitän, Philip Hasard Killigrew, hart getroffen hatte, war einige Zeit vergangen. Und in dieser Zeit hatte sich viel ereignet.
Nach Durchführung des von Easton Terry verratenen Geheimauftrages der Königin, der die Seewölfe an die Küste der Bretagne geführt hatte, und nach einem erneuten Zwischenaufenthalt in Plymouth, während dem der Stapellauf der neuen „Isabella“ erfolgte, hatte man sich von den Wikingern und ihrem Schwarzen Segler getrennt und war nach Norden aufgebrochen. Und damit waren die Seewölfe wieder mit einem geheimen Auftrag der königlichen Lissy unterwegs.
Diesmal sollten sie prüfen, ob es nicht ratsam sei, den bisherigen Handel Englands mit den Ostseeanliegern allein und unter Ausschluß der Hanse zu betreiben. Es sollten neue Möglichkeiten gefunden werden, Pelzwerk, Bernstein und Holz aus den Ostseeländern zu beziehen, und dazu mußten zunächst einmal neue Handelsbeziehungen angeknüpft werden.
Bisher hatte sich das Unternehmen als ein Weg ins Ungewisse erwiesen, als eine Reise voller Gefahren und Hindernisse. Unter anderem war den Seewölfen auch noch die sogenannte „Friesenfalle“ in Erinnerung, die ihnen beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Es handelte sich dabei um eine raffiniert konstruierte Schiffsfalle der auf Norderney und Baltrum lebenden Sippen der verfeindeten Brüder Groot-Jehan und Lütt-Jehan. Auch die Ereignisse, die sich in Schweden in Verbindung mit dem Landgang ihres Crew-Mitgliedes Stenmark zugetragen hatten, würden die Männer so schnell nicht vergessen. Nun aber galt es, sich erneut auf das eigentliche Ziel des Unternehmens zu konzentrieren.
An Bord der „Isabella IX.“ ging alles seinen gewohnten Gang. Die Männer, die gerade Freiwache hatten, hielten sich der Februarkälte wegen im Mannschaftslogis auf. Sir John, der bunte Ara-Papagei, und Arwenack, der Bordschimpanse, leisteten ihnen dabei Gesellschaft, denn auch sie hielten nicht allzu viel von dem rauhen nordischen Klima.
Der übrige Teil der Crew war auf Stationen, und jeder von ihnen wußte, wo sein Platz war. Die Seewölfe, die dem Teufel schon mehr als zwei Ohren abgesegelt und schon so manchen Sturm zusammen abgewettert hatten, waren perfekt aufeinander eingespielt.
Und wenn Edwin Carberry, der Profos mit dem zernarbten Gesicht und dem gewaltigen Rammkinn, trotzdem durch lautstarkes Gebrüll und seine deftigen Flüche für Leben an Bord sorgte, dann wußte jeder, wie das gemeint war. Es gehörte ganz einfach dazu. Der Profos, der im Grunde genommen ein butterweiches Herz hatte, brauchte das – und die anderen eigentlich auch.
Pete Ballie, der kleine, aber stämmige Rudergänger, ließ auf dem Achterdeck das fortschrittliche Steuerrad, das bei den Seewölfen längst den Kolderstock abgelöst hatte, durch die mächtigen Fäuste gleiten.
Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann werkte in der Zimmermannslast, und Batuti, der herkulische Gambia-Neger aus dem Stamme der Mandingo, ging ihm dabei zur Hand. Er war von Kindheit an Sonne und Hitze gewohnt, deshalb ging er der nordischen Kälte, wo immer es ging, aus dem Weg.
Will Thorne hatte in der Segellast zu tun. Er hatte bereits viele Jahre auf dem Buckel und fiel besonders durch seine grauen Haare auf. Die neue „Isabella“ bot auch ihm ein umfangreiches Betätigungsfeld, und gerade heute gab es mit Roger Brighton, der wegen seiner hervorragenden Kenntnisse im Seilschlagen und Aufriggen als Takelmeister fungierte, einiges zu besprechen.
