»Ramona, bitte, mach es dir doch nicht selbst schwer.« Er entschied, sich doch einen Moment zu ihr zu setzen, um ihr klar zu machen, dass sie keinen Grund hatte, sich über irgendetwas aufzuregen.
»Du befürchtest also, ich könnte es mir schwer machen. Das heißt, du weißt, was ich für dich empfinde.«
»Wir haben nie darüber gesprochen.«
»Hätte es etwas geändert?«
»Nein. Es tut mir leid, Ramona, ich hatte nie vor, dir weh zu tun, und ich habe dir nie etwas vorgespielt, was unsere Beziehung betrifft.«
»Unsere Beziehung? Das klingt aufregend«, sagte Ramona und stach mit der kleinen Gabel in die Schokotorte. »Welche Art Beziehung ist das, die uns verbindet?«, fragte sie und schaute auf, während sie die mit Sahne und Eierlikör verfeinerte Schokotorte in ihrem Mund zergehen ließ.
»Ich denke, wir sind ein gutes Team, im Betrieb und bei der Bergwacht. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass wir auch Freunde sind.«
»Freunde, ja, sicher, wir sind Freunde«, murmelte sie.
»Wir werden auch Freunde bleiben, wenn du das willst.«
»Mit dir befreundet zu sein, ist mir aber nicht genug.«
»Es muss reichen. Mehr kann ich dir nicht geben«, sagte er und legte seine Hand auf ihre. Sie tat ihm jetzt fast ein bisschen leid.
»Dann ist es wohl so, aber erwarte nicht von mir, dass ich dir jetzt Glück wünsche. Ich bin sicher, du triffst die falsche Wahl.« Sie zog ihre Hand zurück und sah ihn mit zornfunkelnden Augen an. »Du solltest mich nicht unterschätzen, Kilian, so schnell werde ich nicht aufgeben.«
»Finde dich damit ab, dass ich jetzt mit Paula zusammen bin.« Sein Mitleid war bereits wieder verflogen. »Meine Schlüssel.«
»Bitte sehr.« Ramona nahm den Schlüsselbund aus ihrer Handtasche und knallte ihn so laut auf den Tisch, dass die Gäste an den anderen Tischen alle erstaunt aufsahen.
»Danke, ich hoffe, du beruhigst dich wieder«, sagte Kilian. Er erhob sich, nickte ihr noch einmal zu und verließ das Café.
»Du meine Güte, Schätzchen, was war denn los?«, erkundigte sich eine pummelige Blondine im zu engen roten Kostüm, die an einem der Nachbartische gesessen hatte und sich nun mit anteilnehmender Miene zu Ramona setzte.
»Dieses raffinierte Früchtchen«, schimpfte Ramona.
»Von wem sprichst du?«
»Sie spricht von Paula, Simone, der Nichte vom Werner«, mischte sich eine hagere Frau im grauen Dirndl ein, die mit einer Tüte Brötchen aus der Bäckerei nebenan kam und gesehen hatte, wie Kilian kurz zuvor Ramonas Tisch verlassen hatte.
»Und woher weißt du das, Draxlerin?«, wollte Simone Windfang, die Kosmetikerin aus dem Hotel Sonnenblick, von Elvira Draxler, der zweiten Vorsitzenden des örtlichen Landfrauenvereins, wissen.
»Ich habe gerade gehört, wie die Wanda und die Kim sich in der Bäckerei unterhalten haben«, erzählte Elvira und blieb neben Ramona und Simone stehen. »Die von unserer Bergwacht haben sich gestern zum Grillen bei Seefelds getroffen. Zwischen der Paula und dem Kilian soll’s gefunkt haben.«
»Die Bergwacht? Geh, dann warst du doch auch dabei, stimmt’s?«, wandte sich Simone an Ramona.
»Würdet ihr bitte gehen? Ich möchte allein sein«, erklärte Ramona, während sie in ihrem Tortenstück herumstocherte und die beiden keines Blickes würdigte.
»Aber du brauchst doch jetzt ein bissel Trost. Als mir das neulich mit der Elo und Doktor Lieblich passiert ist, da hab ich mich nach tröstenden Worten gesehnt«, entgegnete Simone.
»Was ist denn das für ein Vergleich?«, wandte sich Ramona Simone kopfschüttelnd zu. »Ich habe Jahre meines Lebens geopfert, um Kilian alles recht zu machen. Du hast doch Doktor Lieblich vorher gar nicht gekannt. Du hast dich nur in sein attraktives Äußeres verguckt, und er hat der kleinen Bäuerin den Vorzug gegeben. Ende der Geschichte. Das ist kein Grund, um herumzuheulen.«
»Es hat aber wehgetan. Es tut immer weh, wenn man zurückgewiesen wird«, schniefte Simone und fischte ein Taschentuch aus der Jacke ihres Kostüms.
