Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johannes Cassianus
Издательство: Bookwire
Серия: Die Schriften der Kirchenväter
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783849659912
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Gottes geschehen, daß der Fuß seines Glaubens nicht wankte. Ferner sagt er: 121 „Nach der Menge der Schmerzen in meiner Brust“ — die mir wohl aus meiner Freiheit entstanden — „erfreuten deine Tröstungen meine Seele,“ — die nemlich durch deine Einflößung in mein Herz kamen, mir die Betrachtung der künftigen Güter erschloßen (die du denen bereitet hast, welche für dich sich abmühen) und so nicht nur alle Angst meines Herzens hinwegnahmen, sondern auch die höchste Freudigkeit mir brachten. An anderer Stelle heißt es: 122 „Hätte nicht der Herr mir geholfen, so hätte beinahe meine Seele in der Hölle gewohnt.“ Er gesteht also, daß er durch die Verkehrtheit des freien Willens schon in der Hölle wäre, wenn er nicht durch Gottes Hilfe und Schutz gerettet worden wäre. „Denn vom Herrn,“ 123 nicht vom freien Willen „werden die Schritte der Menschen gelenkt;“ und „wenn der Gerechte fällt,“ nur durch seine Freiheit, „so wird er sich nicht zerschmettern.“ Warum? „Weil der Herr seine Hand unterlegt.“ Das heißt doch offenbar sagen: Kein Gerechter ist sich selbst genug zur Erlangung der Gerechtigkeit, wenn nicht die göttliche Güte jeden Augenblick dem Wankenden und Stürzenden ihre Hand als Stütze unterlegt, damit er nicht im Sturze ganz zu Grunde gehe, wenn er durch die Schwäche des freien Willens zu Fall kam.

       13. Daß die Leitung unseres Lebens von Gott sei.

      

      Und in der That haben die hl. Männer niemals die Führung auf dem Wege, auf welchem sie bei ihrem Streben nach Fortschritt und Vollendung in den Tugenden wandelten, ihrem eigenen Thun und Festhalten zugeschrieben, sondern erbaten sie vielmehr vom Herrn und flehten: 124 „Führe mich in deiner Wahrheit und leite vor deinem Angesichte meinen Weg!“ Und: 125 „Thue kund mir den Weg, auf welchem ich wandeln soll.“ Ein Anderer aber verkündet, er habe eben das nicht durch den Glauben, sondern auch durch Erfahrung und gleichsam aus der Natur der Dinge selbst gefunden: 126 „Ich erkenne, o Herr, daß der Weg des Menschen nicht bei ihm steht, und daß es nicht in der Macht des Mannes steht, zu wandeln und seine Schritte zu lenken.“ Und der Herr selbst spricht zu Israel: 127 „Und ich werde ihn aufrichten wie eine grünende Tanne, und durch mich soll Frucht an dir gefunden werden.“

       14. Daß die Wissenschaft des Gesetzes durch Belehrung und Erleuchtung Gottes ertheilt wird.

      

      Auch die Wissenschaft des Gesetzes verlangen sie nicht durch die eifrige Lesung zu erhalten, sondern durch die tägliche Belehrung und Erleuchtung Gottes und rufen zu ihm: 128 „Zeige mir, o Herr, deine Wege, und deine Pfade lehre mich!“ Und: 129 „Öffne meine Augen, so will ich die Wunder deines Gesetzes betrachten.“ Ferner: „Lehre mich deinen Willen thun, weil du mein Gott bist.“ Endlich: 130 „Der du lehrest den Menschen Wissenschaft.“

       15. Daß die Einsicht, die Gebote Gottes zu erkennen, und die Neigung des guten Willens vom Herrn gegeben werde.

      

