"Ich bin nicht käuflich."
"Hier irren Sie sich. Jedes Menschenleben hat einen gewissen Preis. Bei einer Kriminalbeamtin wie Ihnen würde ich meinen, dass man bereit ist, mindestens eine das Doppelte auszuspucken. Ohne großes Trara, ohne den üblichen Rummel. Denn dem Polizeipräsidenten kann unmöglich daran gelegen sein, diese Geschichte an die große Glocke zu hängen und damit in der Öffentlichkeit zu verbreiten, dass es Kriminalbeamte gibt, die versuchen, sich an Banden heranzumachen. Und praktisch inkognito, ohne Ausweis, ohne Marke.", sagte Michael Krawulke.
"Welche Geschichte?"
"Nun tun Sie mal nicht so naiv. Noch einmal: Raboi und Sie haben sich hier unter falschem Namen eingeschlichen, um einen Fall zu klären, der Polizeichef Gennat Kopfzerbrechen bereitete. Es ist nicht gerade ein Ruhmesblatt für Sie und Ihre Abteilung, dass wir Sie von Anbeginn an durchschauten und dass es jemand schaffte, Sie zu entführen. Ihrem Chef Gennat muss daran gelegen sein, diese Sache möglichst diskret aus der Welt zu schaffen... Finden Sie nicht auch?"
"Sie irren sich, wenn Sie glauben, dass Gennat nicht den Mut hätte, eine Panne oder einen Fehler seiner Mitarbeiter einzugestehen."
"Oh, da bin ich anderer Meinung", höhnte Michael Krawulke. Er hatte die Waffe sinken lassen, aber seine gespannte, breitbeinige Haltung machte klar, dass er bei der ersten verdächtigen Bewegung imstande sein würde, schnell zu reagieren. "Die neue Polizeidirektion liebt ihr Image. Und Gennat mit seinen neuen Methoden braucht es sogar sehr. Pannen passieren überall, aber bei euch muss man sie vertuschen, damit euer Glorienschein nicht angekratzt wird."
"Warum erzählen Sie mir das?"
"Um Ihnen klarzumachen, dass die Berliner Polizeidirektion zweihunderttausend Reichsmark für Ihr Leben springen lassen muss."
"Mir müssen Sie das nicht klarmachen..."
"Ich weiß. Das erzähle ich Raboi. Oder Ihrem Chef."
"Hören Sie, Krawulke. Ihr Plan ist dumm. Sie haben als einzelner gegen diese Organisation keine Chance."
"Es wird schwer werden, das weiß ich, aber mir bleibt keine Wahl. Ich will nicht schon wieder ins Gefängnis. Ich bin ein bisschen vorbestraft, wissen Sie. Wenn man herausfindet, wie gut ich über Weissners landesverräterische Beziehungen Bescheid wusste, könnte mich das unter ungünstigen Umständen für ein paar Jährchen hinter Gitter bringen. Sie werden verstehen, dass ich davon nichts halte und es vorziehe, mit der Polizei eine Austauschaktion vorzunehmen."
"Nennen Sie die Dinge ruhig beim Namen. Sie wollen die Polizei erpressen."
"Was bleibt mir denn übrig? Vor die Wahl zwischen Verhaftung und dem Gewinn von Zweihunderttausend gestellt, fällt mir die Entscheidung leicht."
"Ich hätte Sie für klüger gehalten."
"Wie klug ich bin, werden Sie und Ihre Kollegen wissen, wenn ich irgendwo mit dem ganzen Zaster untergetaucht bin. Und vergessen Sie nicht: es geht letztlich auch um eine ‚Geheime Reichssache‘. Glauben Sie nicht, dass unser Reichspräsident allergrößten Wert auf Vertuschung legt? Was sollen die Franzosen sagen, wenn bekannt wird, an was Steinfurt gearbeitet hat? Das sind die Zweihunderttausend fast so etwas wie ein Trinkgeld!"
"Das schaffen Sie nicht."
"Sie müssen geradezu beten, das ich es schaffe, denn ohne diese Summe kommen Sie nicht frei."
"Man wird mich finden."
"Wer denn? Und wie denn?", höhnte er. "Man kann nicht die ganze Stadt auf den Kopf stellen. Ein Mann wie Weissner besaß logischerweise ein Dutzend Ausweichquartiere. Dieser Keller gehört dazu. Nicht einmal Wilhelm Krause, Weissners engster Mitarbeiter, dürfte gewusst haben, wie viele Verstecke es gab."
"Aber Sie wissen es... Und was Sie wissen, werden auch andere entdeckt haben."
"Keineswegs", sagte er. "Ich hatte nur das Glück, zu beobachten, wie man Sie und Siegfrieds Leiche aus dem Haus brachte. Ich hielt es für eine gute Idee, Krauses Wagen zu folgen, und beobachtete, wie man Sie hier unterbrachte."
"Was ist mit dem Toten?"
"Der ist Ihnen treu geblieben", spottete Michael Krawulke. "Er liegt in einem Nebenraum."
"Wer hat ihn ermordet?"
"Wilhelm Krause. Siegfried kam auf die unselige Idee, Weissner erpressen zu wollen. Ihr Kollege Raboi weiß Bescheid. Er wird Ihnen eines Tages die volle Story berichten... Immer vorausgesetzt, dass Ihre Behörde zahlt."
"Wie wollen Sie sich mit ihr in Verbindung setzen?", fragte Karla Klausner.
"Telefonisch."
"Haben Sie vor, in Ihre Wohnung zurückzukehren?"
"Ich bin doch nicht verrückt", spottete er. "Der Keller ist groß genug für uns beide."
"Soll das heißen, dass Sie hierzubleiben beabsichtigen?", fragte sie.
"Würde Ihnen das nicht Spaß machen?", höhnte er. "In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine..."
"Hier unten ist immer Nacht."
"Wir können sie mit unseren Einfällen erhellen."
Karla Klausner überlegte. Wenn sie versuchte, auf seinen Ton einzugehen, wenn sie ihm Hoffnungen machte, dass sie bereit sei, sich mit ihm zu arrangieren, konnte es ihr nicht schwerfallen, ihn zu übertölpeln.
Aber schon im nächsten Moment erkannte sie an dem kalten, spöttischen Funkeln in seinen Augen, dass er keineswegs bereit sein würde, in eine Falle zu tappen.
Er spielte nur mit Worten, weil er es genoss, seine Stärke zu zeigen, aber er würde gewiss nicht so leichtsinnig sein, sich ihr zu nähern.
"Haben Sie irgendwelche Wünsche?", fragte er.
"Ich habe Hunger. Und Durst."
"Okay, ich besorge Ihnen etwas", sagte er. "Ich bringe auch Schreibzeug mit. Ich möchte, dass Sie ein paar Worte zu Papier geben, die für Ihre Behörde bestimmt sind. Die zahlt nur, wenn feststeht, dass Sie noch leben."
"Ich hoffe, Sie vergessen das nicht."
"Keine Angst", meinte er grinsend, "ich will kassieren und nicht töten."
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Kollege Frantzen wurde über meinen Einsatz nun doch informiert und von seinem aktuellen Fall abgezogen. Das geschah auf meinen ausdrücklichen Wunsch, nachdem ich mich bei Herrn Fischbein, meinem direkten Chef, gemeldet hatte.