»Es gibt Kollegen und Kolleginnen, die von unserer Zusammenarbeit nicht gerade schwärmen, da ich kein Gynäkologe bin«, sagte Sebastian.
»Die haben doch keine Ahnung«, mischte sich Emilia ein. »Anna ist eine super Hebamme, und du hast als Chirurg in der Unfallklinik in Toronto gearbeitet. Was bitte will eine werdende Mutter mehr als so ein super Team, das dazu noch…«
»Das dazu noch?«, fragte Sebastian schmunzelnd, als Emilia kurz innehielt.
»O Mann, Papa, du weißt schon, was ich meine«, stöhnte sie.
»Du meinst, wir sind auch ein super Paar?«
»Ja, genau«, erklärte Emilia und nahm sich noch einen Krautwickel mit viel Soße.
»Wir sind ein super Paar?«, fragte Anna, als Emilia auch ihr einen Krautwickel auf den Teller legte.
»Ja, ungefähr so wie Superman und seine Verlobte Lois Lane, die haben auch gemeinsam dafür gesorgt, dass es den Menschen gut geht.«
»Unser Spatzl umgibt sich heute mit Superhelden. Angefangen hat es damit, dass sie Sebastian als super Diagnostiker bezeichnet hat«, fügte Traudel als Erklärung für Anna hinzu.
»Dem werde ich nicht widersprechen.«
»Das tut niemand von uns«, sagte Traudel und nickte dabei.
»Hat es einen bestimmten Grund, warum du seine Fähigkeiten in dieser Disziplin erwähnt hast?«, wollte Anna von dem Mädchen wissen, während sie sich die Krautwickel und die Petersilienkartoffeln schmecken ließ.
»Meinem Sportlehrer geht es nicht so gut. Ich habe ihm geraten, Papa aufzusuchen«, sagte Emilia und erzählte Anna von dem Vorfall am Vormittag in der Sportstunde.
»Ich hoffe, er folgt deinem Rat.«
»Ja, ich auch. Ich meine, dass er dauernd krank ist, kann nicht gesund sein oder?«, fragte sie mit verschmitztem Blick.
»Scherzkeks«, sagte Sebastian und verwuschelte Emilias Haar.
»O Mann, Papa, jetzt muss ich mich wieder kämmen«, entgegnete das Mädchen und schob die Hand ihres Vaters beiseite.
»Ich kann dich kämmen«, schlug Anna vor.
»O ja, bitte, ich lasse mich so gern kämmen. Mama hat mich immer gekämmt, wenn ich gerade mal unleidlich war. Es hat mich beruhigt. Du machst das auch ziemlich gut«, versicherte sie Anna.
Sie ist die Richtige und zwar für beide, dachte Traudel und betrachtete Anna mit einem liebevollen Lächeln.
*
Zwei Tage später betrat Kai Küster die Praxis Seefeld. Emilia hatte ihn darauf vorbereitet, dass die Praxis voll sein würde, aber mit so einem Andrang hatte er nicht gerechnet. Sogar in der großen hellen Empfangsdiele drängten sich die Patienten. Einige wollten nur ein Rezept abholen, die meisten aber wollten zum Herrn Doktor, wie er hören konnte.
»Ja, bitte, was kann ich für Sie tun?«, fragte die pummelige ältere Frau in dem gestärkten weißen Kittel, die hinter dem Tresen stand, als er an der Reihe war.
»Mein Name ist Kai Küster. Ich möchte gern zu Doktor Seefeld«, sagte er.
»Freilich, das wollen alle«, entgegnete Gerti Fechner, die langjährige Sprechstundenhilfe in der Praxis Seefeld. Sie betrachtete den sportlichen jungen Mann mit einem freundlichen Lächeln.
»Sei bitte super nett zu ihm«, hatte Emilia sie gebeten, als sie ihr erzählt hatte, dass ihr Sportlehrer vielleicht in den nächsten Tagen in die Praxis kommen würde.
Sie hatte den gut aussehenden Mann mit den hellen blauen Augen und dem dunklen Haar sofort erkannt. Emilia hatte ihn gut beschrieben. »Heute dauert es leider ein bissel länger. Suchen Sie sich einen Platz im Wartezimmer und lassen Sie sich gut unterhalten«, sagte Gerti, nachdem sie seine Versicherungskarte eingescannt und ihn in eine Liste eingetragen hatte.
»Danke«, antwortete Kai höflich, obwohl er sich wunderte, warum sie ihm gute Unterhaltung wünschte. Schließlich erwartete ihn keine Filmvorführung oder so etwas Ähnliches.
