Der neue Landdoktor Staffel 7 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740953676
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Dörfern und Städtchen wachten. Die Gipfel mit ihren kahlen Felsen, die Gletscher mit ihren vereisten Spitzen, es war ein beeindruckendes Panorama, das sich ihr zeigte.

      »Die Skiflugschanze«, sagte Kai, als sich vor der Kulisse des Nebelhorns der nach hinten geneigte Turm erhob, der als Anlauf für die Skispringer diente.

      »Wie hoch ist der Turm?«, fragte Britta und schaute auf das respekteinflößende Bauwerk mit den beiden halbrunden Aussichtsplattformen.

      »Der Turm ist 72 Meter hoch. Auch wenn ich wirklich sportbegeistert bin, auf die Idee, von dort oben auf Skiern abzufahren, um mich dann ins Nichts zu stürzen, bin ich nie gekommen.«

      »Aber ich bin sicher, du hast schon Dinge getan, für die du dich überwinden musstest.«

      »Wie kommst du darauf?«, fragte er und sah sie kurz an.

      »Weil es zu dir passt. Was war es?«, hakte sie nach, als er lächelte.

      »Mein erster Fallschirmsprung. Ich hätte den Fallschirm am liebsten wieder abgelegt.«

      »Sagtest du nicht gerade, du seist nicht so verrückt, dich ins Nichts zu stürzen?«

      »Nicht mit Skiern.«

      »Dafür aber aus einer Höhe von mehreren Kilometern.«

      »Sobald der Fallschirm aufgeht, ist alles gut.«

      »Und vorher?«

      »Adrenalin pur«, antwortete Kai mit einem jungenhaften Lächeln, in das sich Britta sofort verliebt hätte, wäre das nicht schon längst passiert.

      Ulrike hat recht, ich muss mich zusammenreißen. Ich habe ihn doch gerade erst kennengelernt, ich sollte ein bisschen zurückhaltender sein, was meine Gefühle betrifft. Andererseits, Richard hatte sie gekannt, solange sie zurückdenken konnte, trotzdem war es nicht gut gegangen.

      »Wofür hast du deine Ängste überwinden müssen?«, wollte Kai jetzt von ihr wissen.

      »Es war während einer Theateraufführung in der Schule. Wir hatten eine moderne Fassung von Hänsel und Gretel einstudiert, mit Gesangseinlagen. Während der Proben hat das bei mir auch prima funktioniert. Als ich dann auf der Bühne stand und die Zuschauer sah, bekam ich plötzlich keinen Ton heraus. Mir ist der Schweiß ausgebrochen, und ich dachte, dass ich mich gleich ganz fürchterlich blamiere.«

      »Was hast du getan?«

      »Ich habe die Augen zugemacht und mir gewünscht, ohnmächtig zu werden. Ich wollte einfach nur noch weg. Aber der Junge, der den Hänsel gespielt hat, kannte meinen Text ebenso gut wie seinen. Er hat angefangen, meinen Text zu singen, und ich habe dann einfach mitgesungen.«

      »Dann war er wohl ein verlässlicher Partner.«

      »Er hat mich gerettet.«

      »Wie alt wart ihr damals?«

      »Sechzehn. Aber ehrlich gesagt, denke ich nicht so gern an dieses Ereignis zurück. Wie weit ist es noch bis zur Glasbläserei?«

      »Wir sind in fünf Minuten dort.«

      Britta sah wieder aus dem Fenster, betrachtete die malerischen Häuser, die die Straßen von Oberstdorf säumten. Lüftlmalereien, hin und wieder auch geschnitzte Holzfiguren schmückten die Fassaden. Farbenprächtige Blumen in Balkonkästen und neben den Haustüren hießen Einheimische und Urlaubsgäste willkommen.

      Auch wenn sie es gar nicht wollte, fühlte sie sich Richard auf einmal wieder ganz nah. Er hatte damals den Hänsel in diesem Theaterstück gespielt und ihr geholfen, die Aufführung nicht zu sprengen.

      Damals auf dieser Bühne hatte sie ihn zum ersten Mal mit anderen Augen angesehen. Vielleicht war das sogar der Moment gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie sich ein paar Jahre später in ihn verliebte.

      Er war nach der Schule nach Hamburg gegangen, um dort zu studieren. Ihm gefiel das Großstadtleben, und er kam nur noch selten nach Hause. Sein Onkel überredete ihn irgendwann, in seiner Klinik anzufangen. Schon an seinem ersten Tag dort half er ihr, einen aufgebrachten Patienten zu beruhigen, der ihre Gymnastikübungen als Tortur bezeichnete. In diesem Moment hatte er ihr Herz wohl endgültig erobert.