Philip Hasard Killigrew hielt sich zusammen mit Ben Brighton, seinem Stellvertreter und Ersten Offizier, und Nils Larsen auf dem Achterdeck auf. Das markante Gesicht des schwarzhaarigen und mehr als sechs Fuß großen Mannes wirkte nachdenklich. Seine eisblauen Augen überblickten prüfend die Wasserfläche.
„Wir haben den Sundeingang zu einem ungünstigen Zeitpunkt erreicht“, sagte er. „Die Dunkelheit wird bald hereinbrechen.“
Der ruhige und stets besonnene Ben Brighton nickte.
„Wir sollten uns überlegen, ob wir heute überhaupt noch weitersegeln wollen.“
„Ich würde es nicht tun“, sagte Nils Larsen. Der breitschultrige, blonde Däne kannte die Gegend.
„Und warum nicht?“ fragte Ben Brighton.
„Dafür gibt es verschiedene Gründe“, fuhr Nils Larsen fort. „Der Wind weht aus südlichen Richtungen und das bedeutet, daß wir durch den Sund kreuzen müßten. Das aber ist bei Nacht noch wesentlich gefährlicher als bei Tage. Es gibt einige sehr enge und auch flache Stellen im Sund, die uns schnell gefährlich werden könnten. An seiner engsten Stelle, zwischen Helsingör und Hälsingborg, wo übrigens auch das Schloß Kronborg liegt, ist der Sund nur zwei Seemeilen breit. Hinzu kommt noch die Strömung, die bei den derzeitigen Windverhältnissen gegenansteht. Ich würde es nicht riskieren.“
„Nils hat recht“, sagte der Seewolf. „Da wir sowieso keine Eile haben, sollten wir keine unnötigen Risiken eingehen. Schließlich fühlen wir uns alle wohl auf unserer neuen ‚Isabella‘, so daß bestimmt niemand ein Interesse daran hat, sie in einem engen und unbekannten Fahrwasser auf Grund zu setzen. Es wird besser sein, wenn wir südlich von Höganäs unter der Küste vor Anker gehen, um den morgigen Tag abzuwarten.“
„Dazu würde ich auch raten“, erklärte der blonde Däne. „Vielleicht haben wir morgen günstigere Windverhältnisse. Der Strom setzt zwar meist nordwärts durch den Sund, aber wenn der Wind drehen sollte, könnten wir auch mit einer Versetzung nach Süden rechnen.“
Auch Ben Brighton ließ sich von den Argumenten Nils Larsens überzeugen.
„Bist du dir schon darüber im klaren, welchen Handelshafen du zuerst anlaufen willst?“ fragte er Hasard.
Dieser schüttelte etwas unschlüssig den Kopf.
„Ganz genau weiß ich das noch nicht“, antwortete er. „Ich denke jedoch an Wisby auf Gotland. Von dort aus könnten wir Stockholm anliegen und noch weiter in den Finnenbusen eindringen – bis nach Reval und Narwa. Dann könnten wir an der deutschen Ostseeküste entlang zurücksegeln. Ich denke, daß wir uns darüber geeinigt haben werden, wenn wir den fünfundachtzig Seemeilen langen Öresund hinter uns gebracht haben.“
Ben Brighton nickte zufrieden, während der Seewolf Nils Larsen einen fragenden Blick zuwarf. Der Kapitän der „Isabella“ wußte, daß man sich auf den Dänen verlassen konnte, denn er kannte wie kein anderer diese Gegend. Bereits nachdem sie von Göteborg weggesegelt waren, hatte sich Hasard mit Nils Larsen darüber beraten, welchen Weg sie durch das Kattegat in die Ostsee nehmen sollten – den Großen Belt oder den Öresund. Larsen hatte den kürzeren Weg durch den Öresund empfohlen, aber gleichzeitig auf die Engpässe hingewiesen.
Der stets gutgelaunte, blauäugige Mann schien die Vorstellungen des Kapitäns hinsichtlich des weiteren Fahrtverlaufes ebenfalls nicht schlecht zu finden. Auch er nickte zustimmend, während er sich nach Edwin Carberry umdrehte, der gerade vom Quarterdeck zum Achterdeck aufenterte.
„Die Route ist nicht schlecht“, sagte Larsen dann nach