"Was würden Sie sagen, wenn ich mich Ihnen als Frank Steinfurt vorstellte?"
"Ich würde das akzeptieren", sagte er mit verschlossen wirkendem Gesicht. Er hatte sich überraschend schnell von seinem Schrecken erholt.
"Sie schulden mir noch ein paar Erklärungen, Frank", sagte ich gedehnt.
"Ich schulde Ihnen gar nichts...", schnappte er.
"Sie waren dabei, als ich das Ding verpasst bekam. Würden Sie mir bitte sagen, wem ich es verdanke?"
"Als ich sah, dass Sie umkippten, lief ich aus dem Lokal", behauptete er. "Was ist überhaupt passiert?"
"Jemand hat mir eine betäubende Ladung verpasst. Ein Geschoss mit sofort wirkendem Gift. Zum Glück war das Zeug relativ harmlos."
"Ich hörte nur das schussähnliche ,Plopp’", sagte er.
"Sie sahen mich fallen und gingen stiften..."
"So ist es."
"Wie interessant", höhnte ich und stellte mich mit dem Rücken zur Wand. "Ich hätte doch tot sein können, nicht wahr?"
"Sie leben noch", erwiderte er unwirsch.
"Das ist nicht Ihr Verdienst. Wenn Ihre Angaben stimmen, sind Sie getürmt, nachdem der Schuss fiel. Wenn ich tot oder lebensgefährlich verletzt gewesen wäre, hätte Sie das offensichtlich nicht im Geringsten bekümmert."
"Ich habe es gelernt, mich nur noch um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern", versetzte er barsch.
"Wie menschlich, wie überaus sympathisch", höhnte ich. "Ihre eigenen Angelegenheiten! Dazu gehört also auch das Herumschnüffeln in den Sachen eines Toten."
"Waaas?", stieß er hervor und starrte mich an. Sein Gesicht fiel buchstäblich auseinander.
"Wussten Sie das nicht?"
"Nein."
"Sie lügen."
"Warum sollte ich Ihnen etwas vormachen?"
"Sie machen mir schon seit heute Nachmittag etwas vor. Sie sind Frank Steinfurt! Hatte Siegfried den Schlüssel zu Erikas Wohnung von Ihnen bekommen?"
"Ich weiß nicht, wovon Sie reden."
"Es wird allmählich Zeit, dass Sie Farbe bekennen, Frank", sagte ich. "Diesmal schütteln Sie mich nicht ab."
In seinen Augen veränderte sich etwas. Sie wurden kalt und funkelnd. Er hielt immer noch das Messer in der Hand, mit dem er die Matratze aufgeschlitzt hatte.
"Sie werden mich nicht aufhalten", sagte er. "Ich kenne nur noch ein Ziel. Ich will und werde Erikas Mörder finden."
"Warum sagen Sie mir das nicht gleich? Wir können uns zusammentun."
"Ich kenne Sie nicht."
Ich zögerte nur wenige Sekunden, dann offenbarte ich ihm meine Identität. "Robert Raboi, Sonderermittler der Berliner Polizei."
"Können Sie sich legitimieren?"
"Nein — Sie müssen mir im Moment einfach glauben. Ich konnte es mir nicht leisten, meine Mission mit Ausweispapieren zu belasten", sagte ich.
"Sie haben mich gesucht und gefunden", erklärte er, "aber Sie müssen zugeben, dass Sie kaum eine Chance gehabt hätten, wenn ich nicht zurückgekehrt wäre, um Erikas Tod zu rächen."
Ich lächelte matt. "Aber genau damit hatte ich gerechnet", sagte ich.
"Sie haben noch nicht gewonnen", sagte er.
"Weigern Sie sich, eine plausible Erklärung für Ihr Verschwinden zu geben?"
"Ich hatte es satt. Ich konnte diese erdrückende Atmosphäre einfach nicht mehr ertragen. Sie haben nie in einem Geheimdienst dieses Kalibers gearbeitet. Sie wissen nicht, unter welchem Stress man dort steht."
"Wer hat Ihnen den Pass auf den Namen Kräutner ausgestellt?", fragte ich.
