Der Hintergrund meiner Gespräche war stets herauszufinden, ob sich die weiblichen von den männlichen Verwaltungsratsmitgliedern in irgend einer Art und Weise, durch ihre Aussagen, Meinungen, Behauptungen, Erfahrungen unterscheiden.
Wie Sie gleich lesen werden, gibt es verschiedene Tendenzen von weiblichen und männlichen Merkmalen, aber eine klare Geschlechter spezifische Unterscheidung auszumachen, ist schwierig. Es herrscht vor allem eine lebhafte Diversität und Vielfalt. Das ist gut so und trägt Wesentliches zu einem funktionierenden Gremium bei.
A.VR-Mitglieder und ihre Beziehungen
1.Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern
Frage: Wie nehmen Sie die Beziehungen unter den Verwaltungsratsmitgliedern wahr? Wie sehr spielt das Zwischenmenschliche eine Rolle?
Meine Gespräche mit den Verwaltungsräten habe ich jeweils mit dieser Frage begonnen. Wieso? Weil auch ein Verwaltungsratsgremium nichts anderes ist als eine Gruppe von Menschen, die sich zu einer Gemeinschaft zusammengefunden hat und nur durch menschliche Beziehungen, gegenseitiges Vertrauen und individuelle Verhaltensmuster überhaupt existieren kann. Über die Sensibilität und die Wahrnehmung dieser Verbundenheit und das Gefühl der Zusammengehörigkeit in einem Verwaltungsrat haben sämtliche Gesprächsteilnehmer gerne und teilweise ausführlich gesprochen. In einem Punkt sind sich, wie Sie nachstehend lesen werden, sämtliche weiblichen und männlichen Verwaltungsräte einig: Die Beziehungen unter den Mitgliedern, das Zwischenmenschliche und der soziale Umgang miteinander haben eine grosse Bedeutung. Aber es gibt Nuancen.
In einem börsenkotierten, international besetzten Verwaltungsrat braucht es mehr Zeit, um Beziehungen etablieren zu können; man muss aktiv darum bemüht sein, dass sich ein Team bildet. Das ist eine der Aufgaben des Verwaltungsratspräsidenten. Beziehungen entstehen vorwiegend durch das gemeinsame Reisen und Logieren, auch durch die gemeinsamen Mittag- und Abendessen, und natürlich durch die Sitzungen. Der Austausch vor und nach den Sitzungen ist rege; man hat Zeit. Was einerseits dazu führt, dass man produktiver ist, und andererseits eine grössere Zusammengehörigkeit unter den Mitgliedern aufkommen lässt.
Für einen globalen Verwaltungsrat ist für die Diversität wichtig, dass er Mitglieder aus den USA und aus Asien hat. Problematisch wird es dann, wenn diese Leute wegen einer Sitzung für nur einen Tag anreisen müssen und danach gleich wieder zurückfliegen. Besonders in schwierigen Situationen muss ein Verwaltungsrat im Team funktionieren und für das Unternehmen Zeit haben. Das heisst: auf Führungskräfte eingehen, mit diesen zusammensitzen und Inputs geben. Einem Verwaltungsrat, der von sehr weit weg anreist, kann man aber nicht zumuten, jedes Mal für eine Woche zu bleiben. Eine Lösung des Problems besteht darin, Leute zu suchen, die zwar in den jeweiligen Ländern gearbeitet, gewohnt und Erfahrung gesammelt haben, jetzt jedoch wieder in der Schweiz leben.
Anders sieht es in einem Verwaltungsrat eines regionalen Unternehmens aus. Dort kennen sich die Mitglieder meist schon von ausserhalb des Gremiums und entstammen mehr oder weniger demselben kulturellen Hintergrund; die menschlichen Beziehungen sind evident und manchmal sogar sehr stark. Eine Teambildung entsteht so fast automatisch, auch schon deshalb, weil das eine oder andere Geschäft ausserhalb des Verwaltungsrates getätigt wird. Das ist natürlich manchmal nicht unproblematisch, weil die für das Funktionieren des Verwaltungsrates unabdingbare Unabhängigkeit seiner Mitglieder nicht mehr vollständig gewährleistet ist.