»Sei nicht albern, du wurdest nicht zurückgewiesen. Du wurdest gar nicht wahrgenommen.«
»Wie kannst du nur so gemein sein?« Wie immer, wenn sie sich aufregte, bekam Simone einen feuerroten Kopf, was ihr jedes Mal sehr unangenehm war. »Wer seine Freunde vergrault, ist irgendwann einsam«, sagte sie und ließ Ramona allein.
»Dir habe ich auch nichts weiter zu sagen«, fuhr Ramona Elvira an, die noch immer an ihrem Tisch stand.
»Ganz wie du meinst«, entgegnete Elvira schnippisch und marschierte mit ihrer Brötchentüte auf den Armen davon.
»Ich will einfach nur in Ruhe meine Torte essen«, sagte Ramona, als sich ihr erneut alle Blicke zuwandten. »Ist noch etwas?«, fragte sie in die Runde. »Geht doch«, murmelte sie, als alle sich abrupt abwandten und sich nicht weiter um sie kümmerten. Kilian wird schon noch merken, was er an mir hat, dachte sie. Bald würde er Paula vergessen. »Verdammt«, schrie sie auf, als sie mit ihren langen Fingernägeln an der Tischkante hängenblieb und der Nagel ihres rechten Zeigefingers so tief einriss, dass es höllisch wehtat.
*
Eine Stunde später war Kilian wieder auf dem Berghof. Er hatte zu Hause geduscht, sich umgezogen und war mit seinem Kleinbus zu Paula gefahren. Seine Begegnung mit Ramona war nicht gerade gut verlaufen, das war ihm klar. Vielleicht würde sie nun sogar daran denken, in der Werkstatt zu kündigen und die Bergwacht zu verlassen. Auch wenn er diesen Schritt bedauern würde, vermutlich wäre diese Entscheidung für alle Beteiligten letztendlich das Beste.
»Wie geht es Ramona?«, wollte Paula wissen. Sie trug ein langes smaragdfarbenes Kleid und saß auf der Schaukel, die ihr Onkel vor vielen Jahren auf der Wiese hinter dem Haus an dem Ast eines Birnenbaumes befestigt hatte.
»Sie braucht ein bisschen Zeit.«
»Das heißt, sie war sauer«, stellte Paula fest, als Kilian zu ihr kam und die Schaukel sanft anstieß.
»Sie wird sich beruhigen.« Er trat zur Seite, schaute zu, wie sich Paulas langes blondes Haar im Wind bewegte. Alles an ihr gefiel ihm, und er würde sich von niemandem ein schlechtes Gewissen einreden lassen, weil er sich in sie verliebt hatte.
So wie Paula es sich gewünscht hatte, verbrachten sie den Tag auf dem Hof ihres Onkels. Sie lagen auf einer Decke, die sie auf der Wiese ausgebreitet hatten, und schauten auf die Berge, die sich vor ihnen erhoben. Paula gestand ihm, dass sie mit ihrer Zustimmung erst einmal gezögert hatte, als ihre Freundinnen, die beide eine Ausbildung als Tierpflegerin aufweisen konnten, mit dem Vorschlag zu ihr kamen, gemeinsam eine Hundeschule auf dem Land zu eröffnen.
»Noch habe ich keine Ahnung, ob mir das Landleben auf Dauer überhaupt gefallen wird.« Sie hatte sich seitlich auf einem Arm abgestützt, spielte mit einem Gänseblümchen, das sie gepflückt hatte, und betrachtete Kilian.
»Was wirst du vermissen, wenn du hier lebst?«
»Einkaufsmöglichkeiten, Shoppen gehen, Theater und Museen, solche Dinge eben.«
»Das sind also die wichtigen Dinge in deinem Leben?«
»Nein, das sind nur die Möglichkeiten, die sich mir in einer Stadt bieten, wenn ich etwas unternehmen möchte.«
»Und was ist dir wirklich wichtig?«
»Meine Familie, meine Freunde, meine Arbeit mit den Hunden.«
»Das war es?«, fragte er, als sie innehielt.
»Das ist der Stand von vorgestern.«
»Und wie ist der aktuelle Stand?«
»Kilian, meine Familie, meine Freunde, meine Arbeit