Cubera hatte die Hände zu Fäusten geballt und fluchte im Schreien der Sterbenden und Verletzten. Das Unheil war nicht mehr aufzuhalten, er selbst hatte keinen Einfluß mehr auf die Geschehnisse. Die eigenen Batterien vermochten den geforderten Feuerschutz für die angreifenden Boote nicht mehr zu geben, alles brach zusammen. Die Brandbekämpfung auf dem eigenen Deck war zum entscheidenden Problem geworden.
Flammen schossen von den Decks der Schiffe hoch und griffen gierig nach Tauwerk und Segeln. Befehle schallten durch die Dunkelheit, die Besatzungen rannten mit Pützen und Kübeln auf und ab, die mit Wasser und Sand gefüllt waren. Mutige Männer enterten in den Wanten auf und entleerten die Pützen in das Feuer, aber es zeigte sich trotzig und widerspenstig und wollte nur schwer wieder verlöschen.
So war es auch an Bord der „San José“: Die Männer liefen durcheinander, holten das Wasser, das in Kübeln bei den Geschützen bereitstand, kippten es aus und fierten die Kübel und die Pützen an Tauen außenbords ab, um neues Seewasser zu schöpfen.
Schwallweise klatschte das Wasser auf die Planken, und die Kuhl verwandelte sich in ein einziges Schlammfeld wegen des Sandes, der wie üblich bei Gefechtsbereitschaft ausgestreut worden war, um den Männern einen sicheren Stand zu gewährleisten.
Aber das Feuer flackerte in der Takelage weiter und verlangte den Männern den größten Einsatz ab. Sie mußten schnell sein, sonst war es um die Segel der Galeone geschehen. Schon fraßen die Flammen hier und da Löcher ins Rigg, und Fallen und Brassen bewegten sich züngelnd wie Feuerschlangen.
Jeder Mann kämpfte gegen das Feuer, alle waren beschäftigt – und es war niemand mehr da, der die Kanonen zünden konnte. Die Geschütze der Schiffe schwiegen, nur am Ufer krachte und donnerte es noch, und die Landetrupps waren dem verheerenden Beschuß des Feindes ausgeliefert.
In ohnmächtiger Wut schloß Don Garcia Cubera die Augen. Dann griff auch er nach einem wassergefüllten Kübel, denn ein Brandpfeil hatte die Luvbesanwanten in Brand gesetzt. Fluchend leerte er den Kübel. Es zischte, und die Flammen erstarben. Aber es war noch nicht vorbei. Brand- und Pulverpfeile rasten auf die „San José“ zu und deckten sie erneut ein.
Wahnsinn, dachte Cubera, eine Handvoll Wilder ist unser Verhängnis. Es war verrückt – und doch war es die Wahrheit. Auch der Plan, die Bewohner der Insel bei Dunkelheit vernichtend zu schlagen, erwies sich als reine Illusion. Cubera wußte, daß er am Ende war, wenn den letzten Schaluppen und Jollen, die noch blieben, nicht der Durchbruch zum Südufer gelang.
Don Antonio de Quintanilla hatte das Bewußtsein wiedererlangt, als der Trompeter das Signal zum Angriff geblasen hatte. Sofort richtete er sich von seiner Koje auf, stöhnte aber und krümmte sich, als er den stechenden Schmerz in seinem verlängerten Rückgrat verspürte.
Das Donnern der Kanonen ließ die „San José“ erzittern. Wieder ein Angriff, dachte Don Antonio, Santa Madre de Dios! Er unternahm einen zweiten Versuch, erhob sich unter Qualen und stolperte zum Schott.
Als das Dröhnen und Krachen zunahm und die Schüsse vom Ufer der Insel erwidert wurden, hieb er mit den Fäusten gegen die Bohlen und schrie: „Aufmachen! Laßt mich hier raus!“
Wohin er wollte, wußte er eigentlich selbst nicht so recht. Auf das Achterdeck auf keinen Fall – dort war alles noch viel schlimmer, wie er am eigenen Leib erfahren hatte. Wohin also? Er wollte sich verkriechen, irgendwo. Eine böse Ahnung sagte ihm, daß eine Kugel ausgerechnet seine Kammer treffen würde. Bei dem Pech, das er in der letzten Zeit gehabt hatte, war es durchaus möglich.
Wieder trommelten seine Fäuste gegen das Schott. „Aufmachen!“
Aber niemand antwortete ihm. Jetzt begriff er endlich – der Wachtposten war für die Dauer des Gefechts abgezogen worden. Kein Bewacher war zur Stelle, niemand, der ihn erhörte, aber auch niemand, der ihn kontrollierte.
