"War Wolfgang einmal mit Erika befreundet?", fragte ich.
"Nein", sagte er.
Mir fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen.
"Aber Sie hatten was mit dem Mädchen..."
Er grinste schmutzig. "Sicher", sagte er. "In gewisser Weise war ich schon immer der ungekrönte König dieses Viertels. Ich bin der Mann, der einen Laden und ein paar Häuser besitzt. Ich entscheide über Kredite und verleihe Geld, ich übe Macht aus. Glauben Sie mir, Herr Raboi: Einer wie ich hatte es leicht, auch Frauen zu erobern. Das galt auch für die hübsche Erika..."
"War das vor Michael Krawulkes Zeit?"
"Oh ja. Erika war fast noch ein Kind, als ich sie zu meiner kurzfristigen Geliebten machte. Ich entdeckte rasch, wie klug, ja, richtig intelligent war sie... Formbar wie eine Knetmasse. Das machte ich mir zunutze."
"Ich weiß", sagte ich. "Sie erhoben Erika zu einer Mitarbeiterin in Ihrer Menschenschmuggel-Organisation. Es ist gewiss nicht einfach, jemand ungesehen außer Landes zu bringen. Bis der entsprechende Transport sichergestellt war, brachten Sie gewisse Spitzenleute bei Erika unter. Der Boiler in Erikas Badezimmer wurde vermutlich nur selten benutzt, aber diente ganz offenkundig dem Zweck, im Notfall ein besonders gutes Versteck zu bieten."
"Weiter", sagte er grimmig. "Ich bewundere Ihre Kombinationsgabe."
"Die sollten Sie eher fürchten", sagte ich.
"Ich habe Sie vor meiner Kanone", höhnte er. "Diese letzte Runde geht an mich."
"Die letzte Runde hat erst begonnen", stellte ich klar.
"Sie sollten den Gong abwarten."
"Den Gong halte ich in meiner Hand", spottete er.
"Sie schulden mir noch ein paar Erklärungen."
"Ich schulde Ihnen gar nichts. Nichts außer etwas Blei."
"Langsam, langsam. Ich laufe Ihnen nicht davon. Bleiben wir beim Thema. Wie viele Leute haben Sie schon außer Landes bringen lassen?"
"Was sagt Ihnen schon eine Ziffer? Hier ging es niemals um Quantität, sondern immer um Qualität."
"Das kann ich mir denken", sagte ich, "aber Sie werden nicht oft Leute von Frank Steinfurts Bedeutung auf Ihre Transportliste gesetzt haben."
"Ach, wissen Sie", sagte er, "über Bedeutung und Nichtbedeutung habe ich mir selten den Kopf zerbrochen. Mir genügte es, für einen reibungslosen, organisatorischen Ablauf zu sorgen."
"Dabei unterlief Ihnen eine gravierende Panne", stellte ich fest.
"Ja", gab er zu. "Aber ich konnte einfach nicht voraussehen, dass Erika sich in Steinfurt verlieben würde..."
"Damit geriet plötzlich alles ins Wanken", vermutete ich.
"Die beiden wollten heiraten und im Lande bleiben. Das machte Ihnen einen Strich durch die Rechnung..."
"Erraten", sagte er. "Private Gefühle haben in meiner Organisation keinen Platz."
"Also ließen Sie Erika abservieren."
"Richtig. Franky Steinfurt gegenüber mussten wir natürlich den Schein wahren. Er darf nicht herausbekommen, dass wir das Mädchen erledigt haben, aber er fängt an, sich Gedanken über das Motiv zu machen. Er weigert sich, das Land zu verlassen."
"Weshalb war oder ist Franky Steinfurt bereit, sein Land zu verraten?"
"Er ist einer von diesen dusseligen Idealisten, nehme ich an", höhnte Weissner. "Er glaubt, dem Weltfrieden am besten zu dienen, wenn er sein Wissen auch den Gegnern dieses Landes zur Verfügung stellt. Und das Vorhaben, an dem er mitarbeitete, würde gewiss nicht dazu dienen, den Weltfrieden zu bewahren. Das Flugzeug, das in aller Heimlichkeit entwickelt wird, kann große Entfernungen überwinden und wird mit Waffen ausgestattet sein, die alles bisherige in den Schatten stellen. Vielleicht bekommen Sie so eine Ahnung um die Größe des Geschäftes, um das es hier geht."
