„Was ist das für ein besonderes Schwert, das du da über deinem Rücken trägst?“, fragte der König.
Gorian missfiel es, dass Aarad den Herrscher des Greifenreiter-Reichs offenbar so genau über ihn unterrichtet hatte. Anscheinend hatte Thondaril den Ordensgesandten in Gryphenklau viel weitreichender ins Vertrauen gezogen, als Gorian bisher angenommen hatte, und auch das wollte ihm nicht behagen. Der zweifache Ordensmeister musste schon sehr gute Gründe haben, Aarad dermaßen zu vertrauen.
„Zeig mir die Klinge!“, forderte Demris Gon. „Leg sie in meine Hände!“ Er stand auf, schritt die Stufen des Podests, auf dem sein Thron stand, hinab und ging auf Gorian zu. Das Flackern in seinen Augen verriet plötzlich eine geradezu unheimliche Gier.
Gorian zog Sternenklinge aus der Rückenscheide und legte das Schwert in die ausgestreckten Hände des gryphländischen Königs.
„Mit dieser Waffe willst du also Morygor besiegen?“
„Mein Vater hat sie geschmiedet“, erklärte Gorian und benutzte dabei demonstrativ die Sprache Gryphlands.
Die beiden Prinzen wechselten einen erstaunten Blick, und auch König Demris Gon sah Gorian verwundert an und murmelte: „Normalerweise erwartet selbst ein Heiligreicher niederen Standes, dass ein jeder seine Sprache spricht.“
„Ich pflege keinen derartigen Hochmut“, erklärte Gorian.
„Das ehrt dich, doch fürchte ich, du gehörst damit in deinem Land einer Minderheit an.“
„Das mag sein.“
„Die meisten sehen im Gryphländischen nur den vulgären Bastard der erhabenen heiligreichischen Sprache und verkennen dabei, dass diese ebenso kultiviert ist wie ihre Mutter.“
„Als jemand, der Eure Sprache erst vor kurzem lernte, kann ich dies nur bestätigen, Majestät“, gab Gorian zurück.
Der König drehte sich um, immer noch Sternenklinge in den Händen. Gorian hatte den Eindruck, dass ihm die Unterhaltung, die er mit ihm geführt hatte, gar nicht weiter interessierte, weil ihn die Klinge in ihren Bann gezogen hatte, aus welchem Grund auch immer.
„Mit Verlaub, gebt mir bitte das Schwert zurück“, bat er. „Ich habe es in einem harten Kampf zurückgewinnen müssen, und bei aller zu Gebote stehenden Höflichkeit ...“
Der König wirbelte herum, hielt das Schwert auf einmal in der Rechten, und richtete dessen Spitze gegen Gorian. Das Gesicht des gryphländischen Herrschers hatte sich auf eine schreckliche, groteske Weise verändert. Seine Züge wirkten verzerrt, und blanker Wahn glitzerte in seinen Augen.
„Du wirst dieses Schwert nie wieder in Händen halten, Gorian aus Twixlum!“, fauchte er.
Woher kannte er den Namen des Dorfes, in dessen Nähe sich der Hof von Gorians Vater befunden hatte? Dass Aarad ihm auch diese Einzelheiten mitgeteilt hatte, war unwahrscheinlich, denn sie hatte keinerlei Bedeutung.
Im nächsten Moment holte Demris Gon zum Schlag gegen Gorian aus. Dieser reagierte blitzschnell. Er hob die Hand, sammelte innerhalb eines Herzschlags seine magischen Kräfte, und seine Augen wurden vollkommen schwarz. Den Schwerthieb lenkte er mit seiner Magie zur Seite hin ab, ließ den Herrscher zurücktaumeln und entriss ihm mithilfe der Alten Kraft die Waffe.
Aus der Klinge zuckten Blitze, während das Schwert durch die Luft flog, sich dabei zweimal um den Schwerpunkt drehte und dann mit dem Griff in Gorians ausgestreckter Hand landete.
Da geschah etwas, das noch merkwürdiger, noch erschreckender war: Die Arme des Königs verlängerten sich, streckten sich um das Vier- bis Fünffache, und seine Hände bildeten messerlange Krallen aus, während er sich wie ein wildes Tier auf Gorian stürzte.
Thondaril schritt ein, ließ Strahlen aus blauweißem Licht aus seinen Fingerspitzen schießen, die den König erfassten und ihn zurückwarfen.
„Vater!“, rief der Jüngere Prinz fassungslos.