      Auch die Einsicht, die Gebote Gottes zu erkennen, die er im Gesetzbuch verzeichnet wußte, verlangt der hl. David vom Herrn zu erhalten, indem er sagt: 131 „Dein Diener bin ich; gib mir Verstand, deine Gebote zu lernen!“ Er besaß doch wohl den ihm schon von Natur verliehenen Verstand, und auch die Kenntniß der Gebote, die im Gesetzbuch geschrieben standen, hatte er in Bereitschaft, und doch bittet er Gott, daß er Dieß noch mehr erfasse, da er wohl weiß, daß ihm durchaus nicht genügen könne, was durch den natürlichen Zustand verliehen ist, wenn nicht sein Sinn durch tägliche Erleuchtung Gottes zum geistigen Verständniß des Gesetzes und zur klarern Erkenntniß der Gebote erhellt worden. Das Gesagte lehrt uns auch noch deutlicher gerade das Gefäß der Auserwählung in der Stelle: 132 „Denn Gott ist es, der in uns das Wollen und Vollbringen bewirkt nach seinem Wohlgefallen.“ Und wieder: 133 „Verstehe, was ich sage, denn der Herr wird dir Verständniß geben.“ Was sagt er hiemit offenbar Anderes, als daß sowohl unser guter Wille als auch die Vollendung des Werkes vom Herrn in uns zu Stande komme? Weiterhin sagt er: 134 „Euch ist es gegeben für Christus, nicht nur an ihn zu glauben, sondern auch für ihn zu leiden.“ Auch hier erklärt er also, daß sowohl der Anfang der Bekehrung und unsers Glaubens als auch die Ertragung der Leiden uns vom Herrn geschenkt werde. In dieser Einsicht betete David gleichfalls, es möge ihm das vom Herrn gegeben werden, und spricht: 135 „Befestige, o Herr, was du in uns gewirkt hast.“ Er zeigt hiemit, daß ihm die durch Gottes Geschenk und Gnade verliehenen Anfänge des Heiles nicht genügen, wenn sie nicht ebenso durch sein Erbarmen in täglicher Hilfe vollendet würden. Denn nicht der freie Wille, sondern Gott löst die Gefesselten: 136 nicht unsere Kraft, sondern Gott richtet auf die Gebeugten: nicht der Eifer in der Lesung, sondern Gott erleuchtet die Blinden, wie es im Griechischen heißt: κύριος σοφοῖ τύφλους, d. h. Gott macht weise die Blinden. Nicht unsere Vorsorge, sondern Gott beschützt die Fremdlinge; nicht unsere Kraft, sondern Gott erleichtert und stützt Alle, die fallen. Das aber sagen wir nicht, um unser Streben und Mühen und Trachten als eiteln und überflüssigen Aufwand für Nichts zu erklären, sondern damit wir wissen, daß wir ohne Hilfe Gottes weder streben können noch Erfolg haben werden bei unsern Versuchen, jenen übergroßen Preis der Reinheit zu ergreifen, wenn er uns nicht durch Gottes Hilfe und Erbarmen zugetheilt wird. Denn: 137 „Das Roß wird gerüstet auf den Tag der Schlacht, vom Herrn aber kommt die Hilfe;“ 138 denn nicht in seiner Tapferkeit ist mächtig der Mann, 139 und unverlässig ist das Roß, wo es Rettung gilt, damit, wer immer sich rühmt, im Herrn sich rühme.“ 140 Wir müssen also immer mit dem hl. David singen: 141 „Meine Stärke und mein Lob ist“ nicht der freie Wille, sondern „der Herr; und er ist mir zum Heile geworden.“ Das wußte der Völkerlehrer gar wohl und bekannte deßhalb, er sei nicht durch eigenes Verdienen und Abmühen tauglich geworden zum Dienste des neuen Testamentes, sondern durch Gottes Erbarmen. So sagt er: 142 „Nicht als wären wir tauglich. Etwas zu denken von uns aus, wie aus uns sondern unser Genügen ist aus Gott.“ Dafür könnte man zwar in weniger gutem Latein, aber mit mehr bezeichnendem Ausdruck sagen: Unsere Tauglichkeit 143 ist aus Gott. Endlich folgt: „Der uns auch zu tauglichen Dienern des neuen Testamentes gemacht hat.“

       16. Daß gerade der Glaube vom Herrn geschenkt werde.

      

      So weit gingen die Apostel in der Meinung, es werde ihnen alles zum Heile Gehörige vom Herrn geschenkt, daß sie sich die Verleihung des Glaubens von ihm erbaten mit den Worten: „Herr, vermehre uns den Glauben!“ Sie schrieben also die Fülle desselben nicht dem freien Willen zu, sondern glaubten, daß sie ihnen durch Gottes Geschenk müsse ertheilt werden. Endlich lehrt uns gerade der Urheber des menschlichen Heiles selbst, wie unser Glaube so leicht ausgleitend sei und schwach und keineswegs sich selbst genügend, wenn er nicht durch Gottes Hilfe gestärkt sei. Er spricht also zu Petrus: „Simon, Simon, siehe der Satan hat euch wie Weizen zu sieben gesucht; aber ich habe meinen Vater gebeten, daß dein Glaube nicht hinfällig werde.“ So Etwas hat wohl ein Anderer in sich bemerkt und gesehen, wie sein Glaube durch die Brandung des Unglaubens gleichsam an die Felsenriffe zu verderblichem Schiffbruch gedrängt werde, weßhalb er zum Herrn mit der Bitte um Glaubensstärkung sprach: „Herr, hilf meinem Unglauben!“ 144 So sehr also glaubten alle evangelischen und apostolischen Männer, daß alles Gute durch Gottes Hilfe vollendet werde, und bekannten, wie sie nicht einmal ihren Glauben mit eigener Kraft oder durch die Willensfreiheit unversehrt bewahren könnten: daß sie vom Herrn ebensowohl die Unterstützung desselben als die Schenkung erflehten. Wenn dieser in Petrus, um nicht zu schwinden, der Hilfe des Herrn bedürfte, wer wird dann anmaßend und blind genug sein, um zu glauben, daß er zu dessen Bewahrung nicht der täglichen Hilfe Gottes bedürfe, zumal der Herr selbst im Evangelium gerade das deutlich und ausdrücklich lehrt, indem er sagt: 145 „Wie der Rebzweig nicht Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn er nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt“? Und wieder: „Ohne mich könnt ihr Nichts thun.“ Wie thöricht und gotteslästerlich