Seewölfe Paket 16. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397747
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wie die ihres Mannes. Aber sonst unterschied ihn so manches von Onno, nicht nur die strohblonden Haare, die er lang trug und nicht stoppelkurz wie jener, sondern vor allen Dingen das, was in seinem Kopf geschah, wenn er zu denken begann, und auch alles andere, was er als echter Kerl von Norderney vorzuweisen hatte.

      Er war der bedeutendste und reichste Mann der Insel, der Kopf der Sippe, die hier das Wort führte. Es erfüllte Herma mit Stolz, daß er schon seit einiger Zeit ein Auge auf sie geworfen hatte. Sie hatte alles darangesetzt, ihn zu sich ins Haus zu locken, und er hatte sich nicht zweimal bitten lassen.

      Jetzt war er da und bemühte sich um sie, wie es Onno nur höchst selten tat. Eine Woge der Wonne durchlief sie. Am liebsten hätte sie vor Glück laut aufgeschrien, aber sie bezwang sich, denn sie befürchtete, daß man es in den anderen Häusern trotz des Sturmwindes vernehmen könnte.

      Plötzlich hielten sie inne, denn sie hatten beide das Rumoren an der Haustür gehört. Herma richtete sich halb auf.

      Der Mann wollte sie auf das Bett zurückdrücken, doch sie hob in einer beschwörenden Geste die rechte Hand und raunte ihm zu: „Das kann nur Onno sein. Gleich ist er hier und – mein Gott, Groot-Jehan, er darf uns nicht zusammen erwischen.“

      Lüder Groot-Jehan lachte leise. „Hab doch nicht solche Angst. Vielleicht ist er viel zu besoffen, um noch klar etwas zu erkennen. Ich verstekke mich hier im Zimmer, und wenn er eingeschlafen ist, machen wir weiter.“

      „Nein, Groot-Jehan! Das – das kann ich ihm nun doch nicht antun!“ stieß sie entsetzt hervor. „Das ist nicht recht!“

      „Ach? Meinst du das wirklich im Ernst?“ fragte er spöttisch. „Ja. Alles hat seine Grenzen.“ Sie stand auf und wollte zur Tür eilen, besann sich aber gerade noch rechtzeitig genug ihres Zustandes.

      Während sie in aller Eile ihre Kleidungsstücke zusammenraffte, trat Lüder Groot-Jehan hinter sie, griff nach ihren Schultern, beugte sich über sie und küßte ihren Hals.

      „Ich bin verrückt nach dir“, sagte er leise.

      „Ich doch auch“, flüsterte sie und stöhnte verhalten auf.

      „Zum Teufel mit Onno.“

      „Sag das nicht. Er gehört doch – zu uns“, wisperte sie, und das schlechte Gewissen begann immer stärker bei ihr zu pochen. „Geh jetzt. Ich flehe dich an – geh!“

      „Na gut“, brummte Groot-Jehan. „Ich achte deine Gefühle.“ Auch er begann sich hastig anzuziehen, während an der Vorderseite des Hauses Schuhe hart gegen die Bohlen schlugen und Onno vor sich hin fluchte.

      Groot-Jehan küßte die Frau noch einmal, dann raunte er ihr zu: „Aber ich komme wieder, verlaß dich drauf. Noch heute nacht.“

      „Nein! Onno bringt dich um!“

      „Ach, Unsinn.“ Groot-Jehan lächelte wieder. Er hatte ein markantes, wettergegerbtes Gesicht, in dem blaugraue Augen funkelten. „Du weißt doch schon, was geschehen ist. Die Sippe und das Dorf müssen zusammenhalten – darum geht es mir. Verstehst du jetzt?“

      „Ja“, hauchte sie.

      Dann entließ sie ihn durch eins der hinteren Fenster, und er tauchte unbemerkt in der Nacht unter. Herma verließ das Schlafzimmer und ging zur Tür.

      Genau in diesem Augenblick hatte Onno seinen Kampf gegen die Tücke des Objekts gewonnen und stieß die Tür auf. Polternden Schrittes trat er in den Wohnraum, blieb bei ihrem Anblick stehen und sagte leicht lallend: „Korn, Herma!“

      „Korn?“ wiederholte sie verwundert und musterte ihn von oben bis unten. „Hast du nicht schon genug getrunken? Weißt du, wie spät es ist? Ich habe schon geschlafen. Du hast mich aus dem Bett geschreckt.“

      Er brummelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang, dann ließ er sich auf einen der Stühle an dem klobigen Eichenholztisch sinken. Herma holte nun doch lieber die Flasche mit dem Korn und füllte einen Becher bis zur Hälfte mit dem leicht süßlich riechenden Schnaps.

      Onno seufzte, hob den Becher an den Mund und trank ihn in einem Zug aus.