Unterschiede bestehen auch zwischen einem normalen Verwaltungsrat und einem Familien-Verwaltungsrat, wo die Familien mit ihren schon bestehenden persönlichen Beziehungen im Gremium vertreten sind. Für einen aussenstehenden, nicht zur Familie gehörenden Verwaltungsrat ist die Kunst, zu spüren, was im Interesse eines guten Geschäftsprozesses liegt, und als Moderator so einzuwirken, dass eine positive Energie entsteht. Häufig stehen Familiengeschichten dahinter, alte Geschichten über Generationen, Enttäuschungen, Streit, Intrigen; das sieht man den Leuten nicht an. Auch wie die Familienmitglieder sozialisiert worden sind, spielt immer eine wichtige Rolle, im Positiven wie im Negativen. Sind es Söhne, Töchter, Stiefsöhne, Stieftöchter, älterer Bruder, ältere Schwester, Einzelkind, verschiedene Ehen – die Liste könnte beliebig verlängert werden. All diese Familienkonstellationen können zugunsten des Geschäftlichen in einem Verwaltungsrat nicht einfach beiseitegeschoben werden. Wie überall geht es meist um Macht, Geld und Einfluss. Es kann sich für einen externen Verwaltungsrat als schwierig erweisen, klare und harte Aussagen zu formulieren und sich gleichzeitig bei den einen oder anderen Familienmitgliedern nicht unmöglich zu machen. Dazu braucht es viel Menschenkenntnis und immer auch den richtigen Tonfall. Neu eintretende Verwaltungsräte sind sich solcher Situationen meist bewusst; sie nehmen gerade deswegen gerne ein Mandat in einem Familien-Verwaltungsrat an. Aber das Angebot an qualifizierten Kandidaten ist beschränkt.
Die Grösse eines Verwaltungsrates hat auch einen Einfluss auf die Beziehungen. Bei einer Gruppe von zehn bis zwölf Mitgliedern gibt es automatisch sogenannte Untergruppen, die sich organisieren und meistens auch über ihre Meinungsbildung miteinander reden. Eigentlich ist es Sache des Verwaltungsratspräsidenten, dies zu verhindern und Beziehungen unter allen Mitgliedern zu fördern. Und trotzdem kommt es vor, dass sich vereinzelte Verwaltungsratsmitglieder vorgängig absprechen und solche Bündnisse den übrigen Mitgliedern überraschend an einer Sitzung vortragen. Das ist nicht gewünscht. Es ist jedoch ziemlich selbstverständlich, wenn ein Verwaltungsratsmitglied einen Vorstoss machen möchte, er zuerst sondiert, ob seine Idee gut ankommt
Die Geschlechterunterschiede spielen bei den meisten Verwaltungsräten für die Beziehungen keine Rolle. Im Gremium muss es menschlich stimmen, was sich als direkter Motivationsfaktor für das Unternehmen auswirken kann. Dazu braucht es auch soziale Fähigkeiten wie Verlässlichkeit, Glaubwürdigkeit, Einfühlungsvermögen, Toleranz, Belastbarkeit, Frustrationstoleranz, Kritikfähigkeit und Lernbereitschaft. Man muss nicht miteinander befreundet sein; bestehende Freunde in einen Verwaltungsrat zu holen, wird von sämtlichen Verwaltungsräten abgelehnt; das könne nicht gut herauskommen. Was aber nicht heisst, dass nicht mit der Zeit Freundschaften entstehen und die Beziehungen dann bis ins Private reichen können. Eine gesunde Distanz ist auch zugunsten einer Streitkultur trotz allem immer gut. Und wie überall, wo Menschen miteinander interagieren, ist es normal, dass man sich mit dem einen oder anderen Mitglied besser versteht. Ganz bestimmt ist ein Verwaltungsrat aber keine gemütliche Runde, sondern ein seriöses Gremium.
Natürlich ist es angenehm, wenn die Mitglieder eines Verwaltungsrates von den Persönlichkeitsstrukturen her zueinander passen. Das ist dem Nutzen für das Unternehmen förderlich und hat Einfluss auf ein gut zusammenspielendes Team. Dafür spielen unter anderem der respektvolle Umgang und das Empfinden, von seinen Kollegen ernst genommen zu werden, eine grosse Rolle. Es gibt aber auch Mitglieder, die eher distanziert sind, sich vorwiegend auf das Mandat konzentrieren und für Smalltalk weniger zugänglich sind. Andere trennen strikte das Geschäftliche und Private; ihre Beziehungen sind rein professionell. All das zu akzeptieren gehört zu einer toleranten Beziehung untereinander. Solange immer eine klare Verpflichtung zum Wohle des Unternehmens erkennbar ist, stellt es auch kein Problem dar.
Besonders wichtig sind die menschlichen Beziehungen in einem Verwaltungsrat für die Kommunikation. Die Leute drücken sich einfacher und freier aus, wenn sie die Gesichter am Tisch kennen und eine gute Beziehung untereinander haben. Andernfalls kann es sein, dass Hemmungen entstehen und lieber geschwiegen wird.
Verwaltungsrätinnen äusserten sich dazu wie folgt:
Sicherheit – Vertrauen