Der neue Landdoktor Staffel 7 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740953676
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mache ich mir später Gedanken. Jetzt muss ich erst einmal sehen, wo ich die Nacht verbringe.«

      »Hast du keinen Ersatzschlüssel?«

      »Doch, bei Ramona. Aber ich bin wirklich nicht in der Stimmung, sie anzurufen.« Er konnte sich schon vorstellen, wie das ausgehen würde. Sie würde ihm die Schlüssel bringen, ihn dann um einen Kaffee bitten, und er würde Mühe haben, sie zum Gehen zu bewegen. So war es immer, wenn er sie in seine Wohnung ließ. Sie wollte einfach nicht begreifen, dass sich Liebe nicht erzwingen ließ. »Ich glaube, auf der Terrasse steht noch eine Liege.«

      »Hast du auch eine Decke? Es ist ziemlich kühl geworden?«

      »Ich habe schon oft im Freien übernachtet. Ich bin nicht so empfindlich.«

      »Du willst also über das Hoftor klettern, darauf hoffen, dass noch eine Liege auf der Terrasse steht und dass du irgendwo eine Decke findest?«

      »Das ist der Plan«, antwortete Kilian lächelnd.

      »Ich habe einen besseren Plan. Du kommst mit zum Berghof. Da ist genug Platz für einen Übernachtungsgast.«

      »Du willst einen fremden Mann mitten in der Nacht auf einen einsamen Berghof mitnehmen?«

      »Du bist kein fremder Mann, und der einsame Berghof ist nicht mehr einsam, wenn du mitkommst. Ich muss dich doch jetzt nicht erst lange bitten, dass du mein Angebot annimmst. Oder doch?«, fragte Paula schmunzelnd.

      »Nein, du musst mich nicht überreden.«

      »Gut, dann fahre ich weiter«, sagte Paula und ließ den Motor wieder an.

      *

      »Wer sich hier nicht auskennt, könnte meinen, dass der Hof in der totalen Einöde liegt. Von Bergmoosbach oder Mainingberg ist nichts zu sehen«, stellte Kilian fest, als sie zum Wohnhaus des Berghofes liefen, nachdem sie das Auto in der Scheune geparkt hatten.

      »Warst du schon mal auf dem Dachboden?«, fragte Paula, als sie die Haustür aufschloss.

      »Ich besuche deinen Onkel zwar hin und wieder, wenn ich in den Bergen unterwegs bin oder einfach nur mal nach ihm sehen möchte, aber bisher hatten wir keine Veranlassung, auf den Dachboden zu steigen.«

      »Als Kind war der Dachboden mein Lieblingsplatz. Obwohl, eigentlich ist er es heute immer noch. Bitte, komm herein«, bat sie ihn und trat zur Seite, damit er zuerst ins Haus gehen konnte.

      »Was ist denn so besonders auf dem Dachboden?«, fragte er, als sie sich in der Diele gegenüberstanden, die mit ihren mit hellem Kiefernholz vertäfelten Wänden gemütlich und einladend wirkte.

      »Wenn du möchtest, zeige ich es dir.«

      »Jetzt gleich?«

      »Ja, es sei denn, du möchtest gleich schlafen gehen, dann mache ich dir das Sofa im Wohnzimmer zurecht.«

      »Ich würde das Geheimnis auf dem Dachboden gern lüften.« Es war das erste Mal, dass er mit Paula allein war. Er würde jetzt ganz bestimmt nicht sofort schlafen gehen.

      »Da entlang.« Sie deutete auf die Treppe, die in das obere Stockwerk führte. Dort angekommen ging es weiter über eine Leiter hinauf zum Dachboden.

      »Gibt es hier auch Licht?«, fragte Kilian, als er sich in einem stockfinsteren Raum wiederfand.

      »Nur eine Taschenlampe«, hörte er Paula sagen. »Folge mir«, bat sie ihn, als der Lichtkegel der Taschenlampe auf den knirschenden Dielenboden fiel.

      Der Raum mit den Dachbalken aus Eichenholz war bis auf einen alten Schrank und einige Kisten leer. Der Boden war sauber gefegt und die Scheiben des großen Fensters, auf das sie zugingen, schienen geputzt, zumindest soweit er das in der Dunkelheit erkennen konnte.

      »Hast du hier geschlafen?«, fragte er verwundert, als er auf das Luftbett schaute, das vor dem Fenster stand und auf dem Kissen und Decken lagen.

