»Was ist mit Nils, Madlon? Was soll das heißen, es geht um ihn?«
»Irgend etwas stimmt in der letzten Zeit nicht mit Nils. Eigentlich begann es schon wenige Tage nach unserer Rückkehr aus dem Urlaub. Es wurde mir zuerst aber nicht richtig bewußt, daß Nils’ Befinden sich änderte. Vor ein paar Tagen fiel mir aber auf, daß er das linke Bein leicht nachzieht. Nils behauptet, er habe keine Schmerzen. Aber er ist auch ständig müde und ißt sehr schlecht. Am Samstag geschah zum ersten Mal etwas Seltsames. Nils hatte seinen Besuchstag bei seinem Vater, ich selbst habe nicht mitbekommen, was geschah.«
»Und was war das?« Gespannt beugte Kay sich ein wenig vor.
Als Madlon Kay nun erzählte, daß Nils schon zweimal einfach so mit seinem linken Bein weggeknickt war, stutzte er und sagte:
»Ich möchte Nils gern einmal untersuchen.«
»Ja, das ist gut. Deshalb bin ich ja hergekommen. Ich habe so schreckliche Angst um meinen Jungen. Das alles kommt mir nicht ganz geheuer vor.«
»Noch kann ich dir auch nicht sagen, was Nils fehlt. Dazu muß ich ihn erst einmal gründlich untersuchen. Ich würde vorschlagen, den Jungen für ein paar Tage in unserer Obhut zu lassen. Nils, was meinst du dazu?«
»Ich möchte lieber wieder mit meiner Mutter nach Hause fahren, Herr Doktor. Können Sie mich denn nicht jetzt schnell untersuchen?«
»Mit einer schnellen Untersuchung ist es da nicht getan. Wir wollen es schließlich gründlich machen, nicht wahr? Dazu müssen verschiedene Röntgenaufnahmen gemacht werden. Aber auch Blutuntersuchungen sind nötig und noch einiges mehr. Daher ist es besser, wenn du ein paar Tage hierbleibst. Es erspart deiner Mutti nur unnötiges Hin- und Herfahren. Du vertraust mir doch, und du möchtest doch bestimmt auch, daß wir herausfinden, was deine Beschwerden verursacht, nicht wahr? Deine Mutter kann dich zu jeder Zeit und so lange sie will besuchen. Alles verstanden oder hast du noch Fragen dazu? Ich beantworte sie dir gern.«
»Nein, Herr Doktor, ich habe keine Fragen.«
Man sah Nils an, daß er alles andere als begeistert von der Vorstellung war, einige Tage in der Klinik zu bleiben, aber er wußte selbst, daß die Untersuchungen wohl unumgänglich für ihn und seine Gesundheit waren. Wenn er noch einmal so an die beiden Male zurückdachte, als ihm das Bein so einfach weggerutscht war... Nein, irgendwie hatte er doch Angst davor, daß er nie mehr richtig laufen können würde. Da waren ihm ein paar Tage in der Klinik doch lieber.
»Gut, Nils, dann werde ich gleich eine Schwester rufen, die dich auf die Krankenstation in ein hübsches Zimmer bringt. Ich muß noch einiges mit deiner Mutti besprechen, danach bringe ich sie zu dir hinauf.«
Kay sah fragend auf Madlon. Leise sagte sie:
»Tu, was gut für Nils ist. Ich möchte wirklich wissen, was ihm fehlt, und ob du ihm helfen kannst.«
»Wir werden sehen. Dann werde ich mal eine Schwester kommen lassen.«
Kay griff zum Telefon, wählte eine Nummer und sagte:
»Dr. Martens hier. Bitte schicken Sie mir Schwester Laurie in mein Zimmer, um einen Patienten abzuholen. Ich möchte, daß er gut untergebracht wird.«
Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Schwester Laurie nach kurzem Anklopfen das Zimmer betrat.
Kay stellte sie vor und erklärte:
»Sie wird sich in Zukunft um dich kümmern, Nils. Wenn du einen Wunsch hast, brauchst du es ihr nur zu sagen.«
»Nils heißt du also«, stellte Schwester Laurie fest, »das ist ein hübscher Name. Was meinst du, werden wir beide uns wohl vertragen?«
Nils nickte verlegen, und Madlon sagte:
»Geh ruhig mit, Nils, ich komme später nach.«
»Ganz bestimmt, Mutti?«
»Natürlich, ganz bestimmt«, bestätigte Madlon lächelnd.
