»Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann sie gegangen ist. Und ja, ich weiß, was ihr über die leeren Flaschen denkt, die im Wohnzimmer stehen.«
»Gut, dann verzeih mir, wenn ich dich jetzt etwas frage, was dir vielleicht unangenehm ist, da ich auch nicht wirklich davon ausgehe, dass es so ist«, sagte Sebastian.
»Du willst wissen, ob ich ein Alkoholproblem habe«, nahm Paula es ihm ab, die Frage auszusprechen.
»Hast du?«
»Nein, im Gegenteil, ich vertrage Alkohol nicht gut, das heißt nicht, dass ich nie ein Glas trinken würde, aber eben nur zu besonderen Anlässen.«
»Gestern mit Ramona hast du etwas getrunken«, sagte Kilian.
»Ja, aber nur ein Glas Prosecco. Nicht genug, um in diesem halb ohnmächtigem Zustand aufzuwachen, in dem ich mich heute Morgen befunden habe.«
»Hast du eine andere Erklärung dafür?«, wollte Sebastian wissen.
»Was ist denn da los? Wieso führt Nolan sich denn so auf?«, fragte Kilian erstaunt, als er aus dem Fenster schaute.
Ramona, Anna und Emilia saßen auf der Bank unter der Ulme und warteten auf das Ergebnis von Paulas Untersuchung. Nolan, der gerade noch friedlich in der Sonne gelegen hatte, war aufgesprungen, als Ramona ihre Handtasche öffnete und ein Taschentuch herausnahm. Er hatte sich sofort auf die Handtasche gestürzt und zerrte daran.
»Lass los! Was soll denn das?!«, schimpfte Ramona, als Nolan nicht losließ.
»Nolan, aus!«, rief Emilia, die noch nie erlebt hatte, dass er sich so aufführte.
»Nolan!«, rief nun auch Anna, weil er zum ersten Mal nicht auf Emilia hörte.
»Nolan, aus!«, schaltete sich Sebastian ein, der nach draußen geeilt war, nachdem auch er aus dem Fenster geschaut hatte. Er packte Nolan an seinem Halsband, um ihn zu bändigen.
»Gib sie mir, sei brav«, redete Sebastian auf den Hund ein, der Ramona inzwischen die Tasse entrissen hatte.
»Danke«, sagte Kilian, als Nolan die Tasche direkt vor seinen Füßen fallen ließ. »Was ist da drin, Ramona? Was hat Nolan gerade so aufgeregt?«, wollte er wissen.
»Bin ich Hundeversteher?«, entgegnete sie schnippisch.
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Kilian, »aber trotzdem, du gestattest?« Er wartete ihre Antwort erst gar nicht ab und schaute in die Handtasche. Er war sicher, dass Nolan nicht ohne Grund auf die Tasche losgegangen war. »Wozu brauchst du die?« Er zog das Fläschchen mit den K.O.-Tropfen aus einem Seitenfach der großen Tasche.
»Keine Ahnung, was das ist«, sagte Ramona und schaute zu Boden.
»Ach nein? Ich denke, Sebastian sollte Paulas Blut auf Rückstände dieses Medikamentes prüfen lassen. Brav, Nolan, das hast du gut gemacht«, lobte er den Hund, der sich wieder ganz friedlich hingehockt hatte.
Er hatte seine Mission erfüllt.
»Er wird keine Rückstände finden«, erklärte Ramona grinsend.
»Ich bin mir nicht sicher. Die Tropfen lassen sich zwar nur wenige Stunde im Blut nachweisen, aber die Dosis, die Paula abbekommen hat, muss ziemlich hoch gewesen sein. Es könnten sich also durchaus noch Spuren in ihrem Blut finden lassen«, sagte Sebastian.
»Wow, du hast ihr das Zeug eingeflößt, um sie dann als Alkoholikerin dastehen zu lassen. Ein echt fieser Plan, dessen Erfolg Nolan wohl zunichte gemacht hat«, stellte Emilia fest und sah Ramona kopfschüttelnd an.
»Ich dachte, wir wollten Freundinnen sein«, sagte Paula, die mittlerweile auch im Hof war.
»Wir können keine Freundinnen sein. Du hast mein Leben zerstört. Du hast mir alles genommen.« Ramona war von der Bank aufgestanden und warf Paula einen vernichtenden Blick zu. »Warum bist du nicht einfach auf deinem Sofa liegengeblieben, statt eine Rettungsaktion zu provozieren?«, fuhr sie Paula an. So wie es aussah, war es sinnlos, ihre Tat zu leugnen. Das Fläschchen mit den Tropfen sprach für sich selbst, den Rest konnten sich alle zusammenreimen.
