»Nein«, äußerte Thorne so laut und vehement, dass Riley vor Schreck zusammenzuckte. Dann atmete er tief durch. »Entschuldige. Nein, ich denke nicht, dass es ein Fehler war, zusammenzuziehen. Aber vielleicht erwarten wir zu viel voneinander, statt uns daran zu erinnern, dass all das für uns beide neu ist.«
»Wir können nicht voneinander erwarten, dass der andere perfekt ist.«
»Ist es das, was dir Sorgen bereitet?«, fragte Thorne. »Dass ich Perfektion von dir erwarte? Das tue ich nämlich nicht. Riley, das hier ist nicht mehr dein Job. Es ist okay, wenn du müde bist oder sonst etwas. Du musst keine Show für mich abziehen.«
Riley hätte nicht gedacht, dass Thorne so leicht begriff, was das Problem war. »Seit wann bist du so verdammt einfühlsam?«
»Ich glaube, das ist allein deine Schuld.«
Riley lächelte. Irgendwie fühlte er sich schon viel besser. »Hm, ja, kann schon sein.«
Thorne schnappte sich einen Stapel Kochbücher und erhob sich. »Ich räume die mal ein.«
»Es sind Kinderbücher, okay?«
»Was?«
»Der Karton, nach dem du gefragt hast. Da sind meine alten Kinderbücher drin. Ich habe nicht viel mitgenommen, als ich bei meinen Eltern ausgezogen bin, aber die Bücher konnte ich unmöglich zurücklassen. Die zählen zu meinen besten Kindheitserinnerungen.«
Thorne ließ sich neben Riley auf dem Boden nieder und legte eine Hand auf seinen Arm. »Und du hast gedacht, dass mich das stört?«
Riley schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es ist mir irgendwie ein bisschen peinlich. Es wäre eine andere Sache, wenn meine Mom noch leben würde und sie behalten hätte … Allerdings hätte sie sie nicht behalten. Sie hat immer schonungslos alles weggeworfen, was wir nicht mehr brauchten. Ich musste die Bücher verstecken, damit sie nicht im Müll landen. Aber dass ich sie behalten habe …«
Thorne legte den Finger auf Rileys Lippen und unterbrach ihn damit. »Bleib hier«, befahl er. Nur einen Moment später kehrte er zurück und streckte Riley ein paar dünne Bücher entgegen. Eines davon war eine ramponierte Ausgabe von Thomas, die kleine Lokomotive. Dann gab es da noch ein paar Bände der Hardy Boys und Ein Tag im Schnee von Ezra Jack Keats. »Ich habe auch ein paar meiner alten Kinderbücher behalten.«
Riley griff nach Ein Tag im Schnee und begann, darin zu blättern. »Das hier habe ich als Kind geliebt.«
»Ich auch«, sagte Thorne. »Als Kind habe ich mir immer gewünscht, in Atlanta würde es öfter schneien.«
Riley legte einen Finger unter Thornes Kinn und hob seinen Kopf an. Er sagte nichts, beugte sich nur zu ihm und küsste ihn. Sanft strich er mit seinen Lippen über Thornes, begann ihn mit seiner Zunge zu necken, bis Thorne den Mund öffnete und Riley ihn wirklich schmecken konnte. Er saugte an Thornes Unterlippe und schmiegte sich an seinen warmen Körper. Die Art, wie bereitwillig er Riley jedes Mal in seine Arme zog, war einfach wundervoll.
»Ich liebe dich«, flüsterte Riley, als er sich von ihm löste.
Thorne schenkte ihm ein liebevolles Lächeln. Dann griff er nach Thomas, die kleine Lokomotive. »Das hier hat mein Dad mir ständig vorgelesen. Er wollte, dass ich wie diese kleine Lokomotive bin. Dass ich niemals aufgebe. Aber manchmal wollte ich einfach stehen bleiben, die Umgebung betrachten … Außerdem ist dieser verdammte Clown so was von verstörend.«
Riley konnte ein Lachen nicht zurückhalten. »Schon, oder?«
»Zuerst habe ich es behalten, um mich daran zu erinnern, dass ich alles schaffen kann. Aber dann, nachdem ich dich getroffen habe, habe ich erkannt, dass es okay ist, einfach mal stehen zu bleiben. Es ist okay, eine Weile einfach nur die Umgebung zu betrachten.«
Riley drückte Thornes Hand fest. »Ich finde es wunderschön, dass ich das für dich tun konnte.«
»Ich auch. Riley, du hast mir beigebracht, dass ich endlich damit aufhören muss, mich zu verausgaben. Ich kann nicht völlig allein einen ganzen Zug bergauf ziehen.«
Riley lächelte. Gott, wenn er das nur selbst endlich begreifen könnte.