Der König atmete schwer. Noch immer leuchtete der pure Wahnsinn in seinen Augen.
Thondaril machte einen Schritt nach vorn, murmelte einige Worte in altnemorischer Sprache und richtete seine Hände erneut gegen König Demris Gon. Die beiden Prinzen ließen es geschehen. Der Ältere hatte zwar die Hand am Schwertgriff, ließ die Waffe aber stecken.
Als der König auch Thondaril angreifen wollte, schleuderte dieser erneut Strahlen gegen ihn. Aber diesmal war es Schwarzlicht, das Demris Gon erfasste. Die magische Formel, die Thondaril gleichzeitig rief, dröhnte durch den Raum. Der König schrie auf.
Dann sank er in sich zusammen, während ein schwarzer Schatten zur Höhlendecke emporschwebte und dort verschwand. Die körperlichen Veränderungen, die mit Demris Gon vor sich gegangen waren, bildeten sich zurück, und auch der wahnhafte Ausdruck in seinem Gesicht verschwand.
„Was habt Ihr getan?“, rief der Ältere Prinz.
„Der Dämon, von dem Euer Vater und König besessen war, ist fort“, sagte Thondaril. „Er ist jetzt wieder er selbst. Doch damit ich verhindern kann, dass der Dämon zurückkehrt, müsst Ihr mir die volle Wahrheit sagen, vor allem all das, was Ihr bisher verschwiegen habt. Es wird ohnehin ans Tageslicht kommen, doch mit jedem Moment, den Ihr zögert, wird die Gefahr für Euch, für Euren Vater und für Euer Land größer.“
Der Sprechstein, den Meister Thondaril an einem Lederband vor der Brust trug, übersetzte wispernd seine Worte.
Die beiden Prinzen wechselten einen Hilfe suchenden Blick.
„Sagt es ihm!“, ächzte der König, der auf den Stufen des Thronpodests lag. „Die Fremden sind wahrhaftig auf unserer Seite ...“ Er atmete noch immer schwer, rang nach Luft und schien sehr schwach, nachdem der Schatten aus seinem Körper gefahren war.
Aarad kümmerte sich sofort um ihn. Er legte ihm die Hand auf die Stirn und sprach eine Heilerformel, die kurzfristig für eine gewisse Kräftigung sorgen sollte, dann halfen er und der Jüngere Prinz dem Herrscher zu seinem Thron, in dem er sich seufzend niederließ.
Der Ältere Prinz wandte sich an Gorian. „Das Schwert, das du trägst, und die Zwillingsklinge, die dein Gefährte führt“, er deutete auf Torbas, „scheinen wirklich ganz besondere Waffen zu sein und wecken die Gier von Mächten, die niemand von uns versteht und von denen auch niemand hierzulande je gehört hat ...“
„Was ist geschehen?“, fragte Gorian, und dass er sich dabei des Gryphländischen bediente und nicht der in diesem Land als hochmütig empfundenen Sprache des Heiligen Reichs, trug dazu bei, dass der Ältere Prinz Vertrauen zu ihm fasste.
„Ein Fremder in dunkler Kutte, unter dessen Kapuze nichts als ein Schatten aus absoluter Schwärze zu sehen war, befand sich plötzlich im Raum, als unser Vater mit uns die Frage erörterte, ob wir euch die Reise nach Felsenburg erlauben sollen oder nicht. Niemand wusste, wie er in den Palast gekommen war, keine der Wachen hatte ihn gesehen, wie sich später herausstellte. Er sagte, er sei ein Totenalb – ausgesandt, beschworen, um Leben zu nehmen.“
„Dann berührte er mich an der Schulter“, ergriff der König selbst das Wort, „und drang in mich ein, um dich zu töten, Gorian.“
„Dahinter steckt Morygor“, murmelte Thondaril. „Er hat den Totenalb geschickt. Mag der Henker wissen, mit welchen Versprechungen und durch welche Magie er ihn auf seine Seite gezogen hat. Allgemein gelten Totenalben als unbestechlich.“
„Es hat solche Kreaturen in diesem Land bisher nicht gegeben“, sagte der Jüngere Prinz.
Thondaril wandte ihm den Blick zu. „Es gibt nur noch wenige von ihnen, und sie zogen es in den letzten Zeitaltern vor, im Verborgenen zu wirken. Sie vereinnahmen die Seelen von Toten, um deren Kraft in sich aufzunehmen, und sehr selten nehmen sie auch von Lebenden Besitz,