"So was kann man in dieser Stadt überall kaufen, man muss nur die richtigen Quellen kennen und imstande sein, den geforderten Preis zu zahlen."
"Wer hat Ihnen die richtigen Quellen genannt?"
"Das gehört nicht hierher."
"So kommen wir nicht weiter. Welche Beziehungen haben Sie zu Siegfried unterhalten?"
"Beziehungen? So kann man das nicht nennen."
"Weichen Sie mir nicht immerzu aus. Ich wette, Sie wissen, dass er tot ist."
"Woraus wollen Sie das schließen?"
"Aus Ihrem Hiersein. Sie hätten kaum den Mut gefunden, Siegfrieds Bleibe zu durchwühlen, wenn Sie nicht genau wüssten, dass er Sie dabei nicht stören kann."
"Das sind Hypothesen."
"Stimmt, aber sie haben den Vorteil klarer Logik."
"Ich pfeife auf Logik. Mir geht es um andere Dinge."
"Ich weiß. Sie wollen Erikas Tod rächen. Haben Sie keine Angst, dass diese Tätigkeit für Sie zum Bumerang werden könnte? Fürchten Sie sich nicht vor dem Mörder?"
"Nein."
"Aber Sie wissen, wo Sie ihn zu suchen haben?"
"Nein."
Ich fühlte, dass er log. Wahrscheinlich war er schon viel weiter gekommen als ich. Er hatte verständlicherweise keine Lust, sein Wissen mir mitzuteilen. Er wollte vermeiden, dass ich mich ihm in den Weg stellte, er wollte seine Pläne — wie immer sie auch sein mochten — allein zu Ende führen.
"Was hat Sie mit Siegfried verbunden?", fragte ich halblaut, mehr zu mir als an ihn gerichtet.
"Nichts", sagte er.
Ich sah, wie sich seine Muskeln spannten. Als er mit dem Messer auf mich zusprang, entging ich der Attacke mit einem raschen Seitenschritt. Noch ehe er es schaffte, eine neue Ausgangsposition für einen weiteren Angriff zu finden, schickte ich ihn mit einem glasharten, wohl platzierten Schwinger zu Boden. Ich trat auf sein Handgelenk und bückte mich, um das Messer aus seinen verkrampften Fingern zu lösen. Dann klopfte ich ihn nach Waffen ab. In seinem Hosenbund steckte eine Pistole. Ich überzeugte mich davon, dass das Magazin gefüllt war, und schob die Waffe in meine Tasche.
Frank Steinfurt quälte sich auf die Beine. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Wand. Er massierte sein Handgelenk und sagte dann: "Von mir erfahren Sie nichts."
"Sie sind dumm", sagte ich. "Dumm und kurzsichtig. Ich will Ihnen nur helfen."
"Lassen Sie mich mit diesem albernen Gerede in Frieden. Darauf falle ich nicht herein. Ich muss mir jetzt schon selbst helfen", sagte er.
"Haben Sie vor, das Land zu verlassen?", fragte ich ihn.
"Vielleicht", gab er zu. "Aber erst muss ich Erikas Mörder finden."
"Was ist mit Siegfrieds Mörder?"
Er starrte mich an, schweigend, finster und feindselig. Seine Arme fielen kraftlos an den Seiten herab. Er sah plötzlich sehr müde und abgespannt aus.
"Warum kann ich nicht leben, wie es mir gefällt?", fragte er bitter.
"Diese Frage müssen Sie sich schon selbst beantworten. Offenbar neigen Sie dazu, ebenso eklatante wie idiotische Fehler zu machen", sagte ich. "Wissen Sie, was dieser Angriff mit einem Messer auf einen Sonderermittler für Folgen haben kann?"
"Ich wollte Sie nicht verletzen", behauptete Frank Steinfurt. "Ich wollte nur weg von hier. Und was Ihren Sonderstatus betrifft, so werden Sie zugeben müssen, dass der erstunken und erlogen sein kann. Sie sind ja nicht einmal in der Lage, sich mir gegenüber auszuweisen."
"Diesen Punkt will ich Ihnen zugutehalten", sagte ich. "Ich bin auch bereit, das Ganze zu vergessen, wenn Sie sich etwas zugänglicher