»Ich weiß, daß ich dich sehr verletzt habe, Madlon. Wie sehr ich alles bereue, weiß ich nur allein. Du solltest aber wissen, daß ich nur dich allein liebe und dich immer lieben werde. Warum kannst du mir nur nicht verzeihen? Nils braucht uns doch
beide, und jetzt ganz besonders. Dr. Martens hat mir alles gesagt. Bist
du mit einer Operation einverstanden?«
»Ich weiß nicht, und soweit ist es ja Gott sei Dank noch nicht. Erst soll eine Gewebeprobe entnommen werden.«
»Ich weiß, Madlon, aber wir müssen mit der Operation rechnen. Die Geschwulst ist nun mal da und muß so oder so entfernt werden. Aber sollten wir unsere Augen nicht vor den Tatsachen verschließen, wir müssen damit rechnen, daß die Geschwulst bösartig ist. Ich möchte so gern, daß unser Junge am Leben bleibt, wie immer dieses Leben nach der Operation auch aussehen mag.«
»Nein, ich werde nicht zulassen, daß man…«
Erregt sprang Madlon auf und starrte Guido entsetzt an.
»Madlon, bitte, setz dich wieder hin, wir sind nicht allein in der Kantine. Wir erregen Aufsehen.«
»Das ist mir egal Es ist ungeheuerlich, daß du an so etwas denken kannst.«
»Wir müssen daran denken«, sagte Guido eindringlich.
Er faßte nach ihrer Hand und zwang sie, sich wieder hinzusetzen.
»Wenn sich die Geschwulst als bösartig herausstellt, ist es der einzige Weg, um zu verhindern, daß auch andere Organe befallen werden und es dann gar keine Hilfe mehr für Nils gibt. Willst du, daß er dann quälend langsam dahinsiecht? Ich bete zu unserem Herrgott, daß es nicht so ist. Aber wir müssen doch darüber reden.«
»Nein, ich will nicht an diese Möglichkeit denken. Ich weiß, daß Kay Nils retten will. Er ist ein guter Chirurg, und er wird alles tun. Ich bin mit einer Operation einverstanden, bei der die Geschwulst entfernt wird, aber mit mehr nicht. Ich bitte dich, stelle dich nicht gegen mich, wenn du mich wirklich liebst.«
»Gut, Madlon, stellen wir unsere Entscheidung zurück und warten erst das Ergebnis der Gewebeprobe ab. Bist du damit einverstanden?«
»Ja, aber ich werde mich, wie immer auch das Ergebnis ausfällt, nicht anders entscheiden. Ich möchte jetzt zu Nils zurück, damit er sich keine Gedanken über unser langes Ausbleiben macht. Du kannst auch zu jeder Zeit zu ihm gehen. Ich werde nichts dagegen einwenden, bis er wieder aus dem Krankenhaus entlassen wird. Du bist ja sein Vater.«
Schon bei ihren letzten Worten hatte Madlon sich erhoben, und gemeinsam mit Guido verließ sie die Kantine.
*
Bevor Madlon und Guido van Enken an diesem Tag die Klinik verließen, bat Kay sie noch einmal zu sich ins Sprechzimmer, in dem jetzt auch Hanna anwesend war.
»Haben Sie sich nun mit Ihrer Frau abgesprochen und eine Entscheidung gefällt, Herr van Enken? Ich möchte gleich morgen vormittag die Gewebeprobe entnehmen. Um des Jungens willen dürfen wir es nicht länger hinauszögern.«
»Tun Sie, was Sie für richtig halten, Dr. Martens. Unsere Entscheidung hängt davon ab, wie das Ergebnis der Probe ausfällt.«
»Denkst du so wie dein Mann?« erkundigte Kay sich bei Madlon.
