Ernst blickten die am Ufer stehenden Frauen und Männer zu ihnen, und Hasard junior sagte: „Eins ist sicher: das letzte Wort mit den Dons ist noch nicht gesprochen …“
ENDE
1.
Der Sonnenaufgang war wie eine lautlose Explosion von gigantischen Ausmaßen.
In der östlichen Bucht von Grand Turk erlebten Seesoldaten und Seeleute das grandiose Naturschauspiel mit weit aufgerissenen Augen. Doch es war alles andere als Faszination, die sie gepackt hatte. Eher Beklommenheit und fast Entsetzen wurden in ihnen wach, von der Erinnerung geschürt.
Anfänglich nur als glühender Punkt erkennbar, brach der Feuerball der aufgehenden Sonne sehr rasch aus der Kimm hervor. Eine blutrote Urgewalt, die sich mit alles verzehrender Gewalt aus den Fesseln der Nacht befreite und ihr flammendes Licht rasend schnell über die See ausgoß. Die Glut breitete sich mehr und mehr auf der so friedlich scheinenden Weite der Karibischen See aus und erfaßte gleich darauf auch die Bucht, in der die drei Kriegsschiffe vor Anker lagen.
Jene Männer, die auf den oberen Decks genächtigt hatten, waren schon bei der ersten Helligkeit des 27. Juli Anno 1594 wach geworden. Als müßten sie sich erneut vor einem Feuersturm schützen, hoben etliche von ihnen die Hände – abwehrend gegen die grelle Sonnenglut.
Unruhig war ihr Schlaf gewesen, und jähe Angstgefühle packten sie beim Anblick der feurigen Morgenröte. Erst nach und nach, mit zunehmender Wachheit, vermochten sie das Grauen abzuschütteln, das sich wie eine peinigende Tortur in ihrem Unterbewußtsein festgekrallt hatte. Jenes Grauen, das aus dem Feuersturm herrührte, den sie nur mit knapper Not überlebt hatten.
Und wie zum Hohn lastete beißender Brandgeruch in der Bucht, haftete an den Schiffen wie der Gestank von Wundfäule und ließ sich selbst durch den auflandigen Wind nicht fortwischen. Lediglich die Schaluppe – als einzige von ursprünglich sechs einmastigen Aufklärern übriggeblieben – trug geringere Spuren des Infernos, in das Capitán Cuberas Kampfverband geraten war.
Ja, die so unbedeutend und menschenleer scheinende Schlangen-Insel hatte sich als feuerspeiende Festung entpuppt, an der sie sich samt und sonders die Zähne ausgebissen hatten. Schon beim ersten Erkundungsversuch war das Unheil über den Verband hereingebrochen.
In jenem Felsendom, der die natürliche Einfahrt zur Inselbucht bildete, war die Kriegsgaleone „San Gabriel“ in Stücke gerissen worden. Heimtückische Pulverladungen hatten das bewirkt, und der Schreck war ihnen allen in die Knochen gefahren.
Dann, als sie mit allen Rohren auf die Insel gefeuert hatten, war doch kein nennenswerter Erfolg zu erkennen gewesen. Statt dessen waren die getarnten Batterien des Felseneilands plötzlich in Aktion getreten, als sich der Verband zu nahe herangewagt hatte. Brand- und Pulverpfeile der Verteidiger hatten ein übriges getan, und so war es ihnen gelungen, eine weitere Kriegskaravelle zu versenken.
Und schließlich das mißglückte Landeunternehmen in den beiden südlichen Buchten – die schlimmste und schmerzlichste Erinnerung für die Überlebenden auf den drei Kriegsschiffen. Fassungslos hatten sie erkennen müssen, daß sie gegen Indianer kämpften, die mit geradezu teuflischem Geschick die Waffen des weißen Mannes beherrschten.
Unter Wasser gespannte Ketten hatten die als Landungsboote eingesetzten Jollen und Schaluppen aufgehalten. Die Verteidiger hatten Wurfbomben eingesetzt, die dem Verband schwere Verluste zugefügt hatten. Schließlich waren von der nächtlichen See her zwei unbekannte Schiffe aufgetaucht, die eine weitere Kriegskaravelle versenkt hatten.
Angesichts der hohen Verluste und der schweren Schäden, die auf den verbliebenen Schiffen des Verbandes entstanden waren, hatte Capitán Cubera den Befehl zum Rückzug gegeben. Wie getretene Hunde hatten sie sich hierher, in die östliche Bucht von Grand Turk verkrochen, um ihre Wunden zu lecken.
