„Die Frage brauchen wir uns jetzt nicht zu stellen, Donegal“, sagte Nils. „Ich sehe die Lage im übrigen nicht so schwarz wie du. Meiner Ansicht nach sind es die Dons, die da was auf die Jacke kriegen, nicht unsere Leute.“
„Hoffentlich behältst du recht“, brummte der Alte, dann vertiefte er sich wieder in seine Beobachtungen. Voraus, im Süden, knallte, blitzte und donnerte es fast unausgesetzt, und es war nicht zu überhören, daß große Schiffsgeschütze mit im Spiel waren. Aber die Schreie – da mochte Nils recht haben – schienen nicht von den Verteidigern der Insel ausgestoßen zu werden.
Dennoch blieb die Ungewißheit. Was ging auf der Insel vor, wie war das Kräfteverhältnis verteilt, was taten die Spanier? Konnten Karl von Hutten, Arkana, Ramsgate, Pater David, die Leute der Werft und die Schlangen-Krieger sich halten?
Ähnliche Überlegungen wurden an Bord der „Wappen von Kolberg“ angestellt, die unter dem Kommando von Renke Eggens stand. Niemand wagte, seine Meinung vorbehaltlos zu äußern. Alle hatten Angst, der Gegner könne bereits auf der Insel gelandet sein.
„Elende Hunde“, sagte Old O’Flynn kurze Zeit darauf, als beide Schiffe sich anschickten, die Schlangen-Insel an der Ostseite zu umrunden. „Wer weiß, wie lange sie schon da sind und unsere Freunde mit ihren Kugeln bepflastern.“
„Da scheinen aber auch Höllenflaschen zu fliegen“, sagte Hasard junior. „Ich hab’s ganz deutlich gehört.“
Der Alte kratzte sich am Kinn und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er konnte es einfach nicht mehr erwarten, direkt mit dem Feind konfrontiert zu werden. Unklare Verhältnisse und die Unfähigkeit, einzugreifen und auf eine Situation einzuwirken, waren für ihn mit das Schlimmste, was es gab.
Etwas später änderte sich die Lage jedoch. Die „Empress“ und die „Wappen“, umrundeten die Insel im Südosten und hatten den Verband der Spanier plötzlich vor sich. Die „Empress“ führte – die „Wappen“ lief in ihrem Kielwasser. Die Zwillinge hatten sich unterdessen auf das Vordeck der „Empress“ begeben und hielten erneut Ausguck.
„Es sind vier Schiffe“, meldete Philip junior dann plötzlich leise.
„Was?“ murmelte der Alte. „Nur vier? Wo, zur Hölle, sind die anderen?“
„Boote bewegen sich auf die Schiffe zu“, raunte Philip, der sich umgedreht hatte und wieder nach achtern ging. „Da scheint ein Landemanöver stattgefunden zu haben, aber es ist mißglückt.“
„Woher willst du das so genau wissen, du Schlauberger?“ zischte Old O’Flynn.
„Die Schiffe – zwei Galeonen und zwei Karavellen – sind angeknackst, da scheinen eben die letzten Feuer gelöscht zu werden. Auch die Boote sind ramponiert.“
„Dann los“, sagte der Alte grimmig. „Mal sehen, ob wir sie noch ein bißchen mehr knacken und schütteln können.“
Längst waren der Dreimaster und die Galeone klar zum Gefecht. Die Männer begaben sich auf ihre Kampfstationen und warteten gespannt das Zeichen zum Einsatz ab. Rasch schrumpfte der Abstand zu den vier spanischen Schiffen jetzt zusammen.
Die „Empress“ und die „Wappen“ luvten an und gingen auf westlichen Kurs, der Wind fiel raumschots ein. Dann hatten sie den Feind unmittelbar vor sich, und Old O’Flynn rief: „Drauf! Ich will die Fetzen fliegen sehen!“
„Klar bei Lunten“, sagte Renke Eggens an Bord der „Wappen“. „Es geht los.“
Nur eine Schaluppe und zwei Jollen hatten das Inferno der Abwehr überstanden. Sie glitten auf die „San José“ und die drei anderen Schiffe des Kriegsverbandes zu. Schon trafen die Besatzungen Anstalten, längsseits zu gehen und festzumachen, da tauchten die beiden unheimlichen Angreifer unversehens aus der Dunkelheit auf und waren heran.
Die Nacht der Schrecken war noch nicht vorbei. Ein Alarmruf erklang an Bord der „San José“, aber die Männer, die mit dem Löschen der letzten Schwelbrände und dem Aufklaren an Deck beschäftigt waren, gelangten nicht mehr schnell genug an die Geschütze. Völlig unerwartet erfolgte dieser neue Angriff. Wie gespenstische Schatten schoben sich die „Empress“ und die „Wappen von Kolberg“ neben den Feind, und schon eröffneten sie das Feuer.