      »Dieser Junge, der dir aus der Verlegenheit geholfen hat, das war Ulrikes Bruder, habe ich recht?«, fragte Kai, der sich ihr kurz zuwandte, aber gleich wieder auf die Straße schaute.

      »Wie kommst du darauf?«, wunderte sie sich, dass er es sofort erraten hatte.

      »Dein Blick, als du von deinem Retter von damals sprachst, hat mir gezeigt, dass er dir viel bedeutet hat. Nach dem, was du mir erzählt hast, gehe ich davon aus, dass ihr zusammen zur Schule gegangen seid.«

      »Gut kombiniert.«

      »Ich bin Lehrer und ich habe ge­lernt, Stimmungen einzuschätzen und Schlüs­se daraus zu ziehen. Ich unterrichte Teenager, die testen gern ihre Grenzen aus.«

      »Im Sportunterricht sollen sie das doch auch.«

      »Ich unterrichte auch Geologie in der Oberstufe. Ein Fach, das die meisten Schüler als Pausenstunde einstufen und gern verschlafen.«

      »Wie motivierst du sie?«

      »Ich suche mir die heraus, denen bereits die Augen zufallen, und frage sie nach ihrer Meinung zum aktuellen Thema. Was sie daran nervt oder warum sie glauben, dass ihnen das Wissen darüber nichts nützt. Bisher habe ich es jedes Mal geschafft, eine lebhafte Diskussion in der Klasse anzustoßen. Am Ende der Stunde hatte ich ihnen genau den Stoff vermittelt, den ich mir vorgenommen hatte.«

      »Diese Unterrichtsmethode stelle ich mir anstrengend vor.«

      »Nein, eigentlich nicht. Meine Schüler beschäftigen sich mit dem Lehrstoff, und in den Arbeiten, die ich schreiben lasse, ist die Note vier eine absolute Ausnahme. Die meisten schneiden wesentlich besser ab. Das ist jede Anstrengung wert.«

      »Und deine Kollegen fragen sich, wie du das machst.«

      »Inzwischen nicht mehr. An unserer Schule ist es glücklicherweise so, dass erfolgreiche Modelle kopiert werden. Wir sind da«, sagte er, als er gleich darauf in einen Waldweg einbog, kurz nachdem sie Oberstdorf durchquert hatten.

      Britta war froh, dass sie endlich angekommen waren. Der Besuch der Glasbläserei würde sie wieder an die Zukunft denken lassen.

      Richard gehörte zu ihrer Vergangenheit.

      Ihre Erinnerung an ihn durfte ihre Gegenwart nicht beeinflussen.

      Die Glasbläserei lag am Rande eines dichten Tannenwaldes. Es gab dort ein zweistöckiges Wohnhaus aus dunklen Holzbohlen mit gelben Fensterläden und eine angebaute Scheune aus hellem Holz. Über dem Eingangstor der Scheune hing ein aus Glas gefertigtes Schild mit dem Namen des Besitzers. Auf der Wiese hinter dem Anwesen, die als Parkplatz diente, standen schon einige Autos, vorwiegend mit außerbayerischen Kennzeichen.

      Britta staunte über die Einrichtung der Glasbläserei, als sie die Scheune gleich darauf betraten. Die glühenden Öfen und die Werkbänke, an denen die Handwerker saßen, um die erhitzten Gläser zu kühlen und fertigzustellen, standen auf einem steinernen Podest, das ungefähr ein Drittel des Innenraumes ausmachte. Der Rest des Raumes war mit Dielen ausgelegt und mit rustikalen Holztischen und Stühlen eingerichtet. An den Wänden waren Vitrinen mit fertiggestellten Glaskunstwerken aufgereiht. Dunkle Dachbalken, die in die hohe Decke eingezogen waren, sorgten für eine gemütliche Atmosphäre. Die Küche und die Sanitäranlagen waren in einem weiß getünchten Steinhaus ein paar Schritte von der Scheune entfernt untergebracht.

      Junge Mädchen in schwarzen Röcken und weißen Blusen und junge Männer in schwarzen Hosen und weißen Hemden brachten Essen und Getränke über den Hof herein. Die Gäste schlenderten währenddessen an den Vitrinen entlang oder saßen bereits an den Tischen und sahen zu, wie die Glasbläser das erhitzte Glas aus den Öfen holten und mit Hilfe ihres Atems zu wundervollen fragilen Gegenständen formten.

      »Willst du dich erst ein wenig umsehen, bevor wir uns einen Platz suchen?«, fragte Kai.

      »Ja,