Welche nächste Entscheidung würde der Capitán treffen? Es gab nur wenige Männer, die nicht darauf hofften, daß er sich für den endgültigen Rückzug entschied. Während sich das morgendliche Sonnenlicht nach und nach vom feurigen Rot in strahlende Helligkeit wandelte, waren die meisten Männer von der Sehnsucht nach Havanna erfüllt.
Dort, in der großen Hafenstadt, die ihr Zuhause in der Neuen Welt war, konnten sie sich von dem Grauen erholen. Dort gab es alles, wonach ihr Sinn stand – die Behaglichkeit der kleinen Tabernas, den funkelnden Wein aus der fernen Heimat und die vielen Mädchen mit ihrer freundlichen Bereitwilligkeit.
Von einer Kampfmoral konnte nicht mehr die Rede sein.
Der Morgen begann indessen nach einer kräftigen Mahlzeit mit neuer, harter Arbeit, die für schwermütige Gedanken keinen Platz mehr ließ. Alle unverwundeten Männer wurden eingespannt, während die Feldschere und deren Helfer in den Schiffslazaretten ihre deprimierende Tätigkeit fortsetzten.
Nur die Schwerverwundeten hatten in den Nachtstunden notdürftig versorgt werden können. Bis zum Umfallen hatten die Feldschere gearbeitet. Jetzt, nach einer Mütze voll Schlaf, ging es weiter mit der immer noch unüberschaubaren Zahl jener, die mit durchgebluteten Notverbänden stöhnend in den Unterdecksräumen hockten.
Unter der Aufsicht der Offiziere teilten währenddessen die Schiffszimmerleute ihre Arbeitsgruppen ein. Sowohl auf dem Flaggschiff „San José“ als auch auf der zweiten Kriegsgaleone und der verbliebenen Karavelle waren schwerste Schäden zu beheben. Teile der Außenbeplankungen waren zu erneuern, zersplitterte Stengen, zerfetztes und verbranntes Takelwerk mußten ersetzt und mächtige Lücken, die in den Verschanzungen klafften, geschlossen werden.
Nicht minder schwerwiegend waren die vielen Brandschäden, die den nicht auszulöschenden beißenden Geruch in der Bucht hervorriefen. Bagatellschäden waren in ihrer Zahl noch nicht einmal abzuschätzen.
Sehr bald wurde es in der Bucht lebendig. Mit den wenigen noch intakten Beibooten wurde ein Pendelverkehr von Schiff zu Schiff eingerichtet, damit Werkzeuge und Materialien dort verfügbar waren, wo sie gebraucht wurden. Gebrüllte Befehle übertönten den Lärm von Hammerschlägen und kreischenden Sägen. Von Zeit zu Zeit stachen Schreie aus den Behandlungskammern der Feldschere, wenn den Männern die Schmerzen der Wundbehandlung nicht erspart bleiben konnten.
In der Offiziersmesse der „San José“ trafen sich zur selben Stunde die Kapitäne, ein Teil der Offiziere und die Schaluppen- und Jollenführer, die den Nachtangriff zur Landung auf der Piraten-Insel überstanden hatten.
Don Garcia Cubera empfing die Männer mit ernster Miene. Seine Züge waren wie gemeißelt, als er jedem einzelnen stumm die Hand reichte. Dann forderte er sie auf, an dem langen Tisch Platz zu nehmen. Er selbst ließ sich am Kopfende nieder. Vor ihm lag das aufgeschlagene Logbuch der „San José“, das er schon im Morgengrauen mit den niederschmetternden Eintragungen versehen hatte.
Cubera öffnete einen mit handtellergroßem Kork verschlossenen Steinkrug und griff nach einer der Tonpfeifen, die auf dem Tisch verteilt waren. Sorgfältig stopfte er die Pfeife mit dem gekrüllten Tabak aus dem Krug. Der würzige Duft erinnerte ein wenig an das Aroma von karibischem Rum.
Auf eine Handbewegung des Verbandsführers folgten die Kapitäne und Offiziere seinem Beispiel. Cubera zündete den Tabak in seiner Pfeife mittels der kleinen Flamme einer Öllampe an, und gleich darauf verstärkte sich der aromatische Geruch durch die kleinen weißen Wolken, die der Capitán ausstieß.
„Die Eingeborenen behaupten, der Tabakrauch habe eine beruhigende Wirkung und verhelfe überdies zu einem klaren Kopf“, sagte Cubera mit einem kaum merklichen Lächeln. „Zumindest letzteres sollte uns dabei helfen, unsere Überlegungen anzustellen, Señores.“ Er gab dem Ersten Offizier der „San José“ einen Wink. „Fangen Sie an mit Ihrem Bericht.“
Der Erste nickte bereitwillig, räusperte sich und wartete noch