»Ja, Kay, ich werde niemals zulassen, daß Nils das Bein abgenommen wird. Mit der Entfernung der Geschwulst dagegen bin ich einverstanden, mit mehr nicht.«
»Sind Sie sich der Folgen für Nils bewußt, falls es sich herausstellt, daß die Geschwulst bösartig ist, Frau van Enken?« mischte Hanna sich in das Gespräch ein. »Sie können diese Tatsache nicht ausschließen. Wenn es so ist, kann eine Amputation Ihrem Jungen das Leben retten. Denn auch, wenn wir nur die Geschwulst entfernen, gibt es keine Garantie dafür, daß sich nicht im Umfeld schon Tochtergeschwülste gebildet haben, die andere Körperorgane befallen können. Es würde eine nie endende Kette bedeuten, die für den Jungen die reinste Quälerei wäre. Auf die Dauer gesehen, könnten wir das Leben Ihres Jungen nicht erhalten. Sie sollten alle Seiten betrachten. Denken Sie noch einmal in aller Ruhe darüber nach. Es ist doch alles nur für den schlimmsten Fall. Es muß durchaus nicht so kommen.«
»Was meine Schwester sagt, stimmt, Madlon. Wenn wir das Ergebnis der Gewebeprobe haben, müssen wir gegebenenfalls überschnell handeln. Überschlafe es noch einmal. Wir werden uns morgen noch einmal darüber unterhalten. Du solltest doch wissen, daß ich alles tun werde, was in meiner Macht steht, um dem Jungen zu helfen. Ungerechtfertigterweise würde ich auch eine Amputation niemals vornehmen, das kannst du mir glauben. Ich hoffe, Sie glauben mir das auch, Herr van Enken?«
Guido sah Kay offen an und erwiderte ruhig:
»Ja, Dr. Martens, ich glaube Ihnen und Ihrer Schwester. Danke.«
Nach diesen Worten wandte Guido sich an Madlon: »Willst du deinen Wagen nicht hier stehen lassen und mit mir nach Celle zurückfahren? Ich bringe dich auch morgen wieder her.«
»Nein, danke, ich fahre lieber allein. Ich werde mir ein paar Sachen holen und dann hier in Ögela ein Zimmer mieten. Ich möchte in Nils’ Nähe und jederzeit für ihn erreichbar sein. Kann man hier irgendwo ein Zimmer günstig mieten, Frau Dr. Martens?«
»Ja, Frau van Enken«, beruhigte sie Hanna mit einem Lächeln, »Sie können sich im Heidekrug einquartieren, aber auch im Haus Daheim gibt es hübsche Zimmer. Ich könnte für Sie anrufen und ein Zimmer bestellen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Ja, danke, das wäre sehr nett.«
»Gut, dann warten Sie bitte noch einen Augenblick.«
Schon griff Hanna zum Telefon und wählte die Nummer des Heidekruges in Ögela. Sie wechselte ein paar freundliche Worte mit der Wirtin und nickte bejahend in Richtung zu Madlon, bevor sie den Hörer wieder auflegte.
»Alles erledigt, Frau van Enken. Wenn Sie zurückkommen, melden Sie sich im Heidekrug bei Herrn oder Frau Bachmann.«
»Vielen Dank, Frau Dr. Martens. Bis morgen.«
Madlon und Guido verließen kurz darauf die Klinik, und Kay war mit Hanna allein.
»Weißt du, was ich festgestellt habe, Kay?«
»Nein, was denn?«
»Dieser Herr van Enken liebt seine Frau noch immer, obwohl sie geschieden sind, wie du sagtest. Ich habe seine Blicke gesehen. Jetzt kommt noch die Krankheit des Jungen hinzu. Ich glaube nicht, daß er so schnell aufgeben wird. Es wird bestimmt nicht leicht für dich zu gewinnen. Auch in ihren Augen konnte ich lesen wie in einem Buch. Die Erkrankung des Jungen wird die beiden einander wieder näherbringen. Halte dein Herz fest, Kay, damit du keine herbe Enttäuschung erlebst.«
»Ich liebe Madlon, und ich hoffe nur, daß sie meine Gefühle erwidert. An etwas anderes weigere ich mich zu denken. Gehst du jetzt hinüber ins Doktorhaus? Es ist immerhin schon fast neunzehn Uhr. Oder hast du noch hier zu tun?«
»Nein, ich bin für heute auch fertig. Außerdem wird die Füchsin schon mit dem Essen auf mich warten. Komm, laß uns gehen, morgen ist auch noch ein Tag, der bestimmt wieder genug Arbeit für uns auf Lager hat.«
»Du hast recht, denn ich werde als erstes Nils auf dem Plan haben.«
Nachdem Hanna und Kay sich noch aus der Anwesenheitsliste an der Aufnahme ausgetragen hatten, gingen sie gemeinsam durch den Klinikpark zum Doktorhaus hinüber.
»Ich wünsche dir noch einen ruhigen Abend, Hanna«, sagte Kay verabschiedend, bevor er seine Wohnung betrat. Hella Sandberg, seine Haushälterin, wartete tatsächlich schon mit dem Abendbrot auf ihn. Während der Mahlzeit, die sie immer gemeinsam einnahmen, warf Hella hin und wieder einen prüfenden Blick auf Kay. So schweigsam, ja, fast verschlossen, hatte sie Kay noch nicht erlebt. Ob drüben in der Klinik heute etwas schiefgelaufen war?
Erst nach Beendigung der Mahlzeit konnte sie ihre Frage nicht