Es war ein ernster Moment. Gut, aber ernst. Thorne musste es wohl auch spüren, denn er legte seine Kinderbücher auf den Karton und stand auf. »Wir können sie nebeneinander auf ein Regal stellen, wenn du magst. Meine stehen in diesem Glasschrank neben dem Schreibtisch. Ich fände es schön, wenn du deine auch dorthin stellst.«
»Das fände ich auch schön.« Riley hob seinen Karton an und folgte Thorne ins offene Wohnzimmer.
Thorne öffnete den Schrank.
Riley erblickte eine Ausgabe von Schwalben und Amazonen, daneben weitere Bände dieser Reihe. Im Schrank standen noch einige andere Bücher, aber es gab genug Platz für Rileys Sammlung. Es war lächerlich, aber trotz allem spürte Riley, wie seine Wangen heiß wurden, als er die Bücher aus dem Karton nahm und sie in den Schrank stellte. Er hatte so viel mit Thorne geteilt, Momente, die intimer nicht hätten sein können, doch das hier war etwas anderes.
Thorne fuhr über den Einband des ersten Buches Gute Nacht, lieber Mond.
»Meine Mom hat mir das jeden Abend vorgelesen, als ich noch ein Kleinkind war«, erklärte Riley. »Immer wieder wollte sie mich zu einem anderen Buch überreden. Aber das hier war das einzige, das ich hören wollte.«
Das nächste Buch war Wilbur und Charlotte.
»Ich habe mir oft gewünscht, so eine tolle Freundschaft zu erleben wie die zwischen Wilbur und Charlotte. Habe ich aber nie. Bis ich Marc getroffen habe.« Riley sah auf. »Und dann habe ich dich getroffen.«
»Ich werde dich immer beschützen«, sagte Thorne. So ernst hatte Riley ihn nur selten erlebt.
Riley hob die Hand und legte sie auf Thornes Wange. »Das weiß ich doch. Immerhin habe ich dich in Aktion erlebt.«
Thorne hatte damals im Museum tatsächlich einem früheren Kunden von Riley eine reingehauen. Der Mann hatte Riley zutiefst beleidigt, weil er angenommen hatte, dass Riley nur wegen des Geldes mit einem Dreier einverstanden wäre. Nun hatte der Mann im Museum Hausverbot.
Thorne sah ihm tief in die Augen. »Ich würde alles tun, um dich glücklich zu machen, wenn du es nur zulässt.«
Riley war schon versucht, nachzugeben. Fast hätte er zugestimmt, Thorne gesagt, dass er das Startkapital von ihm annehmen würde; und auch alles andere, was er ihm geben wollte. Doch er tat es nicht. »Ich brauche etwas Zeit. Ich muss überlegen, welche Dinge für mich okay sind und welche nicht.«
»Riley, ich würde dir so gerne etwas schenken. Ich will dir helfen, dich unterstützen. Und ich hoffe, du weißt, dass ich dafür keine Gegenleistung erwarte.«
»Und mir ist es wichtig, klare Grenzen abzustecken. Ich will nicht, dass du alles für mich übernimmst. Das wäre zu einfach.«
Nun wirkte Thorne verwirrt. »Riley, ich will doch einfach nur, dass du du selbst bist. Ich will dich nicht kontrollieren.«
Riley hob die Augenbrauen. »Vor ein paar Minuten hast du noch gesagt, dass …«
Thorne seufzte übertrieben theatralisch. »Das war ein Witz, ich hoffe, das ist dir klar.«
Sei kein Arsch.
Riley entschied sich, auf seine innere Stimme zu hören. Er schlang die Arme um Thorne und zog ihn in eine Umarmung. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch«, sagte Thorne, bevor er sich von ihm löste. »Geh doch mal und pack den Rest deiner Klamotten aus. Ich kümmere mich um die Kochbücher und die DVDs.« Tatsächlich war Riley einer der wenigen Männer in seinem Alter, der noch DVDs kaufte. »Und dann können wir Cheesecake essen.«
Thorne versuchte schon wieder, die Kontrolle zu übernehmen. Doch diesmal ließ Riley es zu.