      „Nun rede doch endlich“, sagte sie. „Du bist ja ganz durcheinander. Was ist geschehen? Ich sehe dir an, daß was passiert ist. Hat es eine Schlägerei gegeben? In der Kneipe? Müßt ihr euch immer prügeln?“

      Onno schüttelte wie ein benommener Stier sein Haupt. „Nee. Aber es geht wieder los.“

      „Was geht wieder los?“

      „Klusmeier hängt bei Groot-Jehans am Tor und ist mausetot. Ich hab ihn eben gesehen.“ Großzügig goß sich Onno noch einen Schluck Korn ein. „Keine Angst, ich habe ihn da hängen lassen.“

      „Der arme Klusmeier“, sagte Herman entsetzt. Eigentlich wußte sie ja bereits alles durch Lüder Groot-Jehan, doch die Art, wie Onno ihr die Angelegenheit vortrug, weckte ihre Bestürzung von neuem, so daß nichts an ihrem Gesichtsausdruck geheuchelt war. „Er war doch Groot-Jehans bester und treuester Knecht. Mein Gott! Das waren sicher wieder die Lütt-Jehans. Können die uns denn nie in Ruhe lassen?“

      „Weiß ich nicht“, brummte Onno und nahm wieder den Becher an die Lippen. Er wurde jetzt redseliger und erzählte auch den Rest – daß er einen halben Groschen gewonnen hätte und daß es Sturm geben würde. Danach sprach er aber gleich wieder von dem Toten und erklärte noch einmal: „Es geht wieder los. Mit Mord und Totschlag. Junge, Junge.“

      „Das ist doch noch gar nicht erwiesen“, sagte Herma leise. „Vielleicht gibt es doch wieder einmal eine Einigung zwischen Norderney und Baltrum.“

      „Und wenn’s Krieg gibt?“ fragte Onno mit finsterer Miene.

      Er sah jetzt schon deutlich vor sich, wie sich die Bewohner beider Inseln gegenseitig auslöschten, wie nichts von ihnen und ihren Dörfern übrigblieb. Der Korn heizte seine Phantasie an, und er nahm noch einen Schluck zu sich. Es ist das Ende, dachte er, aber wenn die Lütt-Jehans am Strand landen, hauen wir auf sie ein, bis das ganze Stroh aus ihren verdammten Körpern rausfliegt.

      Die Friesen auf Norderney und Baltrum ernährten sich vom Fischfang und von der Jagd. Im Winter hockten sie oft tagelang in ihren gut getarnten Unterständen am Strand und warteten auf Graugänse und Enten, die sie mit ihren Flinten vom Himmel holten. Sie sammelten auch gern Möweneier aus den Nestern der Strandhaferfelder, um sie in ihren Steinöfen zu backen, und verminderten auf diese Weise den Vogelbestand, was sie aber nicht weiter beeindruckte.

      Eine weitere Existenzquelle war den Friesen die Piraterie und die Strandräuberei, die sie eifrig betrieben. Auf Norderney lebte die Sippe der Groot-Jehans, die gut achtzig Prozent der Bevölkerung stellte. Männer wie Onno Osten und seine Frau Herma galten als „Auswärtige“, weil sie von einer Nachbarinsel übergesiedelt waren. Doch die große Familie behandelte alle Dörfler ebenbürtig.

      Auf Baltrum herrschte die Sippe der Lütt-Jehans und bildete ein Inselvölkchen von Brüdern und Schwestern, Vettern und Basen, Onkeln und Tanten, Groß- und Urgroßeltern, Neffen und Nichten, Enkeln und Urenkeln. Dort gab es nur ganz wenige „Zugewanderte“, die man an den zehn Fingern aufzählen konnte.

      Beide Sippen waren verfeindet, und zwar schon seit Jahren, denn ein Lütt-Jehan hatte einen aus der Groot-Jehan-Sippe umgebracht, und später hatte es einen Vergeltungsanschlag gegeben, dem dann eine Reihe mysteriöser Todesfälle auf beiden Seiten folgte.

      Hartnäckig hielt man an dieser Art der Blutrache fest. Wenn eine Sippe eins ihrer Mitglieder verlor, wurde der Tote von seinen eigenen Angehörigen ans Haus gehängt, denn dies galt als Mahnung an die Familie, daß noch eine Rechnung offen sei, die beglichen werden müsse. Mit anderen Worten, der Tote blieb solange hängen, bis die Sippe einen Angehörigen der Gegenseite erwischte und ihn umbrachte.

      Endlos setzte sich diese Reihe von Anschlägen und Morden fort, und vielleicht hätten sich die Sippen auf diese Weise längst gegenseitig aufgerieben, wenn nicht hin und wieder etwas Erstaunliches eingetreten wäre.

      Ging es um die Seeräuberei, dann wurden die Groot-Jehans