Einen Augenblick später war sie mit Kay allein.
»Wirst du meinem Jungen helfen können, Kay?«
»Das weiß ich nicht, wir müssen erst alle Untersuchungsergebnisse abwarten. Vorher will ich dich nicht entmutigen, aber ich möchte dir auch keine voreiligen Hoffnungen machen. Ich verspreche dir aber, daß ich alles in meiner Macht Liegende tun werde, um ihm zu helfen, falls es notwendig werden sollte. Du mußt dir keine unnötigen Sorgen machen. Vielleicht ist alles ganz harmlos.«
»Vielleicht, Kay«, sagte Madlon zweifelnd. Sie machte eine kleine Pause.
»Es tut mir leid, daß wir uns nicht unter erfreulicheren Umständen wiedergesehen haben«, sagte sie dann. »Ich bin mit Nils zu dir gekommen, weil ich dir vertraue.«
»Alles andere ist jetzt auch nicht so wichtig. Ich bin in erster Linie Arzt.«
»Wann wirst du die Untersuchungen abgeschlossen und die Ergebnisse vorliegen haben?«
»Übermorgen. Jetzt stelle ich dich meiner Schwester vor, danach bringe ich dich zur Krankenstation hinauf. Du hast doch nichts dagegen?«
»Aber nein«, Madlon lächelte fein. »Wie lange kann ich bei Nils bleiben?«
»Heute nicht mehr lange. Ich möchte möglichst rasch mit den Untersuchungen beginnen. Du kannst ganz beruhigt sein. Nils wird es hier bestimmt gefallen.«
Kay verließ mit Madlon sein Sprechzimmer. Auf dem Gang kam Hanna ihnen entgegen, denn sie stand gerade im Begriff, nach ihm zu sehen. Höflich lächelnd trat sie auf Kay und seine Besucherin zu.
»Darf ich vorstellen, Hanna, das ist Frau van Enken. Madlon, das ist meine Schwester Hanna.«
Mit einem herzlichen Lächeln reichten die beiden Frauen sich die Hand.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Frau van Enken. Mein Bruder hat mir schon sehr viel von Ihnen erzählt. Fehlt Ihrem Sohn etwas Ernsthaftes?«
»Ich weiß es nicht. Ihr Bruder soll es erst herausfinden.«
»So ist es, Hanna, ich behalte Nils ein paar Tage hier in der Klinik, um ihn auf den Kopf zu stellen. Ich bringe Madlon hinauf zu ihrem Jungen, danach unterhalten wir uns weiter darüber.«
»Einverstanden, Kay, ich muß jetzt auch noch ins Labor hinunter. Auf Wiedersehen, Frau van Enken.«
»Auf Wiedersehen, Frau Dr. Martens.«
Kay brachte Madlon nun zu Nils. Obwohl er sie am liebsten in seine Arme gezogen und um ihre Antwort auf seine sehnsüchtige Frage gebeten hätte, war ihm klar, daß es wieder einmal nicht der richtige Zeitpunkt war, um über solche tiefgehenden Gefühle zu sprechen.
*
Es war am nächsten Vormittag nach der Visite, die Hanna mit Dr. Küsters und Oberschwester Elli durchgeführt hatte. Nachdem sie noch einige Anweisungen gegeben hatte und gerade das Schwesternzimmer verlassen wollte, schlug das Telefon an.
Schwester Elli nahm den Hörer ab und meldete sich.
»Für Sie, Frau Doktor«, hielt sie ihre Vorgesetzte zurück, »es ist Ihr Bruder.«
Sie reichte Hanna den Hörer weiter.
»Ja, was gibt es?« sprach Hanna in die Muschel.
»Hast du einen Moment Zeit, um zu mir ins Untersuchungszimmer zu kommen, Hanna?«
»Ja, natürlich. Ich bin hier sowieso für den Augenblick fertig.«
»Gut, dann erwarte ich dich. Ich habe nämlich die ersten Untersuchungsergebnisse von Nils van Enken vorliegen. Ich hätte gern deine Meinung dazu.«
»Ich komme sofort.«
Hanna legte den Hörer auf die Gabel und informierte die Oberschwester:
»Also,