Sie strichen an den vier Schiffen entlang, und ihre Kanonen, spuckten Feuer und Eisen. Breitseiten – und nichts war auf den Backbordseiten der vier Spanier auf Abwehr eingestellt. Der Eisenhagel raste über die Decks, schlug in die Seiten und sorgte für Tod und Verderben. Wieder war die Nacht vom Grollen und Donnern der Geschütze erfüllt, vom Schreien der Getroffenen und von den Flüchen derer, die sich hinter den Schanzkleidern in Deckung warfen und im letzten Augenblick den Kugeln entgingen.
Don Garcia Cubera gehörte zu diesen Männern, aber er wünschte sich in diesem Moment, zu sterben. Er war machtlos gegen das, was hier geschah, es gab kein Mittel gegen den neuen, unheimlichen Feind. Und trotz der ursprünglichen Überlegenheit und Stärke des Verbandes hatte es jetzt den Anschein, als sei er dem Gegner regelrecht ausgeliefert. Nie zuvor in seiner Laufbahn als Kommandant und Verbandsführer hatte Cubera etwas Vergleichbares erlebt. Es war das erste Mal, daß er von einem Gegner, der ihm zahlenmäßig und von der Größe her klar unterlegen war, geschlagen wurde.
Ein kleiner Dreimaster und eine Galeone segelten an dem Verband vorbei und entließen ihr Höllenfeuer. Er sah sie, als er kurz den Kopf hob, aber dann mußte er sich erneut in Sicherheit bringen, denn auch die Drehbassen der Schiffe sorgten für erheblichen Schaden.
Dann hörte das Donnern der Kanonen auf, und wie ein Spuk verschwanden die beiden Schiffe wieder in der Dunkelheit. Erst jetzt konnte Cubera sich wieder aufrichten – und er sah die Bescherung in ihrem vollen Ausmaß.
Eine der beiden Karavellen war so schwer getroffen, daß sie zu sinken begann. Ihre Backbordseite war mittschiffs in der Wasserlinie fast in Jollenlänge regelrecht aufgeschlitzt. Drei Kugeln von Siebzehnpfündern waren dort hineingerast, wie mit dem Lineal gezogen. Nicht nur Old O’Flynn und seine kleine Crew, auch die Kolberger, Arne von Manteuffels Stammcrew, verstanden es, zu zielen und zu treffen.
Doch keiner der Spanier erkannte in dieser unheilvollen Nacht in der Galeone die „Wappen von Kolberg“ wieder, das Schiff des deutschen Kaufherrn Arne von Manteuffel. Wäre Don Antonio de Quintanilla an Deck gewesen, dann wäre es vielleicht ihm aufgefallen, daß die Galeone kein Fremder für sie war. Der aber lag nach wie vor in seiner Kammer. Er war inzwischen wieder zu sich gekommen und hatte sich auf der Koje unter einer Decke versteckt. Er glaubte, der Weltuntergang sei nahe, und sein mächtiger Leib wurde von heftigem Schluchzen geschüttelt.
Don Garcia Cubera war wie vor den Kopf geschlagen. Er wankte zur Querbalustrade des Achterdecks und blickte auf die Wuhling hinunter, die wieder auf dem Hauptdeck eingesetzt hatte. Neben ihm waren seine Offiziere, aber der Zweite humpelte. Er hatte eine Schramme am rechten Bein und mußte sich auf den Dritten stützen.
„Profos!“ rief Cubera. „Hat es Tote gegeben?“
„Zwei, Señor!“
„Wie viele Verletzte?“
„Vier!“
„Sofort verarzten! Feuer löschen, die schlimmsten Schäden beheben und Männer an die Geschütze abkommandieren! Wir müssen mit einer Rückkehr des Gegners rechnen!“
„Wer, zum Teufel, war das bloß?“ fragte der Erste. „Ist denn hier alles verhext?“
„Ich glaube langsam auch, daß nicht alles mit rechten Dingen zugeht“, sagte Cubera gepreßt. Er fühlte sich benommen und mußte sich festhalten. Zum erstenmal seit dem Beginn des Unternehmens fühlte er Müdigkeit in sich aufsteigen. In aller Deutlichkeit wurde ihm bewußt, daß er am Ende war – und die Bedrohung durch den Feind wuchs, weil der jetzt zwei Schiffe zu seiner Verfügung hatte, die jederzeit wieder aus der Nacht heraus angreifen konnten.
Doch in diesem Punkt täuschte er sich. Die „Empress“ und die „Wappen“ verholten unter Land. Old O’Flynn