»Vielleicht hättest du mir eine Nachricht hinterlassen sollen, dass ich mich in der Nacht sinnlos betrunken habe und du für mich die Prüfung übernimmst«, antwortete Paula. Kilian hatte ihr auf der Fahrt zur Praxis kurz geschildert, was auf dem Trainingsgelände passiert war. »Vielleicht hätte ich dir geglaubt und mich für deine Hilfe bedankt. Andererseits, nein, ich denke, ich hätte mich nicht bedankt, weil ich es nicht geglaubt hätte.«
»Und was jetzt? Willst du mich anzeigen oder so etwas?«, fragte Ramona und baute sich vor Paula auf.
»Pst«, machte Anna, als Emilia schon Luft holte, um sich einzumischen. »Lass es Paula entscheiden«, raunte sie ihr zu.
»Nein, ich werde dich nicht anzeigen. Ich denke, es reicht, dass du unter dir selbst leidest.«
»Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit mir. Werde glücklich mit ihm, ich gehe. Für immer«, fuhr sie Kilian mit funkelnden Augen an und lief mit hoch erhobenem Kopf die Einfahrt hinunter.
»Sie kommt einfach so davon. Immerhin wollte sie dich als alkoholabhängig hinstellen und dich vor Kilian madig machen«, sagte Emilia und schaute Paula ungläubig an.
»Konnte sie denn einen von euch davon überzeugen, dass es so ist?«, fragte Paula in die Runde. »Dich vielleicht?«, wandte sie sich an Kilian.
»Ich gebe zu, ich habe kurz gezweifelt und darüber nachgedacht, wie ich dir helfen könnte.«
»Aber jetzt bist du froh, dass du mir in dieser Beziehung nicht behilflich sein musst?«
»Ja, schon, aber ich hätte dich auch nicht aufgegeben, wenn du ein Problem hättest, weil ich dich liebe und zwar genauso, wie du bist«, sagte Kilian und nahm Paula zärtlich in seine Arme.
»Ich liebe dich auch«, flüsterte sie ihm ins Ohr und schmiegte sich an ihn.
»Wuff«, machte Nolan und sah Emilia mit großen Augen an.
»Aber ja, du hast heute jede Menge Streicheleinheiten verdient. Du hast alles geregelt. Du hast Paula gefunden, Ramona überführt und dafür gesorgt, dass Paula und Kilian glücklich sind. Du bist der Held des Tages«, sagte sie, hockte sich neben ihn und umarmte ihn.
»Brombeerkuchen?!«, rief Traudel über die Hecke hinweg, die den Hof von der Terrasse vor dem Haus trennte.
Und natürlich nahmen alle ihre Einladung an.
Auch Benedikt kam kurz darauf dazu, als die Praxis wie jeden Freitag gegen Mittag schloss.
Paula ging es zusehends besser, und sie war froh, dass sie die Sache so gut überstanden hatte. Für Nolan aber wurde es ein ganz besonderer Tag. Paula war der Meinung, dass er mit seiner erfolgreichen Suche nach ihr bewiesen hatte, dass er zum Rettungshund taugte. Sie erklärte, dass er somit seine Prüfung bereits bestanden hatte und dass er seine Urkunde in der nächsten Woche erhalten würde.
»Wir werden aber trotzdem zur Prüfung kommen«, sagte Benedikt. »Ich denke, dass er Annika gern mit seiner Anwesenheit zeigen würde, dass er auch an ihren Erfolg glaubt.«
»Ja, die Liebe eben, jetzt hat sie auch Nolan erwischt. Die Liebe und Bergmoosbach, das gehört einfach zusammen«, erklärte Emilia lächelnd und nahm sich noch ein Stück Brombeerkuchen, das sie sich zufrieden mit der Welt, so wie sie war, schmecken ließ.
*
Zwei Wochen später kehrte Paulas Onkel aus der Kur zurück und brachte seine Freundin mit, die eine Weile auf dem Berghof wohnen würde, um sich die Gegend anzusehen. Paula nahm Kilians Angebot an und zog zu ihm. Sie würde ihm auch bei den Büroarbeiten helfen, bis er eine neue Assistentin oder einen Assistenten