Ein paar Minuten später wusste er, was sie gemeint hatte. Er saß auf einem der blau gepolsterten Stühle in der Ecke des nicht allzu großen Wartezimmers. Es war der letzte freie Platz gewesen, als er hereingekommen war. Außer der jungen Frau auf dem Stuhl zu seiner Linken schienen sich alle zu kennen. Alle redeten miteinander, und schon nach kürzester Zeit wusste er, dass Egon Teuchtner, dem die Apotheke in Bergmoosbach gehörte, wegen einer Erkältung nicht an dem Wanderwettbewerb teilnehmen konnte. Xaver Talhuber, der Bergmoosbacher Bürgermeister, würde bald seinen 65. Geburtstag feiern, und Miriam Holzer, die schöne Erbin des Sägewerks, war mit ihrem Assistenten für vier Wochen nach Jamaika geflogen. Kai konnte gar nicht umhin, den Leuten zuzuhören, dazu saßen sie in diesem Zimmer zu dicht beieinander.
Diese Warterei besaß durchaus einen gewissen Unterhaltungswert, zumindest erfuhr man so einiges über das Dorf.
Die junge Frau in Jeans und T-Shirt, die neben ihm saß, hörte, genau wie er, nur zu. Er erwischte sich dabei, wie er sie beobachtete. Ihm gefiel ihr Lächeln, das sich hin und wieder zeigte, wenn wieder jemand etwas Neues aus dem Bereich des Tratsches erzählte. Eigentlich gefiel ihm alles an ihr. Ihre zierliche Gestalt, das dunkelblonde lange Haar, die grünen Augen. »Sie sind nicht von hier?«, wandte er sich ihr irgendwann zu.
»Nein, ich wohne in der Eifel. Ich bin wegen des Wanderwettbewerbs in Bergmoosbach«, antwortete sie ihm freundlich. »Da Sie außer mir der einzige sind, der sich nur aufs Zuhören beschränkt, gehe ich davon aus, dass Sie auch nicht in Bergmoosbach zu Hause sind. Sind Sie auch wegen des Wanderwettbewerbs hier?«
»Nein, bin ich nicht. Ich bin zwar nicht aus Bergmoosbach, aber ich wohne nur eine halbe Stunde entfernt. In der Nähe von Garmisch.«
»Ist Doktor Seefeld Ihr Hausarzt?«
»Ich bin das erste Mal hier. Auf Empfehlung seiner Tochter. Sie ist meine Schülerin.«
»Welches Fach?«
»Sport.«
»Echt? Ich bin Gymnastiklehrerin an einer Rehaklinik.«
»Das klingt nach harter Arbeit.«
»Das ist es nur manchmal. Meistens habe ich Spaß an meiner Arbeit. Sie doch hoffentlich auch.«
»Ja, ich gebe zu, das habe ich«, antwortete er lachend. »Kai Küster«, stellte er sich vor und reichte ihr die Hand.
»Britta Kaufmann«, sagte sie und legte ihre linke Hand in seine. »Ich habe heute Vormittag an der Gymnastikstunde im Hotel teilgenommen. Ich wage es kaum zu sagen, aber ich befürchte, ich habe mir dabei die Hand verstaucht, deshalb bin ich auch hier«, klärte sie ihn auf, warum sie ihn nicht mit der rechten Hand begrüßte. »Gymnastiklehrerin verletzt sich bei Wellnessgymnastik. Klingt nicht sehr professionell«, fügte sie lächelnd hinzu.
»Freizeitsport eben«, entgegnete Kai und erwiderte ihr Lächeln.
»Stimmt, da ist die Aufmerksamkeit weniger hoch.«
»Ich nehme an, Sie sind in Begleitung nach Bergmoosbach gekommen.« Er hatte auf einmal den Wunsch, Britta näher kennenzulernen. Sollte sie aber bereits vergeben sein, würde er diese Idee sofort wieder fallen lassen.
»Richtig, ich bin in Begleitung«, sagte sie
»Das dachte ich mir schon«, entgegnete Kai enttäuscht.
»Meine beiden Freundinnen und ich haben uns als Dreierteam zum Wettbewerb angemeldet«, klärte Britta ihn auf, weil sie die Unterhaltung mit diesem charmanten jungen Mann gern fortsetzen wollte.
»Und wer wartet zu Hause auf Sie?«
»Auf meine beiden Freundinnen warten ihre Männer, die nicht viel vom Wandern halten und lieber ein paar Tage allein auf die Kinder aufpassen, statt ihre Frauen nach