In seiner Verzweiflung und Panik faßte er einen tollkühnen, wilden Entschluß. Er wollte versuchen, das Schott zu sprengen. Er wich ein Stück zurück und nahm Anlauf. In diesem Moment dröhnten wieder die Schiffskanonen, und die Decks erzitterten wie unter heftigen Hammerschlägen. Don Antonio verlor die Balance, ruderte noch mit den Armen, vermochte sich aber nicht zu halten. Mit einem hörbaren Krach landete er auf den Planken. Sein spitzer Schrei schien noch das Orgeln der Geschütze zu übertönen. Er hatte sich genau auf sein Hinterteil gesetzt.
Schwerfällig erhob er sich wieder, fluchte und nahm Anlauf auf das Schott. Er warf sich mit der Schulter dagegen. Das Schott bebte nur ein bißchen, rührte sich aber um keinen Zoll vom Fleck. Don Antonio hingegen schrie wieder, denn seine Schulter schmerzte, als sei ein Knochen gebrochen.
Er war eben zartbesaitet und hatte sich sein Leben lang nur geschont. Keine körperliche Ertüchtigung – das hatte jetzt seine Folgen. Er war weder an Schmerzen noch an das harte Leben auf einem Kriegsschiff gewöhnt. Es war der größte Fehler seines Lebens gewesen, sich an Bord der „San José“ zu begeben, und er mußte teuer dafür bezahlen.
Er ließ sich auf seine Koje sinken und barg das Gesicht in den Händen. Draußen krachte es immer noch, aber die Schiffskanonen waren jetzt verstummt. Dafür trappelten über ihm die Schritte der Männer auf und ab, und heisere Rufe wurden ausgestoßen.
„Feuer im Schiff!“ Soviel vermochte er herauszuhören. Wieder war er entsetzt und von panischem Schrecken ergriffen. Feuer? War dies das Ende? In seiner Kammer saß er in der Falle, in einem tödlichen Gefängnis. Was war, wenn die Flammen von dem Schiff Besitz ergriffen und das Achterkastell umzingelten? War es dann endgültig um ihn geschehen?
Er brüllte und tobte, jammerte und weinte, aber es nutzte alles nichts: Keiner hörte ihn. Oder es wollte ihn keiner hören. Er, Don Antonio, sollte von ihnen aus ruhig bei lebendigem Leibe verbrennen, sie gönnten es ihm sogar, denn sie haßten ihn.
Sein grenzenloses Selbstmitleid und die Angst drohten ihn zu ersticken. Er war nicht mehr in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wurde es nicht schon heiß um ihn herum? War da nicht das Knistern und Knacken des Feuers – im Gang, vor dem Schott?
Er stand wieder auf und torkelte zum Schott. Er schien sich getäuscht zu haben, doch Brandgeruch stieg ihm tatsächlich in die Nase. Also war das Feuer nicht fern – und die Aufregung der Männer an Oberdeck schien zu beweisen, daß sie es immer noch nicht in der Gewalt hatten.
„Feuer!“ schrie Don Antonio. „Gerechter Himmel, steh mir bei!“
Er hatte sonst nie gebetet, zumal er sich in Havanna in seiner maßlosen Selbstüberschätzung und Arroganz als gottähnlich eingestuft hatte. Jetzt aber war sein Selbstbewußtsein zerstört, und er klammerte sich in seiner Angst und Not an den letzten Halt, den es für ihn gab. Er rang die Hände und stieß jammernde, flehende Laute aus.
Etwas bohrte sich mit pochendem Laut in die Außenhaut des Flaggschiffes. Ein Pfeil, dachte Don Antonio noch in jähem Entsetzen – dann zerriß eine Explosion die Planken, denn es hatte sich um einen Pulverpfeil gehandelt.
Don Antonio stieß einen schrillen, kreischenden Laut aus und warf sich zu Boden. Er kroch zitternd unter den Tisch und war sicher, jetzt sterben zu müssen.
Aber die Explosion hatte die Planken der „San José“ nicht aufreißen können, dafür war die Ladung denn doch zu gering. Kein Loch klaffte in der Außenhaut, nur Don Antonio bildete es sich ein. Er glaubte, das Wasser rauschen zu hören, das hereinströmte, dann sah er die „San José“ als brennendes Wrack sinken und sich selbst wie eine hilflose Ratte ertrinken und verbrennen.
Die Vorstellung genügte – er wurde wieder einmal ohnmächtig. Wie