      »In klaren Nächten schlafe ich immer hier oben«, erklärte sie, und er konnte sie im Licht der Taschenlampe lächeln sehen. »Komm, sieh aus dem Fenster, dann weißt du, warum«, sagte sie und schaltete die Taschenlampe aus.

      »Das hätte ich nicht erwartet«, zeigte sich Kilian überrascht.

      Er konnte beinahe das ganze Tal mit dem nächtlichen Bergmoosbach überblicken.

      »Setzen wir uns«, sagte Paula. Sie strich die Daunendecke glatt, die auf dem Bett lag, und setzte sich an das Fußende, das genau vor dem Fenster stand. »Möchtest du ein Bier? Ich meine, ein Malzbier. Das ist das einzige Bier, das ich gern hin und wieder trinke.«

      »Das Honigbier vorhin bei den Seefelds?«

      »War alkoholfrei. Alkohol vertrage ich nicht so gut. Tut mir leid, ich rede irgendwie Unsinn«, entschuldigte sie sich. »Ich hole das Bier«, sagte sie und wollte aufstehen.

      »Ich finde nicht, dass du Unsinn redest«, sagte er leise und berührte ihre Hand. »Dieses Schauspiel verliert nie seinen Reiz, jedenfalls nicht für mich.« Er schaute auf die Milchstraße, die sich gerade noch hinter vorbeiziehenden Wolken verborgen hatte und nun in ihrer ganzen Schönheit zu sehen war.

      »Deshalb liebe ich diesen Platz so. Die Erde, der Himmel, alles scheint zum Greifen nah. Aber so wie gerade…«

      »Ja?«, hakte er nach, als sie innehielt.

      »So wie heute habe ich es noch nie empfunden.«

      »Das heißt?«

      »Die Dunkelheit, das Licht, die Farben, alles scheint intensiver auf mich zu wirken. Ich wünschte, ich könnte mich auf eine duftige Wolke legen und über das Tal hinwegschweben. Nein, das stimmt nicht, Kilian«, sagte sie, nachdem sie tief Luft geholt hatte, weil es sie Überwindung kostete, ihm zu sagen, was sie sich wirklich wünschte. »Ich möchte nicht allein auf dieser Wolke liegen, es wäre viel schöner, wenn du bei mir wärst. Zu direkt?«, fragte sie.

      »Nein, gar nicht«, antwortete er und betrachtete sie im Licht der Sterne und des Mondes, das in das Fenster fiel. »Irgendwie fühlt es sich bereits so an, als würden wir schweben. Dieses Bett hat schon etwas von einer Wolke.«

      »Ich weiß«, antwortete Paula, als Kilian sich zurücklehnte und das Bett ins Schwanken geriet.

      »Lass es uns ausprobieren«, sagte er.

      »Was meinst du?«

      »Auf Wolken zu schweben.«

      »Soll ich kein Malzbier mehr holen?«

      »Nein«, antwortete er lächelnd und zog sie zärtlich zu sich auf das Bett. »Kennst du das Gilgamesh-Epos?«, fragte er sie, als sie nebeneinander auf dem Bett lagen und an den Himmel schauten.

      »Der sumerische König Gilgamesh besiegt zusammen mit seinem Freund Enkidu den Himmelsstier, den ihm die wütende Göttin Ischtar schickte, weil er ihren Heiratsantrag ablehnte.«

      »Die Kurzfassung eines großen Epos, das vor mehr als 5.000 Jahren verfasst wurde.«

      »Der eine oder andere, der sich gedemütigt fühlt, würde sicher auch heute noch gern so einen Himmelsstier losschicken.«

      »Gilgamesh hat ihn besiegt.«

      »Klar, er war auch zu zwei Dritteln eine Gottheit.«

      »Es heißt, der Verlauf dieser Geschichte orientiert sich an den Sternbildern. Die Sumerer besaßen schon ein recht modernes Verständnis von dem Stand der Sterne zur Erde.«

      »Ischtar verkörperte die Liebesgöttin und konnte Gilgamesh doch nicht für sich gewinnen.«

      »Liebe lässt sich eben nicht erzwingen. Nicht einmal von einer Liebesgöttin.«

      »Liebe ist eben ein starkes Gefühl.«

      »Eifersucht und Neid auch.«

      »Willst du mir etwas Bestimmtes damit sagen?«, fragte Paula, als Kilian sich ihr zuwandte.

      »Ich fürchte mich nicht vor dem Himmelstier«,