"Wer hat ihn dazu gebracht, diesen Weg einzuschlagen?", wollte ich wissen.
"Das ist nicht meine Sache."
"Verstehe. Ihre Aufgabe bestand und besteht lediglich darin, Agenten ungesehen aus oder in das Land zu bringen."
"So könnte man es erklären", sagte Eimer zufrieden. Er wirkte gelockerter, weniger gespannt, aber das bedeutete nicht, dass seine Konzentration nachgelassen hatte. Sein Finger lag immer noch am Druckpunkt, und die Revolvermündung, die auf mein Herz zielte, hatte nichts von ihrer stummen Drohung verloren.
"Für welches Land arbeiten Sie?"
"Nicht für ein Land", sagte er. "Für eine Organisation. Ich leite den Stützpunkt Berlin."
"Wie kommt es, dass Sie sich dafür keine Hafenstadt ausgesucht haben?"
"Weil die Hafenstädte zu sehr überwacht werden", sagte Weissner.
"Erika musste wohl noch aus einem anderen Grund sterben", erklärte ich.
"Sie wollten damit Michael Krawulkes Leute warnen, die, wie ich annehme, eine ganze Menge von Ihrem Geschäft wussten oder ahnten..."
"Ach, wissen Sie — auf Michael ist Verlass. Der steht bei mir in der Kreide, der kann es sich nicht leisten, gegen mich Front zu machen. Das gleiche gilt für seine Freunde."
"Sie haben Michael und seine Freunde fast mit väterlicher Güte behandelt", spottete ich. "Wenn einer Ihrer Agenten und Verräter das Land verließ und nicht alles mitnehmen konnte, schenkten Sie die zurückgebliebenen Sachen großzügig weg. Michael Krawulke zum Beispiel erhielt die Anzüge dieser Männer. Nicht alle davon passten ihm sonderlich gut, aber das hielt ihn nicht davon ab, sie in seinen Kleiderschrank zu hängen und sich wie ein wohlhabender Mann zu fühlen. Und irgendwann kann man das Zeug ja noch gut auf einem der zahlreichen Schwarzmärkte verkaufen. Schließlich brechen die Leute ja schon tagsüber in die Wohnungen ein und erbeuten kaum mehr als ein paar solcher Anzüge."
"Ich hätte das Zeug verbrennen sollen", murmelte Eimer. "In Zukunft werde ich noch vorsichtiger sein müssen. Geben Sie endlich zu, Wolfgang ausgetrickst zu haben! Sie haben ihn erschossen, nicht wahr?"
"Nein."
"Ein anderer kommt für die Tat nicht in Betracht..."
"Das", sagte ich langsam, "war auch die Erwägung des Mörders. Er schoss, weil er glaubte, dass Krauses Tod mir angekreidet werden würde."
Ich sah, wie es in Weissner arbeitete. Seine Lippen bewegten sich, aber er äußerte kein Wort.
"Denken Sie doch einmal nach", höhnte ich. "Es gibt ein paar Leute, die sich geschworen haben, Erikas Tod zu rächen. Franky Steinfurt zum Beispiel. Oder Ernst, Erikas Bruder..."
"Ernst? Das ist ein Schlappschwanz! Der kommt für so etwas nicht in Frage", erklärte Weissner.
"Sie unterschätzen die sogenannten Schlappschwänze. Jeder von ihnen muss sich einmal im Leben beweisen, dass er über seinen Schatten springen kann."
"Nein", murmelte er. "Es war Franky. Dieser Scheiß-Franky!"
"Ihr Pech, was?", höhnte ich. "Sie können ihn dafür nicht bestrafen. Franky Steinfurt ist für Ihre Auftraggeber von höchster Wichtigkeit."
"Stimmt. Wir brauchen ihn. Aber auch er bekommt seine Strafe", sagte Weissner. "Diesen Mord an Wolfgang lasse ich ihm nicht durchgehen."
"Was haben Sie vor?", fragte ich. "Was wollen Sie mit Steinfurt anstellen?"
Weissner zuckte mit den Schultern. "Steinfurt glaubt immer noch, er könnte hierbleiben. Im Lande. Aber das erlaube ich ihm nicht."
"Wollen Sie ihn entführen lassen?"
"Steinfurt war mit seiner Ausreise einverstanden, vergessen Sie das nicht.