1846 beendete Babbage die Konzeption der Analytical Engine. In den folgenden Jahren entwarf er genauere Zeichnungen für eine zweite Difference Engine. 1852 bot er diese der Regierung an, doch wurde kein Versuch unternommen, sie zu bauen. Erst anlässlich der Feiern zu Babbages 200. Geburtstag 1991 ließ das Londoner Science Museum eine solche Apparatur nach seinen Plänen fertigen. Neben seiner Arbeit an diesen Maschinen hatte Babbage von 1828 bis 1839 einen vom Parlamentarier Henry Lucas gestifteten Lehrstuhl für Mathematik in Cambridge inne, doch hielt er in dieser Funktion keine öffentlichen Vorlesungen ab. Er interessierte sich außerdem für mathematische Geheimcodes und entwarf Dechiffriersysteme für das Militär. 1832 und 1834 kandidierte er im Wahlkreis Finsbury für das Parlament, unterlag jedoch beide Male anderen Kandidaten.
Babbage befasste sich auch mit anderen technischen Neuerungen. Nach der Eröffnung der ersten großen englischen Eisenbahnlinie von Manchester nach Liverpool stellte sich die Frage, was man gegen Hindernisse auf den Gleisen tun könnte. Babbage schlug dafür wahlweise eine schräge, pflugähnliche Vorrichtung vor den Lokomotiven bzw. eine starke Lederschürze als »Kuhfänger« vor; diese Ideen wurden bald realisiert. Darüber hinaus erfand Babbage ein Ophtalmoskop, einen Augenspiegel.
Babbage zeigte tragikomische Züge eines Exzentrikers. Damit stand er in der englischen Gesellschaft keineswegs allein: Auch brillante Naturwissenschaftler wie Henry Cavendish fielen durch sonderbares Verhalten auf, das aber doch in höherem Maß toleriert wurde als auf dem Kontinent. Babbage machte sich gelegentlich die Mühe, die Berichte von Straßenbettlern über die Ursachen ihrer Notlage auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Einen von ihnen, dessen Geschichten seinen Nachforschungen nicht standhielten, brachte er sogar vor Gericht. In seiner Autobiografie widmete Babbage außerdem ein ganzes Kapitel den in London recht verbreiteten Musikkapellen, die sein Nervenkostüm nachhaltig strapazierten: Italiener belästigten ihn mit Leierkästen, Deutsche mit Blaskapellen, Inder mit Trommeln und die Engländer mit Fiedeln, der Anpreisung von Waren sowie mit religiösen Predigten und Liedern. Babbage berechnete, dass er in zwölf Jahren ein Viertel seiner Arbeitskraft für die Beseitigung solcher Belästigungen aufgewendet habe. Immer wieder verließ er sein Haus, um Musikanten zu vertreiben; er beschwerte sich über sie bei Polizisten, Friedensrichtern und sogar beim Innenministerium. Für einen Prozess gegen einen dieser Peiniger gab er über 100 Pfund aus, den Jahreslohn eines Arbeiters. Mit solchen Aktionen erwarb sich Babbage jedoch wider Willen einen Bekanntheitsgrad, der zur Folge hatte, dass ihm auf der Straße viele Erwachsene und Kinder erst recht nachstellten, ihm übel tönende Katzenmusiken darbrachten und ihn gelegentlich sogar bedrohten.
1814 heiratete Babbage Georgiana Whitmore. Das Paar übersiedelte bald darauf nach London. Sie hatten mindestens acht Kinder, von denen aber nur zwei Knaben und ein Mädchen das Erwachsenenalter erreichten. 1827 war ein Katastrophenjahr für Babbage: Damals starben seine Frau Georgiana, sein Vater und zwei Kinder; er erlitt daraufhin einen nervlichen Zusammenbruch und begab sich auf eine längere Reise auf den europäischen Kontinent. Er starb mit 79 Jahren an Nierenversagen, ausgelöst durch eine Blasenentzündung.
Leo Hendrik Baekeland (1863-1944)
Sein Vater Karel war Schuster im belgischen Gent. Mit 13 Jahren begann auch Leo Baekeland mit einer Schuhmacherlehre. Seine Mutter Rosalia, die sich als Haushälterin bei begüterten Leuten verdingte, war aber von der Begabung ihres Sohnes überzeugt und erreichte für ihn einen Studienplatz im Königlichen Athenäum, einer staatlichen Schule. Hier erwies sich Leo als ein höchst lernfähiger Knabe. So befasste er sich mit der Fotografie und arbeitete dabei viel mit Chemikalien zur Fotoentwicklung. Mit zwanzig Jahren verlieh ihm die Universität von Gent aufgrund seiner hervorragenden Prüfungsergebnisse den Doktortitel »summa cum laude«. 1887 arbeitete Baekeland als Assistenzprofessor für Chemie und Physik an der Universität Brügge. Da er an der praktischen Arbeit sehr interessiert war, betrieb er ferner eine kleine Firma zur Erzeugung fotografischer Platten und Ingredienzen. Er erlangte ein Reisestipendium der belgischen Universitäten und heiratete 1889 Celine, die Tochter seines Chefs, Professor Theodore Swarts. Unmittelbar darauf trat er mit ihr eine Schiffsreise in die Vereinigten Staaten an, um niemals wieder zurückzukehren. Damit gab er in seiner Heimat auch eine hoffnungsvolle akademische Karriere auf.
Im gleichen Jahr brachte George Eastman seine Kodak heraus, eine leichte und preiswerte Kamera mit eingelegtem Film. Sie löste einen wahren Boom in der Amateur-Fotografie aus. Während Celine nach Europa zurückging, wo sie eine Tochter auf die Welt brachte, entwickelte Baekeland ein Fotopapier, das er Velox nannte und 1893 über die kleine Firma Nepera Chemical in Yonkers (New York) verkaufte. Eastman bot ihm für dieses Papier die enorme Summe von einer Million Dollar, was ihn in die Lage versetzte, Nepera zu erwerben. Damit war Baekeland bereits wenige Jahre nach seiner Landung in den USA ein reicher Mann. In Yonkers kaufte er eines der ersten Autos, erzeugte Wein, schrieb Artikel über Fotografie und stellte chemische Versuche in einem kleinen Laboratorium nahe seinem Haus an. Celine, mit der er inzwischen zwei Kinder hatte, spielte Klavier, züchtete Rosen und malte.
Einige Jahre später wandte sich Baekeland aber einem ganz anderen Problem zu. Damals befassten sich rund ein Dutzend Chemiker in Europa und den USA mit der technischen Nutzbarkeit einer roten Schildlaus, die in Indien und Thailand vorkommt. Die weiblichen Tiere sondern ein Sekret ab, das Schellack genannt wurde und u.a. für elektrische Isolatoren Verwendung fand. Allerdings benötigten 15.000 Tiere sechs Monate, um ein halbes Kilo Schellack zu liefern, und fanden dabei den Tod. Wegen dieser umständlichen und kostspieligen Gewinnungsart suchten die Wissenschaftler nach Ersatzstoffen, indem sie etwa Phenol und Formaldehyd mischten. Aufgrund der Einwirkung aggressiver Gase vermochten sie aber nur spröde, poröse oder weiche Massen herzustellen. 1902 nahm auch Baekeland solche Forschungen auf, wobei er von Nathaniel Thurlow unterstützt wurde. Mit einem Überdruckbehälter (später als »Bakelizer« bezeichnet) studierte er systematisch die chemischen Reaktionen bei unterschiedlicher Temperatur. Im Juni 1907 erzielte er einen Durchbruch und erfand das nach ihm benannte »Bakelit«. Es handelte sich dabei um die erste voll synthetische Substanz. Sie wies hervorragende chemische, physikalische und mechanische Eigenschaften auf, war vielseitig einsetzbar und darüber hinaus preiswert. Bakelit fing kein Feuer, es schmolz und brach nicht, leitete keine Elektrizität und war leicht und schnell zu erzeugen. Es konnte heiß in Formen gegossen werden und nahm unter Druck in ein bis zwei Minuten deren Gestalt an, ehe es erstarrte.
Die Erzeugung »künstlicher« Stoffe hatte damals bereits einige Tradition. Im Vordergrund stand dabei das Bestreben, Naturstoffe zu verbessern bzw. aus kommerziellen und ästhetischen Erwägungen Ersatz für bestehende Substanzen zu suchen. Vorläufer waren u.a. seit dem 18. Jahrhundert das Pappmaché, eine Mischung aus Papier, einem Bindemittel und Ton oder Kreide, das sich gut modellieren ließ, oder die 1839 von Charles Goodyear entwickelte Kautschuk-Schwefel-Mischung, die als Gummi bekannt wurde, sowie das Zelluloid (Zellulosenitrat), das in den 1840er-Jahren erfunden wurde und zunächst als Schießbaumwolle für militärische Zwecke Verwendung fand. Es wurde in den 1860er-Jahren von Alexander Parkes in England erzeugt. 1872 mischte John Wesley Hyatt in den USA dem Zelluloid Kampfer als Weichmacher bei und schuf damit die Voraussetzung für eine breite Palette an Anwendungen des Materials, u.a. für abwaschbare Hemdkragen sowie für fotografisches und Filmmaterial. In Deutschland kam um 1897 das Galalith auf den Markt, eine Mischung aus Kasein (Milcheiweiß) und Formaldehyd, aus dem beispielsweise die »Anker«-Steine für Kinderbaukästen sowie weiße Klaviertasten gefertigt wurden.
Das Bakelit war aber der eigentliche Vorläufer des synthetischen Jahrhunderts. Baekeland begründete damit die moderne Polymerwissenschaft, jedoch blieb er weiterhin der Praxis verbunden. Er ließ seine Erfindung patentieren und bot sie dann den Repräsentanten von 43 Industriezweigen an. Ende 1907 verkaufte er 100.000 Isolatoren an die New York Central Railroad, die damit jene aus Porzellan ersetzte; außerdem wurden Billardbälle erzeugt. Sehr bald aber wurde Bakelit eine unverzichtbare Substanz in einer Ära der Massenerzeugung austauschbarer Teile u.a. für die elektrische und die Autoindustrie. Es fand Anwendung für Radio- und Kameragehäuse, Telefonapparate, Toaster, Waschmaschinen, elektrische Bügeleisen, Staubsauger, Rasierapparate, Aschenbecher, Zahnbürsten und vieles mehr. Während des Ersten Weltkriegs wurden daraus Propeller hergestellt